Israel: Drusen verweigern sich der Armee, obwohl sie damit Haft riskieren
(06.05.2019) Ramallah, West Bank — Kamal Zeidan ist einer aus der offensichtlich wachsenden Zahl von drusischen Jugendlichen in Israel, die die Ableistung des Militärdienstes verweigern. Der 18-jährige saß im April zwei Mal für wenige Woche in Haft und er rechnet damit, in Kürze erneut inhaftiert zu werden.
Zeidan ist Angehöriger der religiösen Minderheit der Drusen in Beit Jann, einer Stadt in Genezareth im Norden Israels. Nachdem er am 8. April 2019 seine erste Einberufung erhalten hatte, ging er eine Woche später nach Tel Aviv, um mitzuteilen, dass er verweigern werde. Er gab „nationale Gründe“ an, da er sich selbst als palästinensischer Araber ansieht. Er wurde zu einer Haftstrafe von fünf Tagen im Militärgefängnis in Atlit verurteilt und am 19. April aus der Haft entlassen. Nach seiner zweiten Verweigerung verurteilte ihn das Militärgericht des Einberufungsbüros der israelischen Armee in Tel Aviv am 28. April zu weiteren sieben Tagen Haft.
Zeidans Vater, Rechtsanwalt und Aktivist Yaman Zeidan, berichtete Al-Monitor, dass sein Sohn beim ersten Mal in Einzelhaft genommen wurde, weil er sich geweigert habe, vor dem Gefängnisoffizier zu salutieren und erklärt habe: „Ich bin kein Soldat und ich werde niemals einer werden. Ich fordere Sie auf, mich als Gefangenen zu behandeln, nicht als Soldaten.“
Für muslimische und christliche Araber in Israel ist eine Einberufung auf freiwilliger Basis möglich. Aber drusische Männer sind wehrpflichtig, wenn sie nicht aus bestimmten Gründen vom Dienst ausgeschlossen werden. Gründe können sein, dass sie nachgewiesenermaßen psychischen Schaden durch den Dienst erleiden würden, ausgemustert werden oder wenn der Dienst ihre religiöse Überzeugung verletzt.
Wer von ihnen verweigert, wird oft zu besonders langen Haftstrafen verurteilt, um sie unter Druck zu setzen. Wenn sie auch nach einem Jahr ihre Meinung nicht geändert haben, werden ihre Fälle der Militärjustiz übergeben, womit sie zu einer Haftstrafe von bis zu drei Jahren verurteilt werden können. Das entspricht der Länge des Militärdienstes für Wehrpflichtige.
Die Dienstverpflichtung stammt aus einem Gesetz von 1956, mit dem sich verschiedene Führer der Drusen einverstanden erklärt hatten. Im Gegenzug wurden die Drusen als eigenständige religiöse Gruppe unabhängig vom Islam anerkannt und sie erhielten einige Privilegien und Jobs.
„Es ist nicht neu zu verweigern“, sagte Yaman Zeidan. „Es begann schon am ersten Tag, nachdem das Gesetz in Kraft trat. [Mein Sohn] Kamal ist nicht der erste Verweigerer und er wird nicht der letzte sein. Es gibt Tausende von ihnen.“ Der Rechtsanwalt ergänzt, dass die Zahl der Verweigerer ansteigt, dies aber nicht publiziert werde, da die Verweigerer den Medien nur ungern über ihre Erfahrungen berichten. Das sei z.B. bei 15 Drusen der Fall gewesen, die sein Sohn im Gefängnis in Atlit getroffen hat.
Der Anstieg der Verweigerungen, so der Vater, sei einem wachsenden nationalen Bewusstsein geschuldet. Viele junge Drusen glauben, dass Israel die Prinzipien der Gleichheit mit dem im Juli verabschiedeten Nationalen Staatsgesetz untergraben hat. Darin wird Israel als Nation der jüdischen Bevölkerung definiert.
In Israel gibt es 120.000 Drusen
Yaman Zeidan hat bittere Erfahrungen hinter sich. Er verlor zwei Brüder, die in der Armee Dienst leisteten. Er selbst wurde daraufhin von der Ableistung des Militärdienstes ausgenommen, aber er arbeitete von 2002 bis 2005 als Aufseher für den israelischen Gefängnisdienst. Er traf viele Inhaftierte. Darüber wurde er sich seiner politischen und nationalen Identität bewusst und entschied, Jura zu studieren. Seit er Anwalt geworden ist, widmet er seine Zeit der Verteidigung palästinensischer Gefangener, in Zusammenarbeit mit der palästinensischen Kommission der Gefangenen und Ex-Gefangenen. Und er bekämpft die Wehrpflicht.
Drusen unterstützen ihre jungen Männer über die Kampagne “Verweigere! Dein Volk wird Dich schützen“. Sie wurde 2014 gestartet. Koordinatorin Maisan Hamdan berichtete: „Die Bewegung sieht die den jungen Drusen auferlegte Wehrpflicht als palästinensische Sache an. Der Kampf sollte Teil des palästinensischen Kampfes sein.“
Sie ergänzte, dass einer der Gründe für die Wehrpflicht der Drusen ist, dass ihnen die palästinensische Geschichte verschwiegen und sie nicht in der Schule gelehrt wird. Junge Drusen werden während ihres Dienstes auch angewiesen, in allen Bereichen zu dienen, in denen die Armee mit Palästinenser*innen zu tun hat: an der Grenze, in den Gefängnissen und an den Checkpoints. Das führt zu einem negativen Bild der Drusen unter Palästinenser*innen. „Daneben wurde auch die Beteiligung der Drusen am palästinensischen Kampf gegen Israel nach 1948 ausgeblendet.“
Hamdan merkt an: „Die Bewegung unterstützt Verweigerer und sorgt für Aufmerksamkeit für sie. Sie versucht das [negative] Bild über Drusen in der palästinensischen Jugend zu brechen.“ Die Bewegung „setzt ihren Schwerpunkt auf verschiedene Medienkampagnen, dokumentiert Geschichten und Erfahrungen der Verweigerer, um so der israelischen Darstellung etwas entgegenzusetzen, dass kein Verweigerer es zu etwas im Leben bringen kann.“ Aktivitäten wie „Nebenbei gesagt“, so berichtet sie weiter, die in Verbindung mit der schon benannten Kampagne „Verweigere! Dein Volk wird Dich schützen“ stehen, beinhalteten verschiedene Aktionen, Sit-ins und Proteste, wie am 3. Mai vor dem Gefängnis Atlit. Darüber würden auch lange Zeit unbekannte historische Dokumente über die drusische nationale Rolle veröffentlicht. „Nebenbei gesagt“ sei von einer Gruppe junger Männer und Frauen 2014 ins Leben gerufen worden, die vor dem Gefängnis in Atlit eine Protestaktion gegen die Wehrpflicht durchgeführt hatten.
Am 3. Mai 2019 hatte eine Gruppe von Palästinenser*innen vor dem Gefängnis Atlit in der Nähe der Stadt Haifa eine Protestaktion im Rahmen der Kampagne „Verweigere! Dein Volk wird Dich schützen“ durchgeführt, um Kamal Zeidan zu unterstützen. Die Bewegung, so ergänzt Hamdan, habe auch eine Unterstützungsgruppe gebildet, in der zur Begleitung der Jugendlichen professionelle Hilfe bei sozialen und Rechtsfragen angeboten werde. Die Unterstützung beginne mit ihrer Verweigerung, und werde fortgeführt, bis sie aus der Armee entlassen werden. Sie umfasse auch eventuelle Verfahren vor den Militärgerichten.
Ahmad Melhem, AL-Monitor: More Druze risk prison to reject military service in Israel. 6. Mai 2019. Übersetzung: rf. Quelle: www.al-monitor.com/pulse/originals/2019/04/israel-druze-arabs-refuse-compulsory-military-service.html. Der Beitrag wurde veröffentlicht in: Connection e.V. (Hrsg.): Rundbrief »KDV im Krieg«, Ausgabe September 2019
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