Rundbrief »KDV im Krieg« - September 2019

Rundbrief »KDV im Krieg« - September 2019

Bericht über die Konferenz "Antimilitarismus in Bewegung"

von Peter Gramlich

Nach mehreren Jahren fand im Juli 2019 wieder eine internationale Konferenz der War Resisters‘ International statt, dieses Mal in Bogotá, Kolumbien. Für Connection e.V. konnte Peter Gramlich daran teilnehmen. (d. Red.)

Ein Blick ins Land

12. Juli 2019. Ich lande auf dem Flughafen „El Dorado“ der kolumbianischen Hauptstadt Bogotá und reise ein in ein Land, das ich bislang nur aus der Ferne kenne: aus Fernsehreportagen, Zeitungsmeldungen, wenigen Reiseberichten und den Berichten von Aktiven der medelliner Jugendorganisation Red Juvenil, die in den Jahren 2006 und 2016 auf Einladung von Connection e.V. in Deutschland und Nachbarstaaten Vorträge zu ihrer Arbeit und der aktuellen Situation in Kolumbien und Medellín im Speziellen hielten.

Natürlich weiß ich, wo auf dem amerikanischen Kontinent das Land liegt und habe auch mehrfach von Pablo Escobar und dem berühmten medelliner Drogenkartell gehört, von heftigen Kämpfen zwischen kolumbianischer Armee, Paramilitärs und Guerillagruppen, von Jahrzehnten der Gewalt mit ungezählten Toten und mehreren tausend bis heute Vermissten, von hoher Kriminalität und Entführungen. Aber ich weiß auch – nicht zuletzt von Berichten mehrerer Besuche kolumbianischer Friedensaktivist*innen in Deutschland – von kreativen Aktionen gegen Krieg und Gewalt sowie Engagement gegen Militarisierung und Kriegsdienst. Ich bin sehr gespannt auf zwei Wochen Reise durch dieses Land sowie auf die daran anschließende internationale Konferenz Antimilitarismos en Movimiento, die ich als Abgesandter von Connection e.V. besuchen werde.

Nach einem Tag in Bogotá fliege ich in den Norden Kolumbiens, nach Santa Marta, wo ich eine Treckingtour durch den Regenwald der Sierra de Santa Marta unternehme. Danach geht es weiter über Land nach Cartagena de Indias, wo im 16. und 17. Jh. abertausende Sklaven angelandet und auf dem dortigen Sklavenmarkt verkauft wurden.

Anschließend fahre ich in das Anden-Hochland nach Medellín, eine faszinierende Stadt mit dem zentralen, sehr belebten Plaza de Botero, auf dem viele Statuen des aus dieser Stadt stammenden Künstlers Fernando Botero stehen, was dem Platz einen ganz besonderen Charme verleiht. Eine weitere Besonderheit der Stadt, in der es lange viele gewaltsame Auseinandersetzungen zwischen Guerillas, Militärs und Paramilitärs gab, sind die Metrocables, Seilbahnen, die als Ergänzung zum Metro- und Bussystem Teil des öffentlichen Personennahverkehrs sind. Sie sind inzwischen zu einer der bedeutendsten Touristenattraktionen der Stadt geworden.

Mit einem weiteren Zwischenstopp in den Bergen fahre ich schließlich wieder nach Bogotá, wo vom 30. Juli bis zum 1. August die internationale Konferenz stattfindet.

Auf der Reise durch das Land ist die hohe Präsenz von Polizei, Militärpolizei und Militär nicht zu übersehen. An allen touristischen Orten sowie an Hauptverkehrswegen sieht man oft Soldaten, die mit vorgehaltener Schusswaffe Sicherheit gewährleisten sollen. Ebenso findet man um große und wichtige Fabriken, vor Banken und bedeutenden Firmen, sowie in den zentralen Stadtvierteln der Großstädte viele bewaffnete Sicherheitskräfte, die oft deutlich Präsenz zeigen, jedoch auch bemüht sind, sich passiv zu verhalten. Auf mich machen sie einen eher bedrohlichen als Sicherheit gebenden Eindruck.

Kolumbien ist ein spannendes, wunderschönes Land mit vielen verschiedenen und sehr schönen Landschaften, mit sehr vielseitiger Bevölkerung, die ich freundlich, aufgeschlossen und hilfsbereit erlebe. Jedoch zeigen sich vor allem in den Großstädten Bogotá, Medellín und Cartagena de Indias große Widersprüche: Hohe Bankentürme und moderne Wohnhochhäuser neben Armenvierteln mit einfachsten Behausungen, Shoppingzonen mit noblen Geschäften westlicher Firmen, in denen verwahrloste Obdachlose einige Pesos von schick gekleideten Wohlhabenden erbetteln, Klebstoff schnüffelnde Arme neben noblen Schmuckgeschäften, einfache Pferdefuhrwerke, an denen glänzende, frisch gesäuberte SUVs vorbeifahren, Müllsammler vor einer McDonalds-Filiale, in der smart gekleidete Jugendliche Burger essen, Straßenverkäufer, die gebrauchte Kleidung vor einem modernen Supermarkt verkaufen…

Konferenz in Bogotá

Mit diesen Eindrücken komme ich zurück nach Bogotá und starte mit den anderen ca. 150 TeilnehmerInnen in die Konferenz. Es ist die alle vier Jahre stattfindende Konferenz der War Resisters‘ International (WRI) .Sie findet im Zentrum Bogotás in einem Gebäude der Organisation YMCA statt. Es gibt einen großen Konferenzraum mit Bühne für Plenumsveranstaltungen und 3-4 Tagungsräume, in denen die Teilnehmenden in kleineren Gruppen arbeiten werden.

Das Konferenzprogramm enthält einerseits Plenumsvorträge von Aktiven verschiedener eingeladener Gruppen und andererseits die Arbeit in kleineren Gruppen, z.B. zu „Verschiedene Aspekte von Frieden“ wie Diskriminierung, Identitäten, Patriarchat, Feminismus oder Militarisierung; zu „Gerechter Frieden“ mit den Schwerpunkten repressive Modelle, politische und rechtliche Modelle des Übergangs; und zu „Nachhaltiger Frieden“ mit Schwerpunkten zur Umwelt, Klimawandel, Länder- und Grenzkonflikte oder Ausbeutung natürlicher Ressorcen sowie Entwicklung. In diesen Arbeitsgruppen geht es darum, dass die Beteiligten die Arbeit und die Schwerpunkte ihrer unterschiedlichen Organisationen vorstellen, gegenseitige Anknüpfungspunkte finden, Ideen der Zusammenarbeit sammeln und gegebenenfalls das ein oder andere gemeinsame Projekt anstoßen. Ich bin in einer Gruppe, in der viele Aktive sind, die Kriegsdienstverweiger*innen unterstützen und auf die Umsetzung des Rechtes auf Kriegsdienstverweigerung hinarbeiten. Dabei entsteht vor allem in der Zusammenarbeit mit Aktiven der Organisation RAMALC (Antimilitaristisches Netzwerk in Lateinamerika und der Karibik) die Idee, ein Treffen von Aktiven aus Mittel- und Südamerika sowie der Karibik zu organisieren, um sich über die Erfahrungen zur Durchsetzung des Rechtes auf Kriegsdienstverweigerung auszutauschen, sich gegenseitig zu unterstützen sowie um Impulse für die je eigene Arbeit zu erhalten. Es werden Adressen ausgetauscht und wir verabreden in Kontakt zu bleiben. Wir wollen die Idee eines solchen Treffens weiter entwickeln und die nächsten Schritte angehen. Neben den Plenumsvorträgen und den oben genannten Arbeitsgruppen, werden an zwei Zeitpunkten verschiedene Workshops angeboten. Darunter befinden sich z.B. eine Informationsveranstaltung zu den Erfolgen des Engagements für ein Recht auf Kriegsdienstverweigerung in Südkorea und Kolumbien, eine Diskussion zur Rückkehr der Zwangsdienste und ein Workshop zur Vorbereitung und Durchführung einer gewaltfreien Aktion in Bogotá. Den Abschluss der Konferenz bildet am Nachmittag des 1. August nach dem Abschlussplenum die Durchführung einer gewaltfreien Aktion, eine Art Straßentheater, auf einer belebten Einkaufsstraße Bogotás. Am Abend wird auf der gemeinsamen Party Antimilitarista bis in den frühen Morgen getanzt.

Eindrücke auf der Konferenz

Auf der Konferenz begegne ich vielen interessanten Menschen mit spannenden Geschichten.

Da ist zum einen Isabel Zuleta aus der Region Antioquia in Kolumbien, die einen Plenumsvortrag über die Verwirklichung des großen Staudammprojekts Hidroituango in ihrer Heimat und über in diesem Zuge begangene Menschenrechtsverletzungen berichtet. Sie wuchs in einer Gegend auf, die während des Bürgerkriegs stark umkämpft ist und erzählt, dass es monatlich mehrere Bombenangriffe auf ihr Dorf oder nahe gelegene Ziele gab und sie in ständiger Angst lebte, Opfer eines solchen Angriffs zu werden. Seit 2013 wurden Bewohner*innen der Gegend vertrieben, um das Staudammprojekt zu verwirklichen. Es kam zu außergerichtlichen Hinrichtungen und Drohungen. Einige AktivistInnen sind verschwunden, ein Gemeindevorsteher wurde getötet.

In einem anderen Plenumsvortrag berichtet Salvador Alcántara von der Gemeinde Garzal im Department Santander (Nordkolumbien), in der er Pastor war und die von paramilitärischen Gruppen terrorisiert wurde. Nachdem die Paramilitärs in die Gemeinde gekommen waren, wurde Alcántara zunächst Bestechungsgeld angeboten, um seine Gemeindemitglieder zu bewegen, ihre Häuser und Ländereien zu verlassen. Nachdem dies nicht funktionierte, gab es viele gewaltsame Vertreibungen und schließlich musste er selbst auch die Region verlassen, da sein Leben in Gefahr war. Er konnte Jahre später wieder zurückkehren und setzt sich dort seitdem wieder dafür ein, dass die angestammten Familien ihr Land erhalten und dort eigenständig Mais, Bananen, Kakao und andere landwirtschaftliche Produkte anbauen und vertreiben können.

Ich treffe auf der Konferenz auch Benjamin aus Bolivien. Er ist Umweltaktivist und Medizinstudent und hat den Kriegsdienst verweigert. Er erzählt, dass es in Bolivien eine allgemeine Militärdienstpflicht von etwa einem Jahr und kein Recht auf Kriegsdienstverweigerung gebe. Allerdings gebe es einen Verweigerer, der sein Recht auf Kriegsdienstverweigerung erstritt. Er ging den juristischen Weg bis hin zum UN-Menschenrechtsgerichtshof, der schließlich derart auf die bolivianischen Behörden einwirkte, dass der Verweigerer – als erster Bolivianer überhaupt – anerkannt wurde. Benjamin wurde im Alter von 16 Jahren erfasst und erklärte dort, dass er keinen Militärdienst ableisten werde. Zur Einberufung selbst ist er nicht erschienen. Er wird offensichtlich in Ruhe gelassen und nicht aufgefordert, seiner Dienstpflicht nachzukommen. Allerdings hat er auch keine Libreta Militar, einen Militärausweis. Das schränkt ihn zwar nicht wesentlich ein, könnte ihm jedoch bei einer späteren Anstellung als Arzt ein deutliches Hindernis werden, da in Bolivien der Gesundheitssektor zunehmend verstaatlicht wurde. Ohne Libreta Militar wird er praktisch keine Möglichkeit habe, eine Anstellung im Staatsdienst zu erhalten. Benjamin meint, dass es sicherlich noch mehrere Verweigerer wie ihn gebe, die der Einberufung nicht nachkommen. Da es keine zwangsweisen Rekrutierungen und Rekrutierungen „auf der Straße“ mehr gebe, blieben diese Verweigerer unbehelligt. In vielen bolivianischen Familien gelte es jedoch als große Ehre, als Soldat dem Vaterland zu dienen, und so existiere ein sehr großer Druck zur Ableistung des Dienstes. Es gebe kaum Wehrpflichtige, die den Dienst verweigern oder offen darüber nachdenken.

Die ca. 8-10 Aktiven des Colectivo Desarmados in Cali (Südkolumbien) informieren junge Menschen auf dem Lande über die Möglichkeit der Kriegsdienstverweigerung. Sie nehmen Kontakt zu Gemeindevorstehern und Pfarreien auf, lassen sich einladen und kommen zu Informationsveranstaltungen in die jeweiligen Gemeinden. Sie berichten, dass es zwar das Recht auf Kriegsdienstverweigerung gebe, aber viele junge Leute nicht darum wissen und so auch gar nicht auf die Idee kommen, den Militärdienst zu verweigern. Colectivo Desarmados informiert außerdem über das Vorgehen der Rekrutierung und welche Schritte notwendig sind, um als Kriegsdienstverweigererer anerkannt zu werden. Neben den Informationen und der pädagogischen Arbeit werden direkte, gewaltfreie Aktionen geplant und durchgeführt.

In Bogotá berät die Organisation ACOOC Kriegsdienstverweigerer. Es werden einerseits grundsätzliche Informationen über Rekrutierung, Einberufung, Kriegsdienstverweigerung und rechtliche Regelungen weiter gegeben und andererseits die Motive und Gründe der jeweiligen Verweigerungen besprochen, Unterstützung und Hilfe bei der Formulierung der Erklärung angeboten sowie die Verweigerer auf die Anhörung vor der militärischen Kommission vorbereitet, die letztlich die Entscheidung über die Anerkennung der einzelnen Verweigerungsanträge fällt. Insgesamt ähnelt diese Beratungsarbeit sowohl inhaltlich wie auch methodisch sehr der Kriegsdienstverweigerungsberatung, wie ich sie Anfang der 90er Jahre in Heidelberg angeboten habe.

Eine Gruppe, die sich auf soziologischer, rechtlicher und juristischer Ebene mit Kriegsdienstverweigerung beschäftigt, ist die bogotáer Gruppe La Tulpa. Nikolas Rodriguez von La Tulpa hielt auf der Konferenz einen Plenumsvortrag zur aktuellen Situation der Kriegsdienstverweigerung in Kolumbien, den wir hoffentlich in einer der nächsten Ausgaben in wesentlichen Zügen veröffentlichen können.

Insgesamt habe ich den positiven Eindruck, dass es in Kolumbien mehrere funktionierende Gruppen und Organisationen gibt, welche die Idee der Kriegsdienstverweigerung weiter tragen, die Situation für Kriegsdienstverweigerer zu verbessern trachten und junge Menschen dabei unterstützen, als Kriegsdienstverweigerer anerkannt zu werden, jede Gruppe auf ihre eigene Weise und mit eigenen Schwerpunkten. Auch wenn sie in verschiedenen Regionen des Landes aktiv sind, wissen viele dieser Gruppen voneinander, und suchen den Kontakt miteinander, um von den Erfahrungen der anderen zu profitieren, sich Anregungen zu geben oder auch gemeinsame Aktionen zu planen. Wie stark dieses Engagement Früchte trägt, werden die kommenden Jahre zeigen müssen. Ich habe die Hoffnung, dass die Erfolge, die in Kolumbien während der vergangenen Jahren in Sachen Kriegsdienstverweigerung erreicht wurden, beispielhaft auf viele andere lateinamerikanische Länder wirken, damit es dort ebenfalls ein Recht auf Kriegsdienstverweigerung geben wird und immer mehr Männer und Frauen dem Militärdienst nein sagen.

Internationale Kontakte und die Zusammenarbeit mit anderen Gruppen und Aktiven, die sich wie wir gegen Krieg und Militarisierung sowie für das Recht auf Kriegsdienstverweigerung engagieren, sind wesentliche Grundlage unserer Arbeit bei Connection e.V. Die Teilnahme an der Konferenz war immens wichtig und wertvoll, um neue Kontakte zu knüpfen sowie alte zu pflegen und gemeinsame Projekte zu entwickeln.

Peter Gramlich: Bericht über die Konferenz „Antimilitarismus in Bewegung“. 15. September 2019.

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