Rundbrief »KDV im Krieg« - November 2018

Rundbrief »KDV im Krieg« - November 2018

Aserbaidschan: Zweite Verurteilung eines Kriegsdienstverweigerers in 2018

von Felix Corley

(18.09.2018) Am 6. September 2018 verurteilte ein Gericht im Westen Aserbaidschans einen Kriegsdienstverweigerer, ein Zeuge Jehovah. Vahid Abilov erhielt eine einjährige Gefängnisstrafe auf Bewährung. Er wird Berufung einlegen.

„Es ist das zweite Urteil in den letzten zwei Monaten, womit Zeugen Jehovahs in Aserbaidschan wegen ihrer Kriegsdienstverweigerung strafrechtlich verfolgt werden“, erklärten die Zeugen Jehovahs. „Auch wenn wir froh sind, dass Vahid Abilov nicht in Haft ist, er wurde mit dem Urteil dennoch wegen seiner religiösen Überzeugungen für schuldig befunden.“

Die Fälle von drei weiteren Zeugen Jehovahs, jungen Männern, die in ähnlicher Weise die Ableistung des Militärdienstes verweigern, wurden ebenfalls den Staatsanwaltschaften übergeben. In einem Fall will die Staatsanwaltschaft keine Klage erheben.

Internationale Verpflichtungen ignoriert

Vor seinem Beitritt zum Europarat im Januar 2001 versprach Aserbaidschan formell “innerhalb von zwei Jahren ein Gesetz über einen Alternativdienst zu verabschieden, das in Übereinstimmung mit den europäischen Standards steht und bis dahin allen gegenwärtig sich im Gefängnis oder in Strafeinheiten befindlichen Kriegsdienstverweigerern zu gestatten, (nach Inkrafttreten eines Alternativdienstgesetzes) einen nicht bewaffneten Militärdienst oder Alternativdienst abzuleisten.“

Aserbaidschan hat jedoch nie solch ein Gesetz verabschiedet und auch keinen Alternativdienst eingeführt, trotz entsprechender Aufforderungen des Europarates und der Vereinten Nationen. Fünf Zeugen Jehovahs wurden zwischen 2007 und 2013 wegen ihrer Kriegsdienstverweigerung durch Gerichte verurteilt. Sie wandten sich an den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg und warten auf eine Entscheidung über ihre Fälle.

Ohne Alternative zum Militärdienst sehen sich Kriegsdienstverweigerer einer Verfolgung nach Artikel 321 Absatz 1 des Strafgesetzbuches ausgesetzt. Dort steht: „Militärdienstentziehung nach einer Einberufung oder Mobilisierung ohne gerechtfertigten Grund, mit dem Ziel, sich dem Militärdienst zu entziehen, kann mit einer Haftstrafe von bis zu zwei Jahren (in Friedenszeiten) bestraft werden.“

Hat die Ombudsfrau für Menschenrechte eine “Beschleunigung vorgeschlagen“?

Das Büro der Ombudsfrau für Menschenrechte erklärte am 5. September 2018 gegenüber Forum 18, dass Elmira Suleymanova „vorgeschlagen habe, die Annahme eines entsprechenden Gesetzes zu beschleunigen“, um eine Alternative zum Militärdienst anzubieten. Auf die Frage, was sie getan habe, um die Rechte der bereits verfolgten Kriegsdienstverweigerer zu schützen, wie Emil Mehdiyev, antwortete das Büro, dass es nicht möglich sei, Fälle aufzugreifen, die sich bereits im Gerichtsverfahren befinden. Es betonte, dass gegen Mehdiyev eine Bewährungsstrafe verhängt und er nicht inhaftiert worden sei.

Die Antwort erklärt nicht, warum Mehdiyev überhaupt einer Strafverfolgung aufgrund seiner international anerkannten Kriegsdienstverweigerung unterliegt.

Am 12. September 2018 wies Forum 18 gegenüber dem Büro der Ombudsfrau auf die Verurteilung von Vahid Abilov hin. Es gab keine Antwort dazu.

2018 hat ein Unterkomitee des Globalen Zusammenschlusses Nationaler Menschenrechtsinstitutionen (Global Alliance of National Human Rights Institutions) das Büro der aserbaidschanischen Ombudsperson auf den Status B herabgestuft, weil es “sich nicht in angemessener und effektiver Form für den Schutz der Menschenrechte eingesetzt hat, auch wenn glaubwürdige Aussagen vorlagen, dass durch Regierungsbehörden Menschenrechte verletzt wurden.“

Ein aserbaidschanischer und zwei aus dem Ausland zu Besuch anwesende Zeugen Jehovahs merkten in Baku am 3. Mai 2018 auf einem Treffen mit Sayavush Heydarov, einem der Vorsitzenden des Staatlichen Komitees für die Zusammenarbeit mit Religiösen Gemeinschaften, an, dass weiterhin Regelungen zu einem Alternativen Dienst fehlen. Auf der Website des Staatlichen Komitees war am gleichen Tage kein Hinweis auf diese Bedenken zu finden.

Weiteres Urteil gegen einen Kriegsdienstverweigerer

Vahid Gunduz oglu Abilov, Zeuge Jehovah, geboren am 2. Mai 1999, wurde 2017 einberufen, nachdem er 18 Jahre alt geworden war. Am 31. Mai 2017 meldete er sich beim Rekrutierungsbüro des Bezirkes Agdam und gab eine schriftliche Kriegsdienstverweigerungserklärung ab. Am 10. Januar 2018 wurde er erneut in das Rekrutierungsbüro einbestellt, wo er ein weiteres Mal eine Erklärung schrieb.

Wie verlangt, meldete er sich am 12. März 2018 beim Staatsanwalt Rashad Gulmammadli und erklärte dort seine Gründe für die Kriegsdienstverweigerung auf Grundlage seines Glaubens.

Später wurde ihm mitgeteilt, dass ein Strafverfahren eröffnet worden sei. Am 9. Juli 2018 wurde er nach Artikel 321 Absatz 1 angeklagt, sich dem Militärdienst entzogen zu haben. Sein Fall wurde dem Bezirksgericht Agdam übergeben. Das Gericht befindet sich in der Stadt Quzanli, da die Stadt Agdam in der nicht anerkannten Region Nagorny-Karabach liegt. Sie liegt an der Frontlinie, an der zeitweise gekämpft wird.

Am 6. September 2018 stellte Abilovs Anwalt einen Antrag, das Verfahren einzustellen. Dies wurde von Richter Mahir Niftaliyev abgelehnt. Am gleichen Tag verurteilte der Richter Abilov nach Artikel 321 Absatz 1 zu einer einjährigen Bewährungsstrafe.

„In der ganzen Zeit hat Abilov wiederholt verbal und in schriftlicher Form seine religiöse Position dargelegt“, so die Zeugen Jehovas. „Vahid Abilov wird Berufung gegen das ungerechte Urteil des Bezirksgerichts Agdam einlegen“. Die Verhandlung findet vor dem Berufungsgericht in Ganca statt.

Am 18. September 2018 versuchte Forum 18 das Bezirksgericht Agdam telefonisch zu erreichen, ohne Erfolg. Das Berufungsgericht erklärte am selben Tag, dass es die Berufungsklage erhalten habe. Forum 18 versuchte auch, den Staatsanwalt Gulmammadli und seinen Vorgesetzten, Rafayil Zeynalov, zu erreichen. Am 17. September teilte das Büro jedoch mit, dass beide außer Haus seien, auf einer Dienstreise bzw. auf einem Treffen.

Am 24. September wird über die Berufungsklage verhandelt

Emil Vilayat oglu Mehdiyev, der erste 2018 verurteilte Kriegsdienstverweigerer, wartet auf die Berufungsverhandlung. Richter Alizamin Abdullayev des Berufungsgerichts Gance wird am Morgen des 24. September 2018 eine Anhörung durchführen, so die Zeugen Jehovahs.

Am Verhandlungsschluss am 6. Juli 2018 hatte das Bezirksgericht Barda den am 12. Dezember 1999 geborenen Zeugen Jehovah Mehdiyev nach Artikel 321 Absatz des Strafgesetzbuches zu einem Jahr Haft auf Bewährung verurteilt.

Mehdiyev hatte nach seiner Einberufung im Dezember 2017 dem Rekrutierungsbüro wiederholt mitgeteilt, dass er aus Gewissensgründen keinen Militärdienst ableisten könne und bereit sei, einen alternativen zivilen Dienst abzuleisten.

Wird es weitere Gerichtsverfahren geben?

Emin Tahmazov, ein Zeuge Jehovah, hatte am 7. Januar 2015 in einer Erklärung an das Rekrutierungsbüro des Bezirks Khatai in Baku seine Kriegsdienstverweigerung dargelegt. Am 10. Januar 2018 legte er ein weiteres Schreiben vor, in dem er seine Überzeugungen ausführlicher schilderte. Nach einer Vorladung traf er am 14. Juni 2018 den Stabschef Mehman Qurbanov, so die Zeugen Jehovahs. Qurbanov erklärte Tahmazov, dass dessen Erklärung in Betracht gezogen worden sei, die Urteile des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte jedoch auf ihn nicht anwendbar seien und er Militärdienst ableisten müsse.

Am 21. Juni 2018 legte Tahmazov dem Rekrutierungsbüro erneut seine Erklärung vor. Die Beamten dort wiesen ihn darauf hin, dass er bereits einer Militäreinheit zugeteilt worden sei. Am 9. Juli 2018 reichte Tahmazov seine Erklärung ein viertes Mal ein und bat darum, einen alternativen zivilen Dienst ableisten zu können. Die Beamten erklärten ihm darauf hin, dass sie seinen Fall an die Staatsanwaltschaft weiterleiten würden.

Auf telefonische Nachfrage sagte am 18. September 2018 ein Beamter im Rekrutierungsbüro des Bezirks Khatai, dass Qurbanov nicht im Büro sei. Er weigerte sich, Forum 18 stattdessen zu einer anderen Person durchzustellen.

Levani Otarashvili übergab am 29. Juni 2018 Beamten des Rekrutierungsbüros des Bezirks Qakh seine Kriegsdienstverweigerungserklärung. Am 2. Juli 2018 meldete er sich im Rekrutierungsbüro, wie dies von ihm in der Einberufung gefordert worden war. Der stellvertretende Leiter erklärte ihm, dass die Musterungsunterlagen in seinem Fall nicht vollständig seien und er erneut einbestellt werde. Am 9. Juli 2018 rief ihn das Rekrutierungsbüro an und bestellte ihn für den folgenden Morgen ein, so die Zeugen Jehovahs. Am 10. Juli 2018 ging er zum Rekrutierungsbüro, wo ihm Beamte ein offizielles Schreiben übergaben, dass es keinen alternativen zivilen Dienst gebe.

Am 24. Juli 2018 ging Otarashvili erneut zum Rekrutierungsbüro und traf den stellvertretenden Leiter. Er legte dar, dass sich seine religiöse Auffassung nicht geändert habe und schrieb dies in einer weiteren Erklärung nieder. Am 25. Juli 2018 ging er erneut ins Rekrutierungsbüro, bekräftigte, dass sich seine Auffassung nicht geändert habe und beantragte die Ableistung eines alternativen Dienstes. Der Leiter antwortete ihm, dass er keine Wahl habe und den Fall an das Büro der Staatsanwaltschaft übergebe.

Ein Inspekteur des Rekrutierungsbüros des Bezirks Qakh bestätigte am 18. September 2018, dass der Fall der Staatsanwaltschaft übergeben worden sei. Auf die Frage, warum dies geschehen sei, wo doch Otarashvili wiederholt seine Bereitschaft zur Ableistung eines alternativen zivilen Dienstes erklärt habe, antwortete der Inspekteur: „Weil er keinen Dienst (in der Armee) ableisten will. Es gibt bei uns keinen alternativen Dienst.“

Das Büro der Staatsanwaltschaft des Bezirks Qakh bestätigte am 18. September Unterlagen zu Otarashvili vom Rekrutierungsbüro erhalten zu haben. Der Vertreter betonte, dass es derzeit keine Ermittlungen gebe. „Seien Sie nicht beunruhigt, wir werden das objektiv bewerten. Es wird kein Strafverfahren geben“, so seine Aussage.

Fuad Hasanaliyev, Zeuge Jehovah aus Khachmaz, ging am 5. Juni 2018 zur Musterung in das Rekrutierungsbüro des Bezirks Khachmaz. Am 28. Juni 2018 kam er erneut zum Rekrutierungsbüro, wo ihm eine Einberufung zum 23. Juli 2018 übergeben wurde. Er weigerte sich, das Dokument abzuzeichnen. Der Leiter des Rekrutierungsbüros schrie ihn an und drohte, seinen Fall der Staatsanwaltschaft zu übergeben.

Am 10. Juli 2018 sandte Hasanaliyev eine Erklärung über seine religiösen Beweggründe an das Rekrutierungsbüro und bat darum, einen alternativen zivilen Dienst ableisten zu können. Am 23. Juli 2018 kam er erneut ins Rekrutierungsbüro, wo er den Leiter und seinen Stellvertreter traf. Beide erklärten, dass sie das Hauptquartier kontaktieren würden und baten ihn, sich am nächsten Tag erneut zu melden.

Am 24. Juli 2018 kam Hasanaliyev dieser Aufforderung nach und traf auf den Leiter des Rekrutierungsbüros, der ihm einen waffenlosen Dienst im Militär anbot. Hasanaliyev verweigerte dies und bat stattdessen darum, einen alternativen zivilen Dienst abzuleisten. Der Leiter antwortete ihm, dass es keine Regelung dafür in Aserbaidschan gebe und dass er seinen Fall den Vorgesetzten zur weiteren Behandlung übergeben werde.

Felix Corley, Forum 18: Azerbaijan: Second 2018 conscientious objector conviction. 18. September 2018. Auszüge. Quelle: www.forum18.org. Übersetzung: rf. Der Beitrag wurde veröffentlicht in: Connection e.V. (Hrsg.): Rundbrief »KDV im Krieg«, Ausgabe November 2018

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