Unterlassene Hilfeleistung statt Menschenrechtsschutz

Zum Internationalen Tag der Kriegsdienstverweigerung

von EBCO

(14.05.2019) Anlässlich des Internationalen Tags der Kriegsdienstverweigerung am 15. Mai erinnert das Europäische Büro für Kriegsdienstverweigerung (EBCO), dem auch die Evangelische Arbeitsgemeinschaft für KDV und Frieden (EAK) angehört, an die vielfältigen Diskriminierungen, denen Kriegsdienstgegner in Europa nach wie vor ausgesetzt sind. Im Vorfeld der Europawahl weist EBCO darüber hinaus auf das fortbestehende Versäumnis der europäischen Institutionen hin, gegen die Verletzung des Menschenrechts auf Kriegsdienstverweigerung einzuschreiten. Rückblickend auf das vergangene Jahr macht EBCO-Vorsitzender Friedhelm Schneider, der für die EAK bei EBCO tätig ist, deutlich: „Das fortgesetzte Versagen der großen europäischen Institutionen, die erneut die Unterstützung diskriminierter und verfolgter Militärdienstverweigerer vermissen ließen, erfüllt menschenrechtspolitisch den Tatbestand der unterlassenen Hilfeleistung.“

Auf der politischen Tagesordnung des Europarats und der Europäischen Union war zum Thema Kriegsdienstverweigerung auch im Jahr 2018 wieder Fehlanzeige zu vermelden. Dieses Versäumnis ist besonders schwerwiegend im Blick auf Staaten, die Kriegsdienstverweigerer seit Jahrzehnten verfolgen und misshandeln:

So verpflichtete Aserbaidschan sich 2001 bei seinem Beitritt zum Europarat, bis Januar 2003 ein europäischen Standards entsprechendes Zivildienstgesetz zu verabschieden. Ein solches Gesetz hat es nie gegeben. Bis heute werden Kriegsdienstverweigerer in Aserbaidschan inhaftiert. Für die Türkei stellt sich die Lage ähnlich dar. Das Grundsatzurteil, das der Europäische Menschenrechtsgerichtshof im Januar 2006 zugunsten des Kriegsdienstverweigerers Osman Murat Ülke fällte, ist bis heute nicht umgesetzt. Trotz einer gemeinsamen Eingabe von EBCO, War Resisters‘ International und Internationalem Versöhnungsbund traf das zuständige Europarats-Ministerkomitee auch im vergangenen Jahr keine weiterführende Entscheidung.

Mit der jahrzehntelangen Diskriminierung griechischer Kriegsdienstverweigerer konfrontiert, behauptet auf EU-Ebene die EUGrundrechteagentur ihre Unzuständigkeit für den Schutz des Rechts auf Kriegsdienstverweigerung, obwohl dieses Recht in Artikel 10 Abs.2 der Europäischen Grundrechtecharta niedergelegt ist. Hier besteht dringender Klärungsbedarf.

Eine Ausnahme von diesem allgemeinen Trend machte das Europäische Jugendforum, das im November 2018 eine umfassende Entschließung zum Recht auf Militärdienstverweigerung in Europa verabschiedete. Darin werden unter anderem die Mitgliedsorganisationen aufgefordert, das Recht auf Kriegsdienstverweigerung als Jugendrecht voranzubringen.

Insgesamt bleibt die schwarze Liste der Europarats-Mitgliedstaaten, die Kriegsdienstverweigerer diskriminieren, unverändert. Um nur einige Beispiele zu nennen: Die massive Unterdrückung von Kriegsgegnern in Aserbaidschan und der Türkei dauert an. Über die Ukraine wurde Ende November zeitweise das Kriegsrecht verhängt. Diese Maßnahme zeigt, dass die schon zuvor dramatische Lage der Kriegsdienstverweigerer dort sich jederzeit weiter zuspitzen kann. Die Verfolgung der Zeugen Jehovas in Russland schwächt weiterhin das staatliche Zivildienst-System. Ungeachtet der scharfen Kritik aller relevanten Menschenrechtsinstitutionen verletzt die diskriminierende Gesetzgebung zur Kriegsdienstverweigerung in Griechenland weiterhin grundlegende internationale Menschenrechtsstandards – trotz der jüngst verabschiedeten Gesetzesnovellierung vom April 2019. In der Schweiz plant die Regierung seit Juni 2018, das Schweizer Zivildienstgesetz um einen Katalog von Bestimmungen zu erweitern, die Kriegsdienstverweigerer zusätzlich belasten. Ziel dieser als diskriminierend zu bewertenden Maßnahmen ist es, die Akzeptanz des Militärdienstes dadurch zu erhöhen, dass die Attraktivität des Zivildienstes reduziert wird.

 Einen Hoffnungsschimmer bedeutet die kürzlich veröffentlichte Novellierung des Militärdienstgesetzes im türkisch besetzten, nördlichen Teil von Zypern. Der Text der Novelle ist, wenngleich nicht perfekt, so doch bemerkenswert positiv. Als offizielles Dokument markiert er erstmals die Anerkennung der Militärdienstverweigerung aus Gewissensgründen in einem türkisch dominierten Kontext – vorausgesetzt, dass der noch nicht abgeschlossene parlamentarische Prozess zu einem positiven Ergebnis führt.

 EBCO-Vorsitzender Friedhelm Schneider resümiert: „Die Kriegsdienstverweigerung aus Gewissensgründen ist ein heilsames Korrektiv zur Militarisierung Europas und die Achtung des Menschenrechts auf Kriegsdienstverweigerung ist ein wesentliches Element des Friedensprojekts Europa. Deshalb appelliert das Europäische Büro für Kriegsdienstverweigerung an alle derzeitigen und künftigen Mitglieder der europäischen Institutionen, die nicht-diskriminierende Umsetzung des Grundrechts auf Kriegsdienstverweigerung nachhaltig zu unterstützen.“

Weitere Infos: www.ebco-beoc.org

Europäisches Büro für Kriegsdienstverweigerung: Pressemitteilung vom 14. Mai 2019

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