"Ausgedient" - Eine Buchbesprechung
(01.11.2018) Es war in den 70er-Jahren; ich erinnere mich noch gut daran. Der Jugendoffizier kam in die Klasse und erklärte uns Kindern den Zweck der Bundeswehr: Die Sowjetunion würde maßlos aufrüsten und alle Länder unterjochen. Deshalb sei es gut, dass wir die Bundeswehr hätten, die sie mit der NATO davon abhalten würde, uns zu überfallen. Bundeswehr und NATO hätten also den Auftrag, Krieg zu verhindern bzw. unser Land im Falle eines nicht auszuschließenden Angriffs zu verteidigen.
In der Diskussion stellte er dann klar, dass alles andere, was wir behaupteten (Krieg, Befehl ist Befehl) einfach nicht zutreffe: Es gäbe die Innere Führung, nach der der Soldat kein Befehlsempfänger mehr sei, wie früher, sondern Staatsbürger, mit entsprechenden Rechten - zudem sei der Friedensauftrag im Grundgesetz usw. verfassungsrechtlich festgelegt. Der Soldat habe die Pflicht, zwischen Recht und Unrecht zu unterscheiden und muss sich rechtswidrigen Befehlen widersetzen.
Diese Argumentation hat viele überzeugt. Nicht jedoch uns; etwa 20 Prozent der Klasse haben den Kriegsdienst verweigert. Das erschien uns sicherer.
Diese Geschichte ging mir immer wieder durch den Kopf, als ich das Buch „Ausgedient“, den Fall des Oberstleutnants Jürgen Rose, las. Rose kommt aus einer Familie mit drei Generationen Soldatentradition – und er ist vermutlich auch heute noch von dem überzeugt, was man wohl auch ihm in den 70er Jahren aufgetischt hat. Aber spätestens mit der Deutschen Einheit hat sich der Auftrag der Bundeswehr entscheidend geändert. Nach der „Neuordnung des Balkans“, der ´Verteidigung unserer Freiheit am Hindukusch´, kamen neben unzähligen „Stabilisierungsmissionen“, „regime change“ und Flüchtlingsabwehr auf die Agenda - in Kooperation mit, nicht nur der NATO, sondern auch immer mehr auf europäischer Ebene. Aber: All das hat mit „Verteidigungsauftrag“, mit dem Schutz des Landes gegen einen Angriff nichts mehr zu tun. In diesem Zusammenhang ist es wirklich von Belang: Nach Art. 87a des GG stellt der Bund Streitkräfte „zur Verteidigung“ auf. Das macht im Prinzip den weltweiten Einsatz möglich und ist beileibe keine Reduzierung auf die Landesverteidigung, wie uns damals suggeriert worden ist.
Kein Wunder, dass es auch eine, wenngleich sehr kleine Zahl von Soldaten (+Innen) gab, die dagegen Einspruch erhoben bzw. nicht mitmachen wollten.
Bei einigen war der Auslöser die deutsche Unterstützung der „Koalition der Willigen“ beim „regime change“ im Irak. So z.B. beim Major Florian Pfaff. Er verweigerte seine Mitwirkung an diesem völkerrechtswidrigen Einsatz. Die teilweise Kriegsdienstverweigerung wurde nicht anerkannt. Da man ihn nicht entlassen konnte, musste er sich einer psychiatrischen Untersuchung unterziehen, wurde wegen „Ungehorsam“ degradiert und man verhängte eine Beförderungssperre gegen ihn. Da blieb ihm keine andere Möglichkeit als bis vors Oberste Gericht zu ziehen. Erst dort bekam er zumindest teilweise Recht – die Degradierung wurde aufgehoben, nicht aber die Beförderungssperre. Das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig urteilte am 21. Juni 2005: „Der Einsatz der Bundeswehr ´zur Verteidigung´ ist mithin stets nur als Abwehr gegen einen ´militärischen Angriff´ (Art. 51. UN-Charta) erlaubt, jedoch nicht zur Verfolgung, Durchsetzung und Sicherung ökonomischer oder politischer Interessen.“ „Ein Staat, der sich … über das völkerrechtswidrige Gewaltverbot der UN-Charta hinwegsetzt und zur militärischen Gewalt greift, handelt völkerrechtswidrig. Er begeht eine militärische Aggression.“ Es gab im Frühjahr 2003 „keine völkerrechtlich wirksame Ermächtigungsgrundlage für militärische Kampfhandlungen gegen den Irak“. Und, in bezug auf die vielfältigen deutschen Unterstützungsleistungen: „Eine Beihilfe zu einem völkerrechtlichen Delikt ist selbst ein völkerrechtliches Delikt. (Alles: BVerwG 2 WD 12.04) Diese Argumentation ist sicherlich keine generell gegen Krieg gerichtete, sondern eine Klarstellung der bestehenden Gesetzeslage. Und daran haben sich die Regierenden zu halten, tun es aber nicht. Interessant ist in diesem Zusammenhang auch, dass der Generalbundesanwalt die Einleitung von Strafverfahren gegen die politisch Verantwortlichen im Zusammenhang mit der Beihilfe zum Angriffskrieg mit folgender Argumentation ablehnt: „Nach dem eindeutigen Wortlaut des § 80 Abs. 1 StGB ist nur die Vorbereitung an einen Angriffskrieg und nicht der Angriffskrieg selbst strafbar, so dass auch die Beteiligung an einem von anderen vorbereiteten Angriffskrieg nicht darunter fällt.“ (Brief an Helmuth Prieß – 3.8.06)
Auf der Basis dieses Urteils prangerte der Soldat Jürgen Rose am 27.5.06 in einem Artikel der Zeitschrift „Ossietzky“ seine Dienstvorgesetzten, die Generalität, an. Sie habe „auf Anordnung der Bundesregierung willfährig und vorbehaltlos schweren Völkerrechts- und zugleich Verfassungsbruch begangen, indem sie mit Tausenden von Soldaten dem Imperium Americanum Beihilfe zu einem eindeutigen Aggressionskrieg leistete“. Sie hätte hätte erkennen müssen, was da vor sich ging. Folgerichtig warf er ihr „Opportunismus, Feigheit, Skrupellosigkeit“ vor. Rose hatte die vom Bundesministerium der Verteidigung herausgegebene Schrift „Politische Betätigung von Soldaten im außerdienstlichen Bereich“ ernst genommen, in der es heißt: „Jeder Soldat kann daher außerdienstlich grundsätzlich seine Meinung frei äußern, auch wenn es sich dabei um politische Themen handelt und seine Auffassung von der politischen Linie der Regierung abweicht.“ Dass sich Roses drastische Wortwahl an der konstatierten „Beihilfe zum Angriffskrieg“ orientieren musste, um überhaupt wahrgenommen zu werden, versteht sich von selbst. Trotzdem wurde er zu einer Disziplinarstrafe von 750 € verurteilt, da er „Vorgesetzte in ehrverletzender Weise herabgewürdigt“ habe. Ein weiteres Disziplinarverfahren wurde eingestellt, da er 2009 „in den Ruhestand versetzt“ worden ist.
Als er dann auch noch (mit Unterstützung durch das Büro des Wehrbeauftragten!) den Antrag stellte, im Rahmen des politischen Unterrichts über das Urteil und die daraus folgenden Konsequenzen, die Soldaten zu informieren, waren sich alle Instanzen der Bundeswehr - und später auch alle Gerichte im Prinzip einig: Das Bundesverfassungsgericht nahm den Antrag nicht an, die Äußerungen seien zwar keine Verletzung der Menschenwürde und auch keine Schmähkritik, seien aber geeignet, „die Funktionsfähigkeit der Bundeswehr empfindlich zu stören“. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte nahm die Beschwerde nicht an, da die Geldbuße relativ moderat sei. Schwamm über die Beihilfe zum völkerrechtswidrigen Angriffskrieg. Stattdessen: „Das war eine Beleidigung und Rose wurde zurecht dafür bestraft.“ Recht haben und Recht bekommen sind zwei Paar Stiefel, sagt der Volksmund.
Gerade hat auf der Münchner sog. Sicherheitskonferenz damals noch amtierende Außenminister Gabriel bekundet: Deutschland werde „massiv in die Geschlossenheit und Handlungsfähigkeit Europas investieren und dazu beitragen, dass Europa als starker Pol seine Interessen vertreten kann.“ Man kann das so oder so lesen, aber erweiterte EU-Kriegsführungsfähigkeiten sind damit bestimmt nicht ausgeschlossen. Die amtierende Verteidigungsministerin von der Leyen stellte das auch klar: „Es geht um ein Europa, das auch militärisch mehr Gewicht in die Waagschale werfen kann.“ Es sei „europäische Zukunftsaufgabe“ militärisches Gewicht „auch tatsächlich einzusetzen, wenn es die Umstände erfordern.“ (Alle Zitate nach Süddeutsche Zeitung Nr. 40 – Sa., 17.2.18) Wenn nationalstaatliche Kriege so umstritten sind, wenn in der NATO sich die USA so viel rausnehmen, dann wäre Krieg führen unter europäischer Ägide wohl eine Option. Die Politik zieht also aus den vergangenen Kriegen, egal ob legal oder illegal, die Lehre: Wir bereiten schon mal die nächsten vor. Es wird sich schon ein Anlass finden.
Das Buch beginnt mit einem Vorwort des Anwalts Dr. Heinrich Hannover, der die „Causa Rose“ in die Geschichte der Bundesrepublik einordnet. Es folgt ein Beitrag von Jürgen Rose, wobei er Details seines Falles hervorhebt und am Schluss findet sich eine Nachbemerkung des Herausgebers Erhard Crome zu Bundeswehr, Nato und der aktuellen Aufgabenstellung. Den Kern des Buches bilden Briefwechsel, Aktennotizen, Entscheidungen, Urteile, Bundestagsanfragen, Zeitungsartikel, praktisch alles, was sich in einer dicken Akte befindet. Das ist ein Fundus, in dem man alles nochmals im Detail nachlesen kann. Leserfreundlich ist es aber nicht, denn vieles wiederholt sich bzw. ist schlicht überflüssig wie z.B. Rechnungen. Schön wäre es auch gewesen, das Pfaff-Urteil in Gänze darin zu finden.
Trotzdem: Roses 600seitige Dokumentation ist wirklich wichtig. Auch wenn er schließlich nur Ärger und keinen Erfolg hatte, so war sein vehementer Einspruch doch eine Ermutigung für alle, die den Kriegsvorbereitungen nicht tatenlos zusehen wollen. Um die kommenden Kriege zu verhindern, bedarf es allerdings nicht nur SoldatInnen, die sich nicht unterkriegen lassen, sondern vor allem auch eines enormen Widerstands um die derzeitigen Aufrüstungsvorhaben umzukehren und die Verfassungsvorschriften einzuhalten. Denn es ist offensichtlich: Die neuen Kriege werden mit der NATO und ganz klar auch auf der europäischen Schiene vorbereitet. Die derzeitigen Klagen über „mangelnde Einsatzfähigkeiten“ lassen keinen anderen Schluss zu.
Franz Nadler: "Ausgedient" - Eine Buchbesprechung. 1. November 2018. Der Beitrag wurde veröffentlicht in: Connection e.V. (Hrsg.): Rundbrief »KDV im Krieg«, Ausgabe November 2018
Titel: Erhard Crome (Hrsg.): Ausgedient – Die Bundeswehr, die Meinungsfreiheit und die „Causa Rose“. Teil 1 & 2. ISBN 978-3-943931-00-6, Schkeuditzer Buchverlag, Schkeuditz 2016, 646 S., 30 €
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