US-Veteran des Irakkrieges spricht über seine Erfahrungen
(02.04.2006)
Michael Harmon wurde in Brooklyn, New York,, geboren und wuchs dort auf. Im Mai 2002 ging er zur Armee. Am 3. April 2003 wurde in den Irak verlegt, wo er bis zu seiner Entlassung im April 2004 blieb. Nach seiner ehrenhaften Entlassung aus der Armee kam er zu den Iraq Vets Against the War (IVAW - Veteranen des Irakkrieges gegen den Krieg). Im Moment studiert er mit dem Hauptfach Physik auf der städtischen Universität von Manhattan. Er spricht in Highschools, auf Antikriegsdemonstrationen und bei anderen Gelegenheiten immer wieder über seine Erfahrungen im Irak.
Was bewegte Dich dazu, zum Militär zu gehen?
Nun, es gab zwei Dinge, die wirklich meine Entscheidung bestimmten. Als New Yorker und als einer, der die Menschen an diesem Tag gesehen hat, war es der 11. September. Zu der Zeit kannte ich Präsident Bush nicht. Er erschien dann im Fernsehen und sagte: "Jeder Mann sollte zwei Jahre für sein Land geben." Da sagte ich mir: "Weißt Du was, der Dandy hat Recht."
Mein Leben hatte auch kein Ziel. Ich wollte noch nicht auf die Universität gehen und hatte gerade das Gymnasium beendet. Ich wusste nicht, was ich machen sollte. So ging ich auf die Webseite der Armee und gab meine Daten ein. So kam es, dass mich wenig später der Anwerber anrief. Ich war in einer Lebenskrise, wenn du es so nennen willst. Für ihn war es der richtige Zeitpunkt.
Was war Dein erster Eindruck, als Du zu Deiner Einheit im Irak kamst?
Offen gesagt, als ich meine Einheit erreichte, wollte ich zurück zur Grundausbildung, so schlimm war es. Keine Ausbildung hatte uns darauf vorbereitet, was wir dort sehen sollten. Ich war Sanitäter im Kriegsgebiet. Sie nannten Dich nicht so, sie nannten Dich "Gesundheitsspezialist". Ich dachte, es würde ein paar Verletzungen geben. Ich wusste, es war Krieg, aber sie bereiteten uns nicht darauf vor. Und ich war zu dieser Zeit noch jung, gerade 19 Jahre alt. Wir sagten: "Wir brauchen zusätzliche Ausbildung" und sie antworteten uns: "Macht Euch keine Gedanken, Ihr werdet es schon mitbekommen."
Als wir die Einheit erreichten, war es wirklich schlimm. Gleich als wir im Irak ankamen, gab es wahnsinnige Verwundungen. Die Kinder, ich meine, wenn Ihr Euch das wirklich vorstellen wollt: Die Gesichter waren weggeblasen, die Gesichter von den Menschen hingen einfach herab, die Gedärme hingen heraus, weil ihre Körper nicht erstklassig geschützt waren. Und das Schlimmste war es, einen 20-jährigen zu sehen, der nach seiner Mutter schrie, weil er befürchtete, sie nie wieder sehen zu können. Und da war auch ein drei Jahre altes Mädchen, ich erinnere mich, der ihr Bein weggesprengt worden war - natürlich von unserem Feuer - weil ein Soldat schlecht ausgebildet war. Eine improvisierte Sprengvorrichtung ging los und verteilte sich in alle Himmelsrichtungen. Es traf kleine Kinder, ein Junge wurde getroffen, ein Kind wurde im Kopf getroffen und eine Kugel pustete ihm die Schädeldecke weg. Ich legte dem Kind einen Verband an, der rutschte aber weg. Dann starb er.
Wann hast Du erste Zweifel über den Krieg gehabt?
Das hier änderte mein Bild ganz schnell: Wir kamen am 3. April dort an, am 15. April erzählte uns ein Major, dass wir unsere Schutzkleidung beiseite legen sollten, also die Gasmasken, Schutzanzüge und Schuhe. Da sagte ich ihm: "Sir, bei allem Respekt, ich dachte, dass wir wegen Massenvernichtungswaffen hier sind." Und er antwortete mir, ich zitiere wörtlich: "Tue es, verdammt noch mal, hör zu, was ich Dir sage."
Ich lass micht nicht für blöd verkaufen. Wir sollen wegen der Massenvernichtungswaffen da sein, und zwei Wochen nach Beginn des Krieges legen wir unsere Schutzgeräte für die Massenvernichtungswaffen weg? Was soll das?
Das war für mich ein Wendepunkt. Aber, wie Ihr wisst, dort hast du deine Gefühle beiseite zu legen, weil es um Leben oder Tod geht, um töten oder getötet zu werden. Du kannst nicht zu sehr darauf eingehen. Als ich zurück kam, denke ich, war es genau das, was mich so sehr Durcheinander gebracht hat - das mit den Kindern, all die Lügen, sogar bei den Soldaten. Du fühlst dich mit den anderen verbunden und du siehst sie mit ihren offenen Gedärmen. Das ist nicht cool.
Wie fühlten sich die anderen Soldaten? Hattest Du den Eindruck, dass sie die gleichen Veränderungen erlebten?
Die anderen, mit denen ich sprach, sahen, was wir taten und realisierten es in der Minute, als sie ihre Füße auf den Boden des Irak setzten. Es war so anders, als sie sich das vorgestellt hatten. Als wir nach Hause zurückkamen, verließen 60% der Einheit die Armee. Sie alle fühlten sich sehr ähnlich, wie ich, weil die Einheit selbst ein Scheißdreck war. Wisst Ihr, es gab keine Führung. Im Moment sprechen es viele von ihnen aus. Ein paar von ihnen sind unentschieden, weil sie das Gefühl haben, dass sie Schande über die verlorenen Freunde bringen, wenn sie es aussprechen. Ich sage ihnen, es ist grad andersrum. Wenn wir uns jetzt zurückziehen, werden andere Soldaten verletzt oder getötet werden. Aber keiner der Soldaten, die ich kenne, ist mit 100% für diesen Krieg.
Welchen Eindruck hast Du über die Meinung der Iraker zur US-Besetzung?
Ich fragte Iraker danach. Sie sagten: "Was wollt Ihr von uns. Jetzt, wo Saddam weg ist, möchten wir, dass Ihr nach Hause geht. Wir wollen Euch nicht auf unserem heiligen Land haben." Viele solcher Antworten erhielt ich. So dachte ich bei mir selbst: Diese Menschen wollen uns nicht hier, wir wollen nicht hier sein, hey, lasst uns nach Hause gehen.
Sie mögen unsere Art nicht. Nicht jeder will ein Café von Starbucks an der Ecke haben, nicht jeder will Wal-Mart haben. Sie wollen einfach so leben, wie sie leben. Sie wollten, dass Saddam seine Macht verliert. Das taten wir. Und nun: Lasst uns gehen! Wir haben nun zwei Jahre lang den gleichen Scheißdreck. Sie haben nach wie vor keine Computer oder vernünftige Telefonleitungen. Wie hart ist es, das aufzubauen?
Eine anderes Thema ist der Aufbau der irakischen Armee. Wir mussten sie interviewen und ich brachte ihnen Erste Hilfe und andere Sachen bei, z.B. Druck- und Aderverbände anzulegen. 90% von ihnen waren ehemalige Militärs. Dauert es wirklich drei Jahre, ehemalige Soldaten auszubilden und ihnen das Land zu übergeben? Ich denke nicht.
Wie war es für Dich, als Du aus dem Irak zurück kamst?
Als ich nach Hause zurückkehrte, war ich ein anderer Mann. Ich hatte Fieber und wusste nicht warum. Ich ging ins Krankenhaus und sie stellten bei mir PTSD1 fest. Ich wurde ausgemustert. Ich begann, Alkohol zu trinken. Ich trank alle zwei Tage über eine Gallone2 Crown-Gin, da wurde es echt ernst. Und ich begann, Kokain zu nehmen, was ich noch nie vorher im Leben gemacht hatte, einfach nur, um zu Rande zu kommen. Sie warfen mit Pillen nach mir, Paxil und ähnlicher Plunder, womit du Selbstmord gefährdet bist. Deshalb haben sie mich entlassen - ehrenhaft.
Ich glaube wirklich, dass der Krieg mir fünf Jahre meines Lebens genommen hat. Bevor ich New York verließ, hatte ich volles Haar, und nun bin ich kahl, sehe gestresst aus. Meine Gesichtszüge sehen viel älter aus, es hat mich einfach sehr stark erschöpft. Ich war immer einer, der leicht durchs Leben ging, und nun, nach all dem, sehe ich aus wie Dr. Jekyll und Mr. Hyde. So nennt mich meine ehemalige Freundin. Die Krankenhäuser kümmern sich nicht darum. Sie erzählen, dass sich alles nur in deinem Kopf abspielt. Das stimmt nicht.
Letztes Jahr war mein Leben ein Scherbenhaufen, jetzt nehme ich es Stück für Stück wieder auf, gehe in die Schule und so.
Wie kamst Du in Kontakt mit den Iraq Vets Against the War (IVAW)?
Nun, ich hatte einen schlimmen Autounfall, der mit der PTSD zusammenhing. Ich kaufte ein neues Auto. Einige Leute, die mich wirklich kennen, sagten mir: "Vielleicht wolltest Du den Baum treffen." Ich denke, das war der Punkt, wo sich alles für mich wendete.
Und ich habe keine Krankenversicherung, weil sie 90 Tage nach der Entlassung ausläuft. Mein Bein wurde mit 55 Stichen genäht, mein Fuß war gebrochen. Ich erhielt einen Gipsverband und war doch so wütend: Ich wusste nicht wohin damit. Und dann tippte ich in Google "iraq veterans against war" - und, siehe da, IVAW erschien.
Die Leute sagten: "Du machst das für die Öffentlichkeit." Welche Öffentlichkeit? Das ist Graswurzelarbeit, niemand will uns hören. Ihr wisst es, IVAW, Military Families Speak Out (MFSO / Militärfamilien sprechen es aus). Aber ich könnte gegenüber vom Büro hingehen, es allen auf der Straße erzählen und sie würden fragen: "Wer? Was? Wo?" Es gibt keine Öffentlichkeit. Ich möchte einfach nicht, dass noch mehr Soldaten verwundet werden oder sterben. Ich meine Kinder, Soldaten, Zivilisten, alle. Warum Krieg? Es ist ein ungerechter Krieg. Er, Bush, lügt von Anfang an, vollständig. Warum töten? Was ist mit den 2.247 (getöteten US-Soldaten im Irak) oder so ähnlich? Es sind Leben, die ihre Mütter, Schwestern oder Brüder nie wieder zurückbekommen.
Wie ist es, bei IVAW zu arbeiten?
Großartig. Es ist eine großartige Erfahrung. Ich sprach auf der Demonstration Die Welt kann nicht warten auf dem Times Square. Es war großartig. Normalerweise spreche ich nur zu 20 bis 25 Personen, aber zu 2.000 zu sprechen war wie ..., Ihr wisst schon. Ich ging auf die Bühne und sagte, was ich zu sagen hatte. Als ich wieder herunter kam, schrieen die Leute, die ihre Familienangehörigen verloren hatten. Sie umarmten mich und so. Zu 90% habe ich positive Rückmeldungen bekommen. Die anderen 10% sind welche, die es nicht wissen.
Ich möchte das Leben von Soldaten retten und nicht verletzt werden. Weil niemand einen verkrüppelten Veteran haben will, auch nicht, um in der wahren Welt zu arbeiten. Dein Bein wird weggefegt, all solche Sachen, und sie sagen: "Oh ja, danke, dass Sie dem Land gedient haben, aber wir wollen nicht, dass Sie hier arbeiten. Wir wollen keine Rampen für Behinderte installieren müssen" oder ähnliches. Es ist lächerlich.
Und der andere Grund, warum ich es mache: Für meine eigene Therapie. Es hilft mir sehr, wirklich sehr.
Fußnoten
1. Post-Traumatic Stress Disorder/Posttraumtisches Stresssyndrom
2. 3,7853 l im amerikanischen Englisch
Francesca Fiorentini und Steve Theberge: An Iraq War Vet Speaks Out. Interview mit Michael Harmon. Aus: War Resisters’ League: The Nonviolent Activist, März/April 2006. Übersetzung: Rudi Friedrich und Thomas Stiefel. Der Beitrag erschien in: Connection e.V. und AG "KDV im Krieg" (Hrsg.): Rundbrief »KDV im Krieg«, September 2006.