Quelle: Wikipedia

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Tadschikistan: Ist Kriegsdienstverweigerung “ein schweres Verbrechen”?

von Mushfig Bayram, Forum 18

(14.01.2020) Der Kriegsdienstverweigerer und Zeuge Jehovah Jovidon Bobojonov wird seit Oktober 2019 vom Militär in einer Kaserne in der Nähe von Duschanbe festgehalten, obwohl er angeboten hat, einen alternativen Dienst abzuleisten und obwohl die Regierung im März 2019 gegenüber dem UN-Menschenrechtskomitee erklärt hatte, dass ein alternativer Dienst vorbereitet werde.

Gegen den 19-jährigen ist ein Verfahren anhängig, weil er sich weigert Waffen zu tragen, eine Uniform anzuziehen und den militärischen Eid zu leisten. Sein Antrag auf Ableistung eines alternativen Dienstes wurde abgelehnt. Ein Strafverfahren wurde bislang nicht eröffnet.

Zum Fall des Kriegsdienstverweigerers Jovidon Bobojonov

Am 13. August 2019 wurde der 19-jährige Zeuge Jehovah Jovidon Jamolovich Bobojonov vom Rekrutierungsbüro in Khujand vorgeladen. Er reagierte am 22. August mit einem schriftlich vorgelegten Antrag, einen alternativen Dienst ableisten zu wollen. Das berichteten die Zeugen Jehovahs.

Am 4. Oktober wurde Bobojonov jedoch trotzdem in Gewahrsam genommen und zum Rekrutierungsbüro gebracht. Dort wurde er festgenommen. Am 6. Oktober brachten ihn Beamte gegen seinen Willen mit dem Zug zur Militäreinheit 45075 im Bezirk Rudaki, südlich der Hauptstadt Duschanbe.

In der Militäreinheit versuchten Offiziere, ihn unter Druck zu setzen, damit er eine Uniform anzieht und den militärischen Eid leistet. Aufgrund seiner Kriegsdienstverweigerung als Zeuge Jehovah verweigerte sich Bobojonov diesen Aufforderungen.

„Jovidan wird immer noch ohne Gerichtsverfahren und ohne Ermittlungen in der Militäreinheit festgehalten“, berichteten die Zeugen Jehovahs am 10. Januar 2020. „Es wurde kein Strafverfahren gegen ihn eingeleitet.“

Bobojonov befindet sich weiter in der Militäreinheit 45075, Rudaki District, Dushanbe.

Bobojonov “beging ein schweres Verbrechen”

Im Oktober 2019 legten die Eltern von Bobojonov offiziell Beschwerde gegen die Festnahme und Inhaftierung ihres Sohnes ein, auch beim Präsidialamt. Dieses leitete die Beschwerde am 22. Oktober weiter an das Verteidigungsministerium und die Generalstaatsanwaltschaft.

Generalmajor Musa Odinazoda, stellvertretender Generalstabschef der Streitkräfte, antwortete den Eltern am 28. Oktober und behauptete, Bobojonov habe „durch die Weigerung, Dienst in den bewaffneten Streitkräften zu leisten, ein schweres Verbrechen begangen“. Generalmajor Odinazoda betonte, dass die Ableistung des Militärdienstes Bobojonovs „heilige Pflicht“ und die Wehrpflicht daher auch nicht unrechtmäßig sei.

Der Militärstaatsanwalt für die Region Sugd, Abdukody Nurov, antwortete den Eltern von Bobojonov ebenfalls am 28. Oktober 2019. Er bestritt, dass es ein Recht auf Kriegsdienstverweigerung gebe. Da es kein Gesetz über einen Alternativdienst gebe, sei die Verweigerung des Militärdienstes ein Verbrechen. Die Beamten des Rekrutierungsbüros würden rechtmäßig handeln.

Auf Nachfrage von Forum 18 weigerte sich der Militärstaatsanwalt am 10. Januar 2020, die Verhaftung und Überstellung zur Militäreinheit rechtlich zu begründen. Er weigerte sich auch mitzuteilen, warum er gegenüber Bobojonovs Eltern behauptet hat, dass es kein Recht auf einen alternativen Dienst gibt: „Ich weiß nicht, von welchem Fall sie sprechen.“

Auf die Frage, warum Tadschikistan kein Gesetz zu einem alternativen Dienst verabschiede und damit die wiederholten Empfehlungen des UN-Menschenrechtskomitees ignoriere, schrie Nurov: „Wer bist Du denn? Warum soll ich Dir antworten?“. Dann legte er auf.

Ist das der Wille des Volkes?

Die Behauptung der Regierung, da es kein Gesetz über einen alternativen Dienst gibt, sei die Verurteilung von Kriegsdienstverweigerern gerechtfertigt, war auch im Fall des Kriegsdienstverweigerers Daniil Islamov vorgebracht worden.

Im Juni 2017 hatte Oberst Musa Odinazoda als stellvertretender Generalstabschef der Mutter von Islamov mitgeteilt, dass dieser keinen alternativen Dienst ableisten könne, da es dafür keine gesetzlichen Regelungen gebe.1 Ähnlich hatte auch Rakhmonali Saidaliyev, Militärstaatsanwalt von Qurghonteppa argumentiert, als er im August 2017 gegenüber Forum 18 erklärte, dass Islamov den von ihm gewünschten alternativen Dienst nicht leisten könne, da „Tadschikistan keinen alternativen Dienst“ hat.

Der Abgeordnete Murodullo Davlatov, Mitglied des Unterhauses und stellvertretender Vorsitzender des Ausschusses für internationale Beziehungen, hatte Forum 18 im Februar 2017 mitgeteilt, „das Volk in Tadschikistan will keinen alternativen Dienst, das Parlament vertritt den Willen des Volkes“. Auf die Frage, ob Islamov und andere Menschenrechtsverteidiger*innen nicht auch Teil des Volkes seien, antwortete Davlatov: „Er hat das Recht verletzt, deshalb wurde er verhaftet.“2

Am 10. Januar 2020 erklärte die Mitarbeiterin des Abgeordneten Imomali Nasriddinzoda, Vorsitzender des Ausschusses für Recht und Menschenrechtskomitee, dass das Parlament „nach der nächsten Wahl“ (am 1. März 2020) über die Verabschiedung eines Gesetzes zum alternativen Dienst „nachdenken könnte“. Auf die Frage, warum Kriegsdienstverweigerer trotz wiederholter Empfehlungen des UN-Menschenrechtskomitees weiter verhaftet und verurteilt werden, verweigerte die Mitarbeiterin eine Antwort und verwies auf das Außenministerium.

Wie bei dem Kriegsdienstverweigerer Bobojonov, hatten die Militärs auch bei Islamov versucht, ihn zum Tragen einer Uniform und Leistung des Eides zu zwingen.3

Kein Alternativdienstgesetz

Der Militärdienst von zwei Jahren ist für fast alle tauglichen Männer zwischen 16 und 27 Jahren Pflicht. Artikel 1 des Gesetzes über die allgemeine Wehrpflicht und den Militärdienst hält fest: „Gemäß diesem Gesetz hat jeder Bürger das Recht, anstelle des Militärdienstes einen alternativen Dienst abzuleisten. Das Verfahren für den Alternativdienst wird durch Gesetz geregelt.“ Solch ein Gesetz wurde bislang nicht verabschiedet. Tatsächlich deuten Kommentare aus dem Militär im Jahr 2007 darauf hin, dass das Verbot der Zeugen Jehovahs im Zusammenhang steht mit ihrer Ablehnung eines Militärdienstes.4

Inhaftierung von Kriegsdienstverweigerern

Am 13. Oktober 2017 wurde der Kriegsdienstverweigerer und Zeuge Jehovah Daniil Ruslanovich Islamov (geboren am 31. Januar 1999) nach Artikel 376 Absatz 1 wegen Umgehung der Wehrpflicht durch Selbstverstümmelung oder Entziehung mittels Vortäuschen einer Krankheit oder anderer Täuschung zu sechs Monaten Haft verurteilt.5 Er war im April 2017 zwangsweise einberufen worden, obwohl er den Militärdienst aus gesundheitlichen Problemen nicht ableisten konnte. Vor seiner Verurteilung wurde er zunächst von der Militäreinheit inhaftiert.6

Am 5. Oktober 2017 erklärte die UN-Arbeitsgruppe über Willkürliche Inhaftierungen, dass Tadschikistan den Gewissensgefangenen Islamov „unverzüglich“ freilassen solle.7 Das Regime ignorierte diese Aufforderung. Im Januar 2019 reichten die Zeugen Jehovahs daher beim UN-Menschenrechtskomitee eine Beschwerde ein.8

In der Stellungnahme der UN-Arbeitsgruppe wurde festgestellt, dass Tadschikistan gegen den Internationalen Pakt über bürgerliche und politische Rechte verstoßen hat.9 Es wurde auch festgestellt, dass „das Recht auf Kriegsdienstverweigerung im internationalen Recht fest verankert ist und sich aus Artikel 18 des Paktes ergibt. Die tadschikische Regierung wurde bereits vom Menschenrechtskomitee umfassend darauf hingewiesen, das Tadschikistan ausdrücklich empfohlen hat, in solchen Fällen einen alternativen Dienst vorzusehen“.

Die UN-Arbeitsgruppe erklärte außerdem, dass die Regierung innerhalb von sechs Monaten nach Übermittlung der Stellungnahme im Oktober 2017 die Arbeitsgruppe darüber informieren solle, „ob Gesetzesänderungen vorgenommen wurden, um das Gesetz und die Praxis in Tadschikistan in Übereinstimmung mit den in der Stellungnahme der UN-Arbeitsgruppe dargelegten internationalen Verpflichtungen zu bringen“.

Bis zum 14. Januar 2020 hat Tadschikistan der UN-Arbeitsgruppe nicht geantwortet.

Wird ein echter alternativer Dienst verabschiedet und eingeführt werden?

Am 29. März 2019 erklärte Tadschikistan gegenüber dem UN-Menschenrechtskomitee, „um das Recht auf alternativen Dienst umzusetzen, wird eine behördenübergreifende Arbeitsgruppe eingerichtet, die internationale Erfahrungen mit der Anerkennung des Rechts auf Kriegsdienstverweigerung untersucht sowie Verwaltungs- und Rechtsfragen, die die Ausübung dieses Rechts in Tadschikistan erfordern, um der Regierung einen Entwurf für einen alternativen Dienst vorzubereiten und vorzulegen“10. Die Regierung hat jedoch für die Verabschiedung eines Gesetzes über einen alternativen Dienst keinen Zeitplan vorgelegt.

„Es gibt keinen Entwurf für ein Gesetz zu einem alternativen Dienst, der dem Parlament vorgelegt werden könnte“, berichtete Subhiddin Bakhriddinzoda, erster stellvertretender Direktor des dem Präsidenten unterstehenden Nationalen Zentrums für Recht, am 13. Januar 2020 gegenüber Forum 18. Zu den Aufgaben des Nationalen Zentrums gehört die Verbesserung von Gesetzentwürfen und Überprüfung ihrer Übereinstimmung mit der Verfassung und den internationalen Verpflichtungen Tadschikistans.

Das Nationale Zentrum für Recht ist auch verantwortlich für die Veröffentlichung von Gesetzesentwürfen. Als Bakhriddinzoda jedoch nach einem Text gefragt wurde, erklärte er, dass „eine behördenübergreifende Arbeitsgruppe einen Text ausgearbeitet hat, dieser aber bis jetzt noch nicht abschließend fertig gestellt wurde“. Auf die Frage nach dem Grund antwortete er: „Im März werden wir ein neues Parlament haben, erst dann wird das Thema erörtert werden.“

Bakhriddinoza erklärte daraufhin, dass „Sie mit Zarif Alizoda sprechen müssen, dem Berater für Rechtswesen und Vorbereitung von Gesetzen in der Verwaltung des Präsidenten“. Alizoda war zuvor der Ombudsmann für Menschenrechte.

Am 14. Januar berichteten Menschenrechtsverteidiger in Duschanbe, dass sie keine Informationen über Pläne der Regierung zur Einführung eines Gesetzes über einen alternativen Dienst hätten.

Menschenrechtsverpflichtungen werden ignoriert

Tadschikistan ignoriert seit mehr als fünfzehn Jahren das wiederholte Beharren von Menschenrechtsgruppen und UN-Menschenrechtsinstitutionen, dass die Regierung das Recht auf Kriegsdienstverweigerung gestatten muss.

In den Abschließenden Beobachtungen zum Internationalen Pakt über bürgerliche und politische Rechte vom 22. Juli 2004 erklärt das UN-Menschenrechtskomitee: „Der Vertragsstaat sollte alle notwendigen Maßnahmen treffen, um das Recht auf Kriegsdienstverweigerung anzuerkennen.“11

Diese Aufforderung wurde erneut vorgebracht vom UN-Menschenrechtskomitee in den Abschließenden Beobachtungen am 23. April 2013, worin „die bereits bestehende Sorge wiederholt wird, dass die staatlichen Behörden das Recht auf Kriegsdienstverweigerung nicht anerkennen und es keine Alternative zur Ableistung des Militärdienstes gibt“12.

Das UN-Menschenrechtskomitee äußerte seine Sorge ein weiteres Mal in den Abschließenden Beobachtungen vom 18. Juli 2019: „Der Vertragsstaat sollte seine Bemühungen verstärken, die erforderliche Gesetzgebung zu erlassen, damit ein Recht auf Kriegsdienstverweigerung ohne Diskriminierung hinsichtlich der Art des Überzeugung (religiöse oder nicht-religiöse Gewissensgründe) für die Verweigerung anerkannt wird und um sicherzustellen, dass ein alternativer Dienst keinen Straf- oder diskriminierenden Charakter in der Art und Dauer aufweist im Vergleich zum Militärdienst“13.

Fußnoten

1 www.forum18.org/archive.php?article_id=2312

2 ebd.

3 ebd.

4 www.forum18.org/archive.php?article_id=2138

5 www.forum18.org/archive.php?article_id=2327

6 www.forum18.org/archive.php?article_id=2312

7 www.ohchr.org/Documents/Issues/Detention/Opinions/Session79/A_HRC_WGAD_2017_43_EN.pdf

8 www.forum18.org/archive.php?article_id=2455

9 A/HRC/WGAD/2017/43

10 siehe Antwort zu den vom Menschenrechtskomitee aufgeworfenen Fragen im dritten regelmäßigen Bericht zur Republik Tadschikistan, CCPR/C/TJK/Q/3/Add.1

11 CCPR/CO/84/TJK

12 CCPR/CO/84/TJK, para. 20

13 CCPR/C/TJK/CO/3

Mushfig Bayram, Forum 18: Tajikistan Conscientious objection “a major crime”?, 14 Januar 2020. Übersetzung: rf. Auszüge. Quelle: www.forum18.org/archive.php?article_id=2533

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