Türkei: „In dieser Tradition erkläre ich heute meine Kriegsdienstverweigerung“
(18.11.2019) Mein Name ist Isa Polat. Ich stamme aus Karakocan/Kurdistan. Seit Anfang Oktober 2019 lebe ich als Geflüchteter in Deutschland. Bevor ich nach Deutschland kam, lebte ich in der Türkei, wie tausende andere als unsichtbarer Fahnenflüchtiger.
Ich gehöre einer Generation an, die in Kriegsverhältnissen aufgewachsen ist. Deshalb bin ich stark geprägt von den Auswirkungen und Folgen des schmutzigen Kriegs auf die kurdische Bevölkerung und auf die kurdischen Familien, die wie ich ihr gewohntes Umfeld verlassen mussten, von den Auswirkungen auf die Kinder, die mit Kriegsspielen (Soldaten- und Guerilla-Spielen) aufwachsen, von den Auswirkungen auf die Städte in der kurdischen Region, die durch türkisches Militär zerstört wurden, von den Auswirkungen auf die Natur usw.
Ich wusste schon als junger Mann, dass ich keinen Militärdienst ableisten werde. Es kam für mich aus Gewissensgründen und aufgrund meiner politischen Überzeugung nicht in Frage, für den türkischen Staat bzw. die türkische Armee Militärdienst zu leisten und Waffen in die Hand zu nehmen, Waffen, die sich seit Jahrzehnten gegen die kurdische Bevölkerung richten. Ich war daher gezwungen, als Fahnenflüchtiger zu leben.
Ich wusste von den Gefahren, denen man als kurdischstämmiger Soldat ausgesetzt ist und die auch mich treffen könnten. Ich meine damit die zahlreichen Todesfälle in den türkischen Kasernen, welche unter der Bezeichnung „Verdächtige Todesfälle von Soldaten“ der Öffentlichkeit bekannt sind. Wenn auch von offiziellen Stellen diese Fälle als „Selbstmord“ verkauft werden, sind die betroffenen Soldaten, die auf mysteriöse Art und Weise zu Tode kommen, nicht ganz zufällig Kurden, Aleviten oder Armenier.
Ich habe auch von Friedensaktivistinnen und Kriegsdienstverweigerern über die Presse gehört, die wegen „Entfremdung des Volkes vom Militär“ (Art. 318) angeklagt und eingesperrt wurden, weil sie sich gegen Krieg und für Frieden einsetzten. Ich wusste, dass die Türkei das Recht auf Kriegsdienstverweigerung nicht anerkennt, für die Kriegsdienstverweigerer ist nur der „zivile Tod“ vorgesehen. Ich lebte in der Türkei quasi von heute auf morgen ein Leben im „zivilen Tod“. Dazu kam der Druck aus meiner Familie und Verwandtschaft, die mich dahin drängten, mich bei „Sube“, also der Einberufungsstelle zu melden.
Ich bin davon überzeugt, dass die Kriegsdienstverweigerung eines der wirksamsten Mittel gegen Militarismus, Nationalismus und Krieg ist. Wer in der Türkei diesen Schritt wagt, wird hart bestraft. Nicht nur durch die staatlichen Instanzen, sondern auch durch die Mehrheit der türkischen Gesellschaft und nicht selten durch die eigenen Familienangehörigen, die im Falle einer öffentlichen Kriegsdienstverweigerung auch mit Stigmatisierung aus dem sozialen Umfeld und mit Repressalien durch die Staatsapparate rechnen müssen. Aufgrund der vorherrschenden politischen Umstände und dem Druck der Familienangehörigen hatte ich in der Vergangenheit nicht die Möglichkeit, in der Türkei meine Kriegsdienstverweigerung öffentlich zu erklären. Der Kriegsherr Erdoğan duldet nicht einmal öffentliche Presserklärungen von prokurdischen HDP-Abgeordneten oder gewählten Bürgermeister*innen, die darüber hinaus in der kurdischen Region vom türkischen Erdogan-Regime nach und nach abgesetzt werden.
Nach dem Einmarsch des türkischen Militärs in Efrin, einer kurdischen Region in Syrien, war mir endgültig klar geworden: Hier habe ich keine Zukunft, ich muss das Land verlassen.
Ich fühle mich dem Leitspruch der Kriegsdienstverweigererbewegung in der Türkei verpflichtet: „Öldürmicez ölmicez, kimsenin askeri olmucaz“, wir werden nicht töten, wir werden nicht sterben, wir werden niemandes Soldat sein. In dieser Tradition möchte ich heute meine Kriegsdienstverweigerung erklären.
Isa Polat: Erklärung vom 18. November 2019, abgegeben auf einer Veranstaltung von Connection e.V., DFG-VK Frankfurt und DFG-VK Bildungswerk Hessen in Frankfurt am Main. Der Beitrag wurde veröffentlicht in: Connection e.V. (Hrsg.): Rundbrief »KDV im Krieg«, Ausgabe Dezember 2019
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