Israel: Wozu New Profile ermutigt
Die israelische Organisation New Profile hatte Anzeigen im Internet geschaltet, mit denen sie darüber informierte, dass junge Männer und Frauen den Dienst in der israelischen Armee verweigern oder sich vom Dienst freistellen lassen können (...mehr). Die Kampagne führte nicht nur zu heftigen Diskussionen und harschen Reaktionen. Im September 2008 eröffnete die Staatsanwaltschaft ein Ermittlungsverfahren gegen die Organisation. Rela Mazali von New Profile bezieht im folgenden Beitrag Stellung dazu. (d. Red.)
Die israelischen Behörden haben in ihrem „Krieg“ (so Ha’aretz) gegen israelische Jugendliche eine neue Front eröffnet und legen damit in ihrer Kampagne gegen so genannte „Drückeberger“ noch eins drauf.
Immer mehr junge Männer und Frauen sehen sich außerstande, das abgedroschene israelische Diktum zu akzeptieren, das besagt: „Es gibt keine andere Wahl“, oder diesem gar zu vertrauen. Vier Generationen und über sechs Jahrzehnte sich endlos wiederholender „militärischer Lösungen“ haben eine immer größer werdende Bewegung junger Menschen hervorgebracht, die angesichts der gesetzlich vorgeschriebenen Verpflichtung zum Dienst in der Armee schmerzliche innere Kämpfe und tiefe Zerrissenheit erleben. Auch wenn die staatlichen Gerichte, militärische wie zivile, versuchen, die Verfahren in „politisch“ (sehr selten), „aus Gewissensgründen“ oder „psychologisch“ aufzuteilen: Diese inneren Konflikte sind ebenso emotionaler wie ideologischer Natur. Eine Rolle spielen dabei Gefühle, Überzeugungen, Ideen, Glaubensgrundsätze, Zweifel, Persönlichkeit, Lebenserfahrung und Selbstwahrnehmung. Für manche jungen Leute bergen sie ein höchst gefährliches Maß an Verzweiflung, und in der Tat sind in den letzten Jahren mehr israelische Soldaten durch Selbstmord ums Leben gekommen als durch alle anderen Todesursachen zusammen.
Statt auf die Bürger der Zukunft zu hören, statt das Ausmaß des sozialen Wandels zu begreifen, der sich in dieser Entwicklung spiegelt, und darauf mit einer veränderten, innovativen Politik zu reagieren, haben sich die Institutionen des israelischen Staates entschieden, gegen diese Jugendlichen und gegen die Entwicklung, für die sie stehen, „Krieg“ zu führen. Die Kriminalisierung der Bewegung bedeutet, dass die Behörden jetzt in deren offener und legaler Widerstandsarbeit nach Gesetzesübertretungen forschen, ein Schritt, der typisch ist für einen militarisierten Staat, der seine Macht missbraucht, im Bemühen, eine alte, zerbrechende Ordnung aufrecht zu erhalten.
Die Pressemeldung in Ha’aretz berichtet von einem jetzt gegen die Bewegung New Profile eingeleiteten Ermittlungsverfahren. Generalstaatsanwalt Menachem Mazuz, so der Artikel, hat eine Untersuchung der Aktivitäten der Bewegung angeordnet. Unter anderem werde sie verdächtigt „[Menschen] davon zu überzeugen, sich vom Militärdienst befreien zu lassen“.
Ich bin seit der Gründung von New Profile vor zehn Jahren aktives Mitglied der Bewegung. Wir sind eine feministische Gruppe von Frauen wie Männern, die erkannt hat, dass es heute in Israel eine unorganisierte, soziale Bewegung gibt, die von Jugendlichen getragen wird. New Profile weiß um die große Bedeutung dieser Bewegung und kümmert sich um die Rechte und Bedürfnisse der beteiligten jungen Menschen, damit diese die dringenden Fragen, denen sie sich gegenüber sehen, offen diskutieren können - auf Grundlage vollständiger und genauer Informationen über das, was sie erwartet. Was solche Informationen angeht, sind die Behörden, gelinde gesagt, nicht sehr mitteilsam. Dies ist nur eine von vielen Arten, mit denen New Profile daran arbeitet, das militärische Denken zu verändern, das alle Menschen in Israel/Palästina zur Geisel einer Politik der Gewalt macht. Bis heute hat praktisch jede israelische Regierung diese Politik betrieben. Auch wenn manche, ob Einzelpersonen oder Institutionen, über die Aktivitäten von New Profile in Wut geraten mögen - sie sind vollkommen legal.
Der kurze Artikel in Ha’aretz, von Amos Harel unter Mitarbeit von Yuval Azoulay geschrieben, ist ein Beispiel für die militarisierte Justiz und die einseitige Haltung, die staatliche Institutionen und Medien gern gegenüber anders denkenden Gruppierungen einnehmen. Der Stellvertretende Generalstaatsanwalt Shai Nitzan, dessen Brief in dem Beitrag zitiert wird, hat das Rechtsprinzip der Unschuldsvermutung anscheinend auf den Kopf gestellt, so dass nun die Schuld angenommen wird, so lange die Unschuld nicht bewiesen ist. Ermittlungsverfahren hin und her, schon mit der Anweisung für die Untersuchung hat Nitzan klar gestellt, wie „schwerwiegend die Anstiftung zur Wehrdienstvermeidung“ ist. Auch Amos Harel braucht das noch gar nicht durchgeführte Ermittlungsverfahren nicht, wenn er die Behauptungen des Staatsbeamten papageienhaft wiederholt, statt sie zu prüfen. Er spricht New Profile ganz nebenbei schuldig, in dem er es - ganz als wiederhole er schlicht Fakten - als eine Bewegung beschreibt, die „dazu ermutigt, sich dem Wehrdienst zu entziehen“.
New Profile, so wie ich die Bewegung kenne, ermutigt dazu, nicht auf der Hand liegende, unorthodoxe Fragen zu stellen, diese zu untersuchen und öffentlich zu diskutieren. New Profile ermutigt dazu, für einige der gefundenen Antworten persönlich und kollektiv Verantwortung zu übernehmen. Es ermutigt dazu, Techniken und Strategien zu erlernen oder neu zu entwickeln, unter Inanspruchnahme von Bürger- und Menschenrechten sowie der Gerichte, diesen Antworten entsprechend zu handeln. Ich glaube, dass wir für und im Sinne einer Zukunft sprechen, die nicht zum Schweigen gebracht werden wird.
Rela Mazali vom 16. September 2008. Übersetzung: Martina Schwarz. Entnommen aus: http://yanda-ev.de/Wozu%20New%20Profile%20ermutigt.pdf. Der Beitrag erschien im Rundbrief »KDV im Krieg«, November 2008.
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