Rundbrief »KDV im Krieg« - November 2018

Rundbrief »KDV im Krieg« - November 2018

Turkmenistan: Der zehnte Kriegsdienstverweigerer 2018 in Haft

von Felix Corley

(21.09.2018) Turkmenistan wies die Forderung des UN-Menschenrechtsrates zurück, einen Alternativdienst zum Militärdienst einzuführen. Die Ablehnung kam wenige Wochen, nachdem ein weiterer Kriegsdienstverweigerer, der 18-jährige Serdar Atayev, zu einem Jahr Arbeitslager verurteilt wurde. Er ist der zehnte verurteilte Kriegsdienstverweigerer im Jahr 2018. Allein im August wurden vier Verweigerer inhaftiert. Alle zehn gehören den Zeugen Jehovahs an. Neun von ihnen haben eine einjährige Haftstrafe zu verbüßen, einer eine zweijährige Haftstrafe.

Regierung weist Forderung der UN auf Alternativdienst zurück

Im Rahmen der turnusmäßigen Überprüfung von Turkmenistan durch den Menschenrechtsrat der Vereinten Nationen im Rahmen der Universal Perodic Review (UPR) im Mai 2018 legten andere Regierungen 191 Empfehlungen vor, wie das Land seine Menschenrechtslage verbessern könne (A /HRC/39/3). Argentinien empfahl: „Verabschiedung notwendiger Maßnahmen um das Recht auf Kriegsdienstverweigerung anzuerkennen“. Das wurde aber gemeinsam mit 19 weiteren Empfehlungen durch die turkmenische Regierung abgelehnt.

Die turkmenische Regierung wies die Forderung, einen Alternativdienst zum Militärdienst einzuführen, in der schriftlichen Antwort an das UPR am 13. September 2018 zurück (A/HRC/39/3/Add.1). Sie wiederholte diese Ablehnung auf einem Treffen des Menschenrechtsrates in Genf am 20. September 2018.

“Wir verweisen auf Artikel 58 der turkmenischen Verfassung, der den Schutz Turkmenistans als heilige Pflicht jeden Bürgers sieht“, so Ahmetyar Kulov, Erster Sekretär der Ständigen Mission Turkmenistan bei den Vereinten Nationen in Genf. „Nach der Verfassung sind alle männlichen Bürger verpflichtet, Militärdienst abzuleisten.

Eine weitere Empfehlung des UPR war: „Vorkehrungen treffen, damit Inhaftierte, auch die in den Gefängnissen Depe und Seydi, Zugang zu unabhängigen Aufsichtsbeamten und anderen Besucher*innen haben sowie die Erlaubnis, bei diesen Besuchen private und gänzlich vertrauliche Gespräche mit den Gefangenen zu führen, in Übereinstimmung mit den UN-Standards über Minimalanforderungen zur Behandlung von Gefangenen.“ In ihrer schriftlichen Stellungnahme wies die turkmenische Regierung auch dieses Anliegen zurück, ohne Erklärung.

Keine Antworten

Forum 18 versuchte die von der Regierung benannte Ombudsperson für Menschenrechte, Yazdursun Gurbannazarova, zu erreichen, um nachzufragen, warum junge Männer wegen ihrer Kriegsdienstverweigerung aus Gewissensgründen inhaftiert werden und warum Turkmenistan die Forderung des UPR zurückwies, einen Alternativdienst einzuführen. Sowohl am 20, wie auch am 21. September 2018, war das Büro nicht zu erreichen.

Forum 18 versuchte ebenfalls, den Vorsitzenden der parlamentarischen Menschenrechtskommission anzurufen, Yusupguly Eshshayev, um herauszufinden, ob die Regierung irgendwann beabsichtigt, ein Gesetz einzuführen, um Kriegsdienstverweigerern die Ableistung eines Alternativdienstes anzubieten. Er war jedoch telefonisch weder am 20., noch am 21. September, erreichbar.

Kein Recht auf Kriegsdienstverweigerung

Trotz wiederholter Aufforderungen der Vereinten Nationen und der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) bietet Turkmenistan keine Möglichkeit an einen alternativen Dienst abzuleisten. Männer sind wehrpflichtig und haben einen in der Regel zweijährigen Dienst im Alter zwischen 18 und 27 Jahren abzuleisten. Im Frühjahr und Herbst werden jeweils Einberufungen durchgeführt.

Junge Männer, die aus Gewissensgründen den Kriegsdienst verweigern, sehen sich der Strafverfolgung nach Artikel 219 Absatz 1 des Strafgesetzbuches ausgesetzt. Damit wird die Verweigerung des Militärdienstes in Friedenszeiten mit bis zu zwei Jahren Haft oder zwei Jahren Arbeitslager bewehrt.

Seit 2014 verurteilen die Gerichte Kriegsdienstverweigerer mit Strafarbeiten oder Bewährungsstrafen, statt sie ins Gefängnis zu schicken. Mit den beiden Verurteilungen im Januar 2018 wurde jedoch die Praxis der Verurteilung zu Haftstrafen wieder aufgenommen.

Eine weitere Verurteilung zu einem Jahr

Der Zeuge Jehovah, der gerade 18 Jahre alt gewordene Serdar Atayev, wurde in der im Südosten gelegenen Stadt Mary einberufen. Er legte dem Rekrutierungsbüro dar, dass er aus Gewissensgründen keinen Militärdienst ableisten könne. Das Rekrutierungsbüro übergab den Fall Atayev an die Staatsanwaltschaft, die ein Verfahren nach Artikel 219 Absatz 1 gegen ihn eröffnete. Der Fall wurde dem Stadtgericht Mary vorgelegt. Am 28. August befand der Richter Guljan Babanazarova Atayev schuldig und verurteilte ihn zu einem Jahr Arbeitslager, so berichteten es die Zeugen Jehovahs. Da er zum Zeitpunkt des Verfahrens noch nicht inhaftiert war, wurde Atayev am Ende der Verhandlung verhaftet und in das Gefängnis der Stadt gebracht. Atayev legte am 31. August Berufung gegen das Urteil ein. Bis zu einer Entscheidung darüber wird er im Gefängnis in Mary, MR-D/14, inhaftiert bleiben.

Zwei Berufungen sind anhängig

Atayev wurde nur einen Tag nach einem Urteil des gleichen Gerichtes gegen einen weiteren 18-jährigen Zeugen Jehovah verurteilt. Auch der Kriegsdienstverweigerer Sokhbet Agamyradov erhielt ein Jahr Haft in einem Arbeitslager. Agamyradov legte am 31. August ebenfalls Berufung ein. Bis zu einer Entscheidung darüber ist er im Gefängnis in Mary, MR-D/14, inhaftiert.

Ein Vertreter des Regionalgerichts Mary erklärte, dass die Berufungsklagen bislang noch nicht eingegangen seien. „Die Berufungen werden ungefähr einen Monat von den unteren Gerichten einbehalten, bevor sie übergeben werden. Sie werden wohl am 27. oder 28. September vorliegen. Dann wird darüber entschieden, wann eine Verhandlung stattfindet”, so die Auskunft vom 20. September.

Zwei Berufungen wurden zurückgewiesen

Zwei Kriegsdienstverweigerer, die bereits früher im August verurteilt wurden, Isa Sayayev aus der im Norden gelegenen Region Dashoguz und Ruslan Artykmuradov aus der im Osten gelegenen Region Lebap, hatten mit ihren Berufungsklagen keinen Erfolg.

Isa Sayayev war am 9. August 2018 vom Stadtgericht Koneurgench zu einem Jahr Arbeitslager verurteilt worden. Das Regionalgericht Dashoguz bestätigte das Urteil nach Auskunft des Gerichts am 11. September 2018.

Ruslan Artykmurdow war am 13. August 2018 vom Bezirksgericht Sayat zu einem Jahr Arbeitslager verurteilt worden. Das Regionalgericht Lebap bestätigte das Urteil nach Auskunft des Gerichts am 11. September 2018.

Forum 18 konnte nicht herausfinden, ob Sayayev und Artykmuradov bereits in das Arbeitslager zur Verbüßung ihrer Haftstrafe überstellt wurden.

Sechs inhaftierte Kriegsdienstverweigerer in einem Arbeitslager

Die vier im August inhaftierten Kriegsdienstverweigerer werden vermutlich in das Arbeitslager LB-K/12 in der Wüste in der Nähe von Seydi in der Region Lebap geschickt werden, um ihre Strafe zu verbüßen. Viele andere Gewissensgefangene sind bereits in dieser Hafteinrichtung gewesen. Die sechs Kriegsdienstverweigerer, die zwischen Januar und Juli diesen Jahres verurteilt wurden, Arslan Begenchov, Kerven Kakabayev, Mekan Annayev, Ikhlosbek Rozmetov, Veniamin Genjiyev und Maksat Jumadurdiyev, befinden sich bereits im Arbeitslager Seydi.

Die Adresse des Arbeitslagers Seydi:
746222 Lebap velayat
Seydi
uchr. LB-K/12
Turkmenistan

Liste der bekannten Kriegsdienstverweigerer

Es sind derzeit zehn Kriegsdienstverweigerer bekannt, die nach Artikel 219 Absatz 1 Gefängnisstrafen verbüßen. Alle gehören den Zeugen Jehovas an:

1) Arslan Begenchovich Begenchov, geboren am 15. Mai 1999, wurde am 17. Januar 2018 vom Bezirksgericht Charjew zu einem Jahr Arbeitslager verurteilt. Seine Berufung wurde am 13. Februar 2018 vom Regionalgericht Lebap abgelehnt.

2) Kerven Arslanovich Kakabayev, geboren am 9. September 1996, wurde am 29. Januar 2018 vom Stadtgericht Koneurgench zu einem Jahr Arbeitslager verurteilt. Seine Berufung wurde wegen Fristversäumnis abgelehnt.

3) Mekan Orazdurdiyevich Annayev, geboren am 22. Juni 1999, wurde am 26. Juni 2018 vom Stadtgericht Turkmenbashi zu einem Jahr Arbeitslager verurteilt. Er legte keine Berufung ein.

4) Ikhlosbek Valijon oglu Rozmetov, geboren am 26. November 1997, wurde am 11. Juli 2018 vom Bezirkgsgericht Gurbansoltan eje zu einem Jahr Arbeitslager verurteilt. Seine Berufung wurde am 23. Juli 2018 vom Regionalgericht Dashoguz abgelehnt.

5) Veniamin Muslimovich Genjiyev, geboren am 12. Mai 2000, wurde am 17. Juli 2018 vom Bezirksgericht Danew zu einem Jahr Arbeitslager verurteilt. Er legte keine Berufung ein.

6) Maksat Jumadurdiyevich Jumadurdiyev, geboren am 15. Mai 2000, wurde am 17. Juli 2018 vom Bezirksgericht Danew zu einem Jahr Arbeitslager verurteilt. Er legte keine Berufung ein.

7) Isa Muslimovich Sayayev, geboren am 9. August 1994, wurde am 9. August 2018 vom Stadtgericht Koneurgench zu einem Jahr Arbeitslager verurteilt. Die Berufung wurde am 11. September 2018 vom Regionalgericht Lebap abgewiesen.

8) Ruslan Khadynyaz oglu Artykmuradov, geboren am 24. Mai 2000, wurde am 13. August 2018 vom Bezirksgericht Sayat zu einem Jahr Arbeitslager verurteilt. Die Berufung wurde am 11. September 2018 vom Regionalgericht in Lebap abgewiesen.

9) Sokhbet Rejepmyradovich Agamyradov, geboren am 4. Januar 2000, wurde am 27. August 2018 vom Stadtgericht Mary zu einem Jahr Arbeitslager verurteilt. Er legte beim Regionalgericht Mary Berufung ein.

10) Serdar Annamyradovich Atayev, geboren am 9. Juni 2000, wurde am 28. August 2018 vom Stadtgericht Mary zu einem Jahr Arbeitslager verurteilt.

Felix Corley, Forum 18: Turkmenistan: Tenth jailed conscientious objector in 2018. 21. September 2018. Auszüge. Quelle: www.forum18.org. Übersetzung: rf. Der Beitrag wurde in Auszügen veröffentlicht in: Connection e.V. (Hrsg.): Rundbrief »KDV im Krieg«, Ausgabe November 2018

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