Rundbrief »KDV im Krieg« - April 2020

Rundbrief »KDV im Krieg« - April 2020

Turkmenistan: Erste Verurteilung eines Kriegsdienstverweigerers in 2020

von Felix Corley, Forum 18

(27.01.2020) Am 13. Januar 2020 verurteilte ein Gericht in der Region Dashoguz den Kriegsdienstverweigerer Kamiljan Ergashov zu zwei Jahren Haft. Es ist das erste Urteil gegen einen Kriegsdienstverweigerer im Jahr 2020. Kamiljan Ergashov, Zeuge Jehovah, hatte angeboten, einen alternativen Dienst abzuleisten, was Turkmenistan aber nicht anbietet. Er wird wahrscheinlich wie die anderen acht inhaftierten Kriegsdienstverweigerer in das Arbeitslager Seydi überstellt werden, das bekannt ist für die dort vorherrschenden harten Bedingungen und Folter. Seit Januar 2018 wurden nun insgesamt 20 Kriegsdienstverweigerer zu Haftstrafen verurteilt.

Keine Alternative zum Militärdienst

Turkmenistan bietet keine Alternative zur Ableistung des Militärdienstes an.1 Die Dauer des Militärdienstes beträgt in der Regel zwei Jahre und ist im Alter zwischen 18 und 27 Jahren abzuleisten. Artikel 58 der Verfassung von 2016 sieht den Wehrdienst für Männer als „heilige Pflicht“ an.

Männer, die aus Gewissensgründen den Militärdienst verweigern, sehen sich in der Regel der Strafverfolgung nach Artikel 219 Absatz 1 des Strafgesetzbuches ausgesetzt. Danach droht ihnen wegen der Verweigerung des Dienstes in der Armee in Friedenszeiten eine Haftstrafe von bis zu zwei Jahren oder bis zu zwei Jahre Arbeitsdienst.

Artikel 219 Absatz 2 bewehrt die Vermeidung des Dienstes in Friedenszeiten „durch Selbstverletzung oder durch Simulation einer Krankheit, durch Fälschung von Dokumenten oder auf andere betrügerische Weise“ mit einer Gefängnisstrafe von ein bis vier Jahren. Der erste bekannte Fall, in dem dieser Straftatbestand angewandt wurde, war der von Azat Ashirov, der zweite der von Serdar Dovletov (s. unten).

Von 2014 an verurteilten die Gerichte Kriegsdienstverweigerer statt zu Gefängnisstrafen zu Arbeitseinsätzen oder Bewährungsstrafen.2 Seit 2018 werden aber wieder Haftstrafen ausgesprochen. 2018 wurden zwei zu zwei Jahren Haft und zehn zu je einem Jahr Haft verurteilt.3

Aufforderungen zur Einrichtung eines alternativen Dienstes werden ignoriert

Turkmenistan ignorierte wiederholte internationale Aufrufe im Rahmen der Wehrpflicht eine Alternative zur Ableistung des Militärdienstes einzuführen. Der letzte Aufruf erging durch eine Entscheidung des UN-Menschenrechtskomitees, die am 17. September 2019 veröffentlicht wurde.4 In der Entscheidung wird festgestellt, dass die Religions- bzw. Glaubensfreiheit bei den Kriegsdienstverweigerern Juma Nazarov, Yadgarbek Sharipov und Atamurad Suvhanov durch ihre Haft verletzt wurde. Insgesamt hat das UN-Menschenrechtskomitee bislang 13 Entscheidungen zugunsten von 15 Kriegsdienstverweigerern gefällt.

Nazarov und Sharipov wurden 2012 inhaftiert, Suvhanov zum zweiten Mal 2013. Sie haben im August 2013 ihre Beschwerden an das Menschenrechtskomitee gerichtet. Alle drei beschwerten sich auch über „unmenschliche und entwürdigende Behandlung“ nach ihren Verhaftungen. Sharipov berichtete dem Menschenrechtskomitee, dass er in der „vorübergehenden Quarantänehaft“, in der er sich nach seiner Verurteilung im Dezember 2012 in Dashoguz befand, während seiner 10-tägigen Haft wegen seiner Überzeugung jeden Tag „schrecklich geschlagen und gedemütigt“ worden sei.

In einer am 21. März 2013 eingereichten Vorlage an das Menschenrechtskomitee schreibt Suvhanovs Bruder, nachdem er Atamurad zwei Tage zuvor im Untersuchungsgefängnis in Dashoguz gesehen hat, es sei klar für ihn gewesen, dass sein Bruder „schrecklich“ behandelt wurde, geschlagen und „für seine Überzeugungen gedemütigt“. Suvhanov wusste auch, dass das Gespräch mit seinem Bruder überwacht wurde. Er teilte seinem Bruder mit, dass er nicht in Kürze in das Arbeitslager geschickt werde, weil die Behörden ihn „brechen“ müssten.

Weder Sharipov noch Suvhanov reichten offizielle Beschwerden über die Schläge ein, „aus Angst vor Vergeltungsmaßnahmen und weiteren körperlichen Misshandlungen durch die Gefängnisbehörden“, stellte das UN-Komitee fest.

Das Menschenrechtskomitee entschied jedoch, dass die drei Männer ihre Misshandlungen nicht ausreichend dokumentieren konnten, um feststellen zu können, dass ihr Recht, nicht gefoltert zu werden, verletzt worden sei.

Ein Mitglied des Menschenrechtskomitees, die französische Rechtsprofessorin Hélène Tigroudja, argumentierte, die Haftbedingungen der Männer reichten aus, um eine Feststellung zu rechtfertigen, dass ihr Recht, nicht gefoltert zu werden, verletzt worden sei.

Professorin Tigroudja wies darauf hin, dass das Arbeitslager Seydi, in dem Nazarov, Sharipov und Suvhanov ihre Strafe verbüßten, „in einer Wüste mit extremen klimatischen Bedingungen liegt, sowohl im Winter als auch im Sommer, mit erbärmlichen hygienischen und Lebensbedingungen, ohne Zugangsmöglichkeit für Einrichtungen wie das Internationale Rote Kreuz und vor allem ohne jede Möglichkeit der Inhaftierten, sich über ihre Behandlung zu beschweren, ohne Vergeltungsmaßnahmen angedroht zu bekommen“. Sie merkte auch an, dass kranke Gefangene – darunter auch Tuberkulosekranke – nicht getrennt von anderen Gefangenen festgehalten würden.

Das Menschenrechtskomitee betonte, dass Turkmenistan verpflichtet ist, Nazarov, Sharipov und Suvhanov Gutmachung für die Verletzung ihrer Rechte nach dem Internationalen Pakt über bürgerliche und politische Rechte zu leisten, unter anderem „ihre Vorstrafe zu löschen und ihnen eine angemessene Entschädigung zu gewähren. Der Vertragsstaat ist auch dazu verpflichtet in der Zukunft ähnliche Verletzungen zu vermeiden.“

Das Komitee fordert Turkmenistan daher nachdrücklich auf, seiner Verpflichtung nachzukommen, ähnliche Verstöße zu vermeiden, indem beispielsweise das Gesetz geändert wird und „die Möglichkeit einer Ausnahme oder eines alternativen Dienstes mit zivilem Charakter eingerichtet wird“.

Die Zeugen Jehovahs berichteten von einem weiteren Kriegsdienstverweigerer, Arslan Begenchov, der am 20. Juni 2018 seinen Fall dem UN-Menschenrechtskomitee vorlegte. Er war im Januar 2018 in Chrajew zu einem Jahr verurteilt worden. Er war der erste verurteilte Kriegsdienstverweigerer in Turkmenistan seit 2014.

Warum gibt es keinen alternativen Dienst?

Forum 18 konnte nicht herausfinden, warum die Regierung keinen alternativen Dienst einführen will und warum Kriegsdienstverweigerer wie die zehn Zeugen Jehovahs weiter in Haft sind, obwohl sie sich bereit erklärt haben, einen alternativen Dienst abzuleisten.

Anrufe beim Vorsitzenden des parlamentarischen Menschenrechtskomitees, Yusupguly Eshshayev und bei der Ombudsfrau für Menschenrechte, Yazdursun Gurbannazarova, blieben am 27. Januar 2020 unbeantwortet. Die Regierungskommission für die Arbeit mit religiösen Gemeinschaften und zur Analyse von Quellen mit religiösen Informationen verwies auf den Experten der Kommission, Nasrullah ibn Ibadullah, der am 27. Januar 2020 jedoch ebenfalls nicht auf Telefonanrufe reagierte.

Urteil von zwei Jahren Haft in Dashoguz

Der am 27. Juni 2001 geborene Kamiljan Ergeshovich Ergashov wurde von einem Rekrutierungsbüro im Norden der Region Dashoguz zur Ableistung des Militärdienstes einberufen. Er erklärte gegenüber dem Büro, dass er aufgrund seiner religiösen Überzeugungen keinen Militärdienst ableisten könne. Er sei bereit einen vollständig zivilen alternativen Dienst abzuleisten.

Ergashov stammt aus dem Dorf Shohrat im Bezirk Niyazov in der Region Dashoguz. Das liegt nur wenige Kilometer entfernt von der Grenze nach Usbekistan. Er ist der einzige Ernährer der Familie.

Die Staatsanwaltschaft leitete ein Strafverfahren gegen Ergashov nach Artikel 219 Absatz 1 des Strafgesetzbuches ein. Das Verfahren wurde dem Bezirksgericht Niyazov übergeben. Am 13. Januar 2020 verurteilte ein Richter des Bezirksgericht Niyazov Ergashov zu zwei Jahren Haft, berichteten die Zeugen Jehovahs.

Ergashov legte Berufung gegen die Verurteilung ein. Forum 18 konnte am 27. Januar auf telefonische Nachfrage beim Gericht nicht erfahren, ob das Gericht die Berufung erhalten hat. Ergashov befindet sich weiter in der Untersuchungshaftanstalt in Dashoguz. Es wird erwartet, dass er in das Arbeitslager Seydi überstellt wird, wo die anderen acht Kriegsdienstverweigerer inhaftiert sind.

Berufung wurde zurückgewiesen

Die Berufung von Serdar Nurmuhammedovich Dovletov, der letzte Kriegsdienstverweigerer, der 2019 verurteilt wurde, ist in der Zwischenzeit abgewiesen worden. Am 3. Dezember 2019 wies das Gremium von drei Richtern unter Vorsitz von Gurbandurdy Annayev des Regionsgerichtes Mary die Berufung gegen das Urteil von drei Jahren Haft zurück. Dovletov war bei der Verhandlung nicht anwesend. Das Gericht händigte das Urteil seiner Frau aus.

Dovletov war am 12. November 2019 vom Stadtgericht Bayramali zu drei Jahren Haft verurteilt worden, weil er sich „in betrügerischer Absicht“ dem Militärdienst entzogen habe.5 Das Rekrutierungsbüro hatte ihn einberufen, obwohl er an einem chronischen Magengeschwür leidet und medizinische Behandlung benötigt, wie drei Ärzte auf der Verhandlung aussagten. Der Staatsanwalt beschuldigte Dovletov, er habe sich auf seine religiösen Überzeugungen berufen, „weil er keine anderen Gründe finden konnte, um sich in betrügerischer Absicht dem Militärdienst zu entziehen“.

Acht inhaftierte Kriegsdienstverweigerer befinden sich im Arbeitslager Seydi

Mit der Verurteilung von Ergashov sind nun zum 27. Januar 2020 neun Kriegsdienstverweigerer der Zeugen Jehovas bekannt, die sich in Haft befinden. Acht von ihnen befinden sich unter harten Haftbedingungen im Arbeitslager Seýdi in der Wüste der Region Lebap.

Die Adresse: 746222 Lebap velayat, Seýdi, uchr. LB-E/12, Turkmenistan.

In seiner Beschwerde an das Menschenrechtskomitee der Vereinten Nationen hatte der ehemalige Gewissensgefangene Aibek Salayev die Bedingungen im Arbeitslager Seýdi als „unmenschlich“ bezeichnet. Er stellte fest, dass das Lager „bekannt sei für die Überbelegung, die rauen klimatischen Bedingungen, die knappen Vorräte an Nahrungsmitteln, Medikamenten und Körperpflegemitteln sowie für Tuberkulose, Hautkrankheiten, hohe Sterblichkeitsrate und körperlichen Missbrauch.“ Ihm sei von Aufsehern auch Vergewaltigung angedroht worden.

Das UN-Menschenrechtskomitee stellte in einer Entscheidung vom 18.4.2019 (CCPR/C/125/D/2448/ 2014) fest, dass die Rechte von Salayev und eines anderen Zeugen Jehovahs verletzt wurden.6

Haft beendet

Zwei Kriegsdienstverweigerer haben kürzlich ihre Haft beendet und wurden nach der Strafverbüßung freigelassen:

  • Gurbangylych Muhammetgulyyev kam nach einem Jahr Arbeitslager am 28. November 2019 frei;
  • Azamatjan Narkulyev kam nach einem Jahr Arbeitslager am 7. Januar 2020 frei.

Liste der inhaftierten Kriegsdienstverweigerer

Es sind derzeit neun Kriegsdienstverweigerer bekannt, die Haftstrafen verbüßen:
1) Mekan Orazdurdiyevich Annayev, geboren am 22. Juni 1999, wurde am 26. Juni 2018 vom Stadtgericht Turkmenbaşy zu zwei Jahren Arbeitslager verurteilt. Er legte keine Berufung ein.

2) Eziz Atabayev, geboren am 15. März 1998, wurde am 19. Dezember 2018 vom Stadtgericht Daşoguz zu zwei Jahren Arbeitslager verurteilt. Die Berufung wurde vom Bezirksgericht Daşoguz abgewiesen.

3) Muhammetali Charygeldiyevich Saparmyradov, geboren am 11. November 1995, wurde am 19. März 2019 vom Stadtgericht Baýramaly zu einem Jahr Arbeitslager verurteilt. Er legte keine Berufung ein.

4) Bahtiyar Amirjanovich Atahanov, geboren am 17. Juni 2000, wurde am 15. Juli 2019 vom Stadtgericht Tejen nach Artikel 344 Absatz 2 zu vier Jahren Arbeitslager verurteilt. Die Berufung wurde vom Regionalgericht Ahal abgewiesen.

5) Azat Gurbanmuhammedovich Ashirov, geboren am 7. Januar 1999, wurde am 31. Juli 2019 vom Bezirksgericht Abadan nach Artikel 219 Absatz 2 zu zwei Jahren Arbeitslager verurteilt. Die Berufung wurde vom Stadtgericht Aşgabat abgewiesen.

6) David Andronikovich Petrosov, geboren am 15. Mai 2001, wurde am 30. September 2019 vom Bezirksgericht Kopetdag in Aşgabat nach Artikel 219 Absatz 1 zu einem Jahr Arbeitslager verurteilt. Die Berufung wurde vom Stadtgericht Aşgabat abgewiesen.

7) Selim Yolamanovich Taganov, geboren am 22. März 2001, wurde am 3. Oktober 2019 vom Bezirksgericht Berkararlyk in Aşgabat nach Artikel 219 Absatz 1 zu einem Jahr Arbeitslager verurteilt. Die Berufung wurde vom Stadtgericht Aşgabat abgewiesen.

8) Serdar Nurmuhammedovich Dovletov, geboren am 2. Dezember 1993, wurde am 12. November 2019 vom Stadtgericht Bayramali nach Artikel 219 Absatz 2 zu drei Jahren Arbeitslager verurteilt. Die Berufung wurde vom Regionalgericht Mary abgewiesen.

9) Kamiljan Ergeshovich Ergashov, geboren am 27. Juni 2001, wurde am 13. Januar 2020 vom Bezirksgericht Niyazov nach Artikel 219 Absatz 1 zu zwei Jahren Arbeitslager verurteilt. Er legte gegen die Entscheidung Berufung ein.

Fußnoten

1 www.forum18.org/archive.php?article_id=2244

2 www.forum18.org/archive.php?article_id=2244

3 https://de.connection-ev.org/article-2789

4 CCPR/C/126/D/2302/2013. 5. November 2019. https://undocs.org/CCPR/C/126/D/2302/2013

5 www.forum18.org/archive.php?article_id=2522

6 www.forum18.org/archive.php?article_id=2476

Felix Corley, Forum 18: Turkmenistan - First 2020 conscientious objector jailing. 27. Januar 2020. Übersetzung: rf. Auszüge. Quelle: www.forum18.org/archive.php?article_id=2537. Der Beitrag wurde veröffentlicht in: Connection e.V. (Hrsg.): Rundbrief »KDV im Krieg«, Ausgabe April 2020

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