Beran Mehmet İşçi

Beran Mehmet İşçi

Türkei: „Ich rufe dazu auf, Nein zu sagen“

von Beran Mehmet İşçi

(18.11.2019) Die  Veranstaltung „Türkei: Krieg, Gewalt Repression – Kein Ende in Sicht?“, organisiert von Connection e.V., DFG-VK Frankfurt und dem DFG-VK Bildungswerk Hessen, nutzte unter anderem der Kriegsdienstverweigerer Beran Mehmet İşçi für eine kurze Stellungnahme. (d. Red.)

Guten Abend.

Mein Name ist Beran Mehmet Işçi. Ich bin Kriegsdienstverweigerer, Autor, Dichter und Arbeiter. Ich denke, dass viele, die heute hier sind, schon meine Geschichte kennen. Es stand im letzten Rundbrief von Connection e.V. Deshalb will ich heute nicht über mich reden, sondern aus meiner Perspektive die Situation in der Türkei darstellen.

Unser Thema heißt: Gibt es kein Ende der Repression? Das ist eine berechtigte Frage. Um das Ende sehen zu können, müssen wir uns mit dem Beginn beschäftigen. Was sich heute in Syrien, im Irak, im Iran und der Türkei befindet, hatte in der Geschichte viele  verschiedene Namen. Wir nennen das kurz Anatolien bzw. Mesopotamien. Der Krieg in diesem Gebiet existiert, wie sie wissen, schon seit tausend Jahren. Schon bevor die Türken 1071 in dieses Gebiet kamen, gab es dort Kriege. Blut und Barbarei sind in dieser Region keine fremden Begriffe. Aber seitdem das türkische Volk in das Gebiet eingedrungen ist, wurde dieses Territorium einer neuen gesellschaftlichen Realität unterworfen: dem Militarismus, der Nation, dem Staat und der Flagge.

Es war klar, dass ein Volk, das von Anfang an solche Konzepte als gottgegeben ansah, diese in die Region hineintrug.  Dies war unumkehrbar, so dass heute diese Doktrin sowohl die Schulen wie auch die sozialen Medien und das gesamte soziale Leben bestimmt. Die Spannungen und Konflikte in der Türkei vor allem in den letzten 40 Jahren sind auf diesem Hintergrund zu interpretieren. Es ist nicht zu erwarten, dass ein Volk auf dieser  Basis eine friedliche Haltung an den Tag legt. Ebenso kann nicht erwartet werden, dass ethnische  und Glaubensgemeinschaften, die unter dieser militaristischen Mentalität litten, all das Leiden einfach vergessen.

Dennoch bin ich davon überzeugt, dass dies im Einklang mit meinen persönlichen Idealen und  Träumen geschehen kann. Obwohl ich die Vergangenheit einer Gesellschaft, die seit Tausenden von Jahren an dieser Geschichte festhält, nicht auslöschen kann, möchte ich ihre Gegenwart und damit ihre Zukunft ändern. Ich glaube, dass es eine andere Welt und  alternative Lösungswege gibt. Mein Anliegen ist es, dies zu erreichen.

Was wir in den letzten 30 Jahren beobachten, die Vernichtung und Unterdrückung der Kurden, kann nicht allein mit Blick auf die Interessen der heutigen Regierung verstanden werden, sondern nur aufgrund der militaristischen Geschichte und dem damit verbundenen Staatsverständnis und einer Kultur des Militarismus. Dieser Krieg hat nicht vor 30 Jahren begonnen. Seit tausend Jahren werden alle, die dem Staatsverständnis nicht entsprechen, wie Kurden oder auch die Religionsgemeinschaft der Aleviten, zu Opfern dieser Politik. Wie gesagt, obwohl ich nicht verändern kann, was in der Vergangenheit passiert ist, ist mir die Grausamkeit und Willkür der heutigen Situation bewusst. Aus diesem Grund müssen wir uns heute verändern, ohne die Vergangenheit zu betrauern, um das morgen wandeln zu können.

Als Pazifist, Kriegsdienstverweigerer, Autor und Dichter glaube ich, dass das wichtigste Element in der heutigen Welt der Diskurs ist. Wenn du dich für den Krieg entscheidest, unterscheidest du dich nicht von denen, die gegen dich eine Waffe richten. Durch Gewalt fühlt man sich stark. Leider gibt es kein Gewissen, Macht angemessen anzuwenden. Diejenigen, die kommen, um dich zu töten, werden trotz all ihrer Waffen deine Gedanken nicht ins Unrecht setzen können. Vielleicht werden sie aufhören zu kämpfen und sich mit dir inhaltlich auseinanderzusetzen.

Ich war begeistert von Tayfun Gönül, dem ersten Kriegsdienstverweigerer in der Türkei. Er sagte, er sei hilflos gewesen angesichts der Vorstellung, dass andere ihn töten wollen. Heute bin ich glücklich, dass ich gemeinsam mit Halil auf der Veranstaltung sprechen kann, von dem ich viel gelernt habe. Vor allem diese zwei Menschen und andere haben  meine Gedanken angeregt und mein Gewissen geweckt, dass ich auch auf andere Menschen in gleicher Weise einwirken kann.

Aus diesem Grund bin ich gegen das Massaker und die ethnische Säuberung, gegen diesen Eroberungskrieg der Türkei. Wer zwangsweise Militärdienst leistet wird gezwungen ein  Mörder zu werden. Deshalb rufe ich dazu auf, Nein zu sagen. Das haben wir in unserem Aufruf vom 23. Oktober formuliert. Die türkische Jugend soll nicht für politische Interessen an der Front sterben. Das darf nicht sein. Auch wenn aus den Palästen die Befehle ergehen, dürfen arme Kinder des Volkes nicht dazu gezwungen werden zu töten. Kriegsdienstverweigerung muss ein Menschenrecht sein. Und wenn nur die Rechte einer einzigen Person eingeschränkt werden, ist das ein Verbrechen gegen die Menschheit.

Zum Schluss möchte ich alle aufrufen, nicht zu schweigen, wenn eure Rechte eingeschränkt werden. Ich fordere auf, alle diejenigen zu unterstützen, deren Rechte eingeschränkt wurden.

Für ein beständiges gutes Gewissen, Frieden ohne Bedingungen!

Beran Mehmet İşçi: Beitrag vom 18. November 2019 auf einer Veranstaltung von Connection e.V., DFG-VK Frankfurt und DFG-VK Bildungswerk Hessen in Frankfurt am Main.

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