Rundbrief »KDV im Krieg« - September 2019

Rundbrief »KDV im Krieg« - September 2019

Turkmenistan: Vierter Kriegsdienstverweigerer 2019 verurteilt

von Felix Corley

(05.09.2019) Ein Gericht in der Hauptstadt Aşgabat verurteilte den 20-jährigen Kriegsdienstverweigerer Azat Ashirov am 31. Juli 2019 zu zwei Jahren Haft. Er hatte zuvor schriftlich seine Kriegsdienstverweigerung erklärt und angeboten, einen alternativen Dienst abzuleisten. Die Staatsanwaltschaft klagte ihn jedoch an, sich arglistig seiner Wehrpflicht entzogen zu haben. Ashirov legte gegen das Urteil Berufung ein.

Derzeit sind in Turkmenistan sieben Kriegsdienstverweigerer in Haft, vier von ihnen wurden 2019 zu Haftstrafen verurteilt. Sie verbüßen Haftstrafen von ein bis zu vier Jahren. Sechs der Kriegsdienstverweigerer befinden sich im Arbeitslager Seýdi.

Turkmenistan ignoriert wiederholte internationale Aufrufe, im Rahmen der Wehrpflicht eine Alternative zur Ableistung des Militärdienstes einzuführen.

Bis zu vier Jahre Haft

Turkmenistan bietet keine Alternative zur Ableistung des Militärdienstes an.1 Die Dauer des Militärdienstes beträgt in der Regel zwei Jahre und ist im Alter zwischen 18 und 27 Jahren abzuleisten. Artikel 58 der Verfassung von 2016 sieht die Verteidigung für jeden als „heilige Pflicht“ an und sieht eine Wehrpflicht für Männer vor.

Junge Männer, die aus Gewissensgründen den Militärdienst verweigern, sehen sich in der Regel der Strafverfolgung nach Artikel 219 Absatz 1 des Strafgesetzbuches ausgesetzt. Danach droht ihnen wegen der Verweigerung des Dienstes in der Armee in Friedenszeiten eine Haftstrafe von bis zu zwei Jahren oder bis zu zwei Jahren Arbeitsdienst.

Artikel 219 Absatz 2 bewehrt die Verweigerung des Dienstes in Friedenszeiten „durch Selbstverletzung oder durch Simulation einer Krankheit, durch Fälschung von Dokumenten oder auf andere betrügerische Weise“ mit einer Gefängnisstrafe von ein bis vier Jahren. Der erste bekannte Fall, in dem dieser Straftatbestand angewandt wurde, ist der von Azat Ashirov (s. unten).

Mit Artikel 344 Absatz 2 wird die „Verweigerung militärischer Pflichten durch Vortäuschung von Krankheit oder auf andere Art und Weise mit dem Ziel, eine vollständige Befreiung von den Militärdienstpflichten zu erreichen“ mit einer Gefängnisstrafe von bis zu sieben Jahren verfolgt. Dieser Artikel wurde im Juli 2019 gegen Bahtiyar Atahanov verwandt.

Bahtiyar Atahanov hatte in einer schriftlich vorgelegten Erklärung dargelegt, dass er aufgrund seiner religiösen Überzeugungen nicht in den Streitkräften Dienst ableisten könne. Dennoch wurde er vom Rekrutierungsbüro in Türkmenabat einberufen und zwangsweise dem Militär überstellt.

Am 15. Juli 2019 wurde ein Strafverfahren gegen ihn durchgeführt, das einem Schauprozess glich. Ein Richter des Stadtgerichts Tejen kam zur Militäreinheit, um das Verfahren durchzuführen. Atahanov wurde nach Artikel 344 Absatz 2 zu vier Jahren Haft verurteilt.2

Von 2014 an verurteilten die Gerichte Kriegsdienstverweigerer statt zu Gefängnisstrafen zu Arbeitseinsätzen oder Bewährungsstrafen.3 Seit 2018 werden aber wieder Haftstrafen ausgesprochen. 2018 wurden zwei zu zwei Jahren Haft, zehn zu je einem Jahr Haft verurteilt.4

Internationale Aufrufe ignoriert

Turkmenistan ignoriert wiederholte internationale Aufrufe im Rahmen der Wehrpflicht eine Alternative zur Ableistung des Militärdienstes einzuführen. Das Menschenrechtskomitee der Vereinten Nationen hat elf Entscheidungen zugunsten von Kriegsdienstverweigerern aus Turkmenistan getroffen. In der zuletzt ergangenen Entscheidung, die am 4. April 2019 veröffentlicht wurde (CCPR/C/125/D/2316/2013), stellt das Komitee fest, dass die Menschenrechte des Kriegsdienstverweigerers Arslan Dawletow verletzt worden sind. Er war im Dezember 2012 zu 18 Monaten Haft verurteilt worden.5

Forum 18 konnte nicht herausfinden, warum die Regierung keinen alternativen Dienst einführen und warum Kriegsdienstverweigerer wie Ashirov und weitere sechs Zeugen Jehovahs weiter in Haft sind, obwohl sie sich bereit erklärt haben, einen alternativen Dienst abzuleisten.

Anrufe beim Vorsitzenden des parlamentarischen Menschenrechtskomitees, Yusupguly Eshshayev, bei der Ombudsperson für Menschenrechte, Yazdursun Gurbannazarova und beim stellvertretenden Vorsitzenden der Regierungskommission für die Arbeit mit religiösen Gemeinschaften und zur Analyse von Quellen mit religiösen Informationen, Gurbanberdy Nursakhatov, blieben am 4. und 5. September unbeantwortet.

Einberufung, Strafverfahren und Verurteilung

Mit der Frühjahrseinberufung 2019 wurde der Zeuge Jehovah Azat Gurbanmuhammedovich Ashirov vom Rekrutierungsbüro zum Militärdienst einberufen. Wie alle anderen Zeugen Jehovah überreichte der am 7. Januar 1999 geborene Ashirov eine schriftliche Erklärung, in der er darlegte, warum er keinen Militärdienst ableisten könne. Er erklärte sich darin auch bereit, einen alternativen Dienst abzuleisten.

Die Behörden lehnten seinen Antrag jedoch ab. Sie klagten ihn an, dass er arglistige Methoden angewandt habe, um sich der Ableistung des Militärdienstes zu entziehen. Die Staatsanwaltschaft des Bezirkes Abadan in Aşgabat bereitete ein Verfahren nach Artikel 219 Absatz 2 gegen ihn vor, mit dem die Verweigerung des Dienstes in Friedenszeiten „durch Selbstverletzung oder durch Simulation einer Krankheit, durch Fälschung von Dokumenten oder auf andere betrügerische Weise“ verfolgt wird.

Die Staatsanwaltschaft legte den Fall dem Bezirksgericht Abadan vor. Ashirov wies die Anschuldigung zurück. Er wurde am 31. Juli 2019 dennoch durch das Gericht zu einer zweijährigen Haftstrafe verurteilt, so die Zeugen Jehovahs gegenüber Forum 18.

Anfang August legte Ashirov Berufung gegen das Urteil ein. Darüber wird das Stadtgericht Aşgabat befinden. Das Bezirksgericht Abadan bestätigte seiner Mutter am 22. August, dass die Berufungsklage eingegangen sei. Ein Termin für die Verhandlung ist bis jetzt nicht bekannt.

Ashirov wird im Untersuchungsgefängnis (AH-D/1) bei Yashlyk festgehalten, 40 Kilometer südöstlich von Aşgabat. Es wird erwartet, dass er in das Arbeitslager Seýdi überstellt werden wird.

Sechs Verweigerer im Arbeitslager Seýdi

Mit Ashirovs Verurteilung sind nun, am 5. September 2019, sieben Kriegsdienstverweigerer der Zeugen Jehovahs in Turkmenistan inhaftiert. Sechs von ihnen befinden sich unter harten Haftbedingungen im Arbeitslager Seýdi in der Wüste der Region Lebap.

Die Adresse: 746222 Lebap velayat, Seýdi, uchr. LB-E/12, Turkmenistan.

In seiner Beschwerde an das Menschenrechtskomitee der Vereinten Nationen hatte der ehemalige Gewissensgefangene Aibek Salayev die Bedingungen im Arbeitslager Seýdi als „unmenschlich“ bezeichnet. Er stellte fest, dass das Lager „bekannt sei für die Überbelegung, die rauen klimatischen Bedingungen, die knappen Vorräte an Nahrungsmitteln, Medikamenten und Körperpflegemitteln sowie für Tuberkulose, Hautkrankheiten, hohe Sterblichkeitsrate und körperlichen Missbrauch.“ Ihm sei von Aufsehern auch Vergewaltigung angedroht worden.

Das UN-Menschenrechtskomitee stellte in einer Entscheidung vom 18.4.2019 (CCPR/C/125/D/2448/ 2014) fest, dass die Rechte von Salayev und eines anderen Zeugen Jehovahs verletzt wurden.6

Nach Verbüßung der vollen Haftstrafe entlassen

Im August 2019 wurden vier Kriegsdienstverweigerer aus dem Arbeitslager Seýdi freigelassen, nachdem sie die volle einjährige Haftstrafe verbüßt hatten:7

  • Isa Muslimovich Sayayev, geboren am 14. Mai 1994, kam nach genau einem Jahr am 9. August 2019 frei.
  • Ruslan Khadynyaz oglu Artykmuradov, geboren am 24. Mai 2000, wurde einen Tag vor dem vollen Jahr am 12. August 2019 freigelassen.
  • Sokhbet Rejepmyradovich Agamyradov, geboren am 4. Januar 2000, wurde nach genau einem Jahr am 27. August 2019 freigelassen.
  • Serdar Annamyradovich Atayev, geboren am 9. Juni 2000, wurde nach genau einem Jahr am 28. August 2019 freigelassen.

Liste der inhaftierten Kriegsdienstverweigerer

Es sind derzeit sieben Kriegsdienstverweigerer bekannt, die Haftstrafen verbüßen.

1) Mekan Orazdurdiyevich Annayev, geboren am 22. Juni 1999, wurde am 26. Juni 2018 vom Stadtgericht Türkmenbaşy zu zwei Jahren Arbeitslager verurteilt. Er legte keine Berufung ein

2) Gurbangylych Dovletovich Muhammetgulyyev, geboren am 15. März 2000, wurde am 28. November 2018 vom Stadtgericht Mary zu einem Jahr Arbeitslager verurteilt. Er legte keine Berufung ein.

3) Eziz Atabayev, geboren am 15. März 1998, wurde am 19. Dezember 2018 vom Stadtgericht Daşoguz zu zwei Jahren Arbeitslager verurteilt. Die Berufung wurde vom Bezirksgericht Daşoguz abgewiesen.

4) Azamatjan Narkulyev, geboren am 9. November 2000, wurde am 7. Januar 2019 vom Bezirksgericht Danew zu einem Jahr Arbeitslager verurteilt. Er legte keine Berufung ein.

5) Muhammetali Charygeldiyevich Saparmyradov, geboren am 11. November 1995, wurde am 19. März 2019 vom Stadtgericht Baýramaly zu einem Jahr Arbeitslager verurteilt. Er legte keine Berufung ein.

6) Bahtiyar Amirjanovich Atahanov, geboren am 17. Juni 2000, wurde am 15. Juli 2019 vom Stadtgericht Tejen nach Artikel 344 Absatz 2 zu vier Jahren Arbeitslager verurteilt. Er legte beim Regionalgericht Ahal Berufung ein.

7) Azat Gurbanmuhammedovich Ashirov, geboren am 7. Januar 1999, wurde am 31. Juli 2019 vom Bezirksgericht Abadan nach Artikel 219 Absatz 2 zu zwei Jahren Arbeitslager verurteilt. Er legte beim Stadtgericht Aşgabat Berufung ein.

Fußnoten

1 http://www.forum18.org/archive.php?article_id=2244

2 https://de.connection-ev.org/article-2874

3 www.forum18.org/archive.php?article_id=2244

4 https://de.connection-ev.org/article-2789

5 www.forum18.org/archive.php?article_id=2476

6 www.forum18.org/archive.php?article_id=2476

7 https://de.connection-ev.org/article-2874

Felix Corley, Forum 18: Turkmenistan – Fourth known 2019 conscientious objector jailing. 5.9.2019. Auszüge. www.forum18.org. Übersetzung: rf. Der Beitrag wurde veröffentlicht in: Connection e.V. (Hrsg.): Rundbrief »KDV im Krieg«, Ausgabe September 2019.

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