„Afewerkis langer Arm“ und die Folgen für Geflüchtete aus Eritrea
(09.12.2019) Mithilfe ihrer Auslandsvertretungen und vermeintlich sozialen Vereinen verschafft sich die eritreische Regierung auch in Deutschland Einfluss und schüchtert Geflüchtete und Regimegegner*innen ein. Der lange Arm der Diktatur wird durch die Anforderungen deutscher Behörden wirksam, denn sie fordern Eritreer*innen auf, sich zur Dokumentenbeschaffung an die eritreischen Auslandsvertretungen zu wenden.
Als Dolmetscher für das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, als Sozialpädagoge in der Arbeit mit unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen, in der Beratung sowie bei therapeutischen Sitzungen bekomme ich hautnah mit, welche tief verletzenden und teils massiv traumatisierenden Erfahrungen Flüchtlinge in Eritrea und auf dem langen Fluchtweg durch Äthiopien, Sudan, Libyen und Mittelmeer durchlebt haben. Hinzu kommen meine eigenen Erfahrungen, die ich vor Jahren bei verschiedenen Recherchen und Reisen durch Eritrea gemacht habe. Ich kann die Ängste der Betroffenen gut nachvollziehen. Wie viele andere Menschen habe auch ich Angehörige, die vom repressiven Regime betroffen sind.
Deutsche Behörden verlangen von den Geflüchteten Kontakt zum Verfolgerstaat
Es ist bittere Realität, dass eritreische Geflüchtete sich auch in Deutschland vor dem Regime nicht sicher fühlen. Die Ausländerbehörden und Standesämter verlangen von ihnen, dass sie sich von der eritreischen Botschaft zum Beispiel eine Geburtsurkunde oder Heiratsurkunde besorgen, wohlwissend, dass sie dort gezwungen werden, eine ‚Diasporasteuer‘ (2% des Jahreseinkommens) zu bezahlen – und damit das eritreische Regime finanzieren. Diejenigen, die sich dem Nationaldienst entzogen haben, müssen zusätzlich ein sogenanntes ‚Reueformular‘ unterschreiben. In diesem heißt es wörtlich:
„Ich bereue, ein Vergehen begangen zu haben, indem ich meine nationalen Verpflichtungen nicht erfüllt habe (…). Ich (bin) bereit, die angemessenen Maßnahmen zu akzeptieren, über die noch entschieden wird.“
Mit dem Reueformular liefern sich die Geflüchteten ihrem Verfolger aus. Deutsche Behörden billigen diese Tatsachen wohlwissend und bestehen weiterhin – beispielweise im Zusammenhang mit dem Familiennachzug – auf die Beschaffung der Dokumente. Die eritreischen Flüchtlinge befürchten die Aberkennung ihrer Flüchtlingsanerkennung, haben Angst vor dem Kontakt mit dem Verfolgerstaat und sorgen sich um ihre in Eritrea lebenden Angehörigen. Ich frage mich, wie es sein kann, dass hier mit zweierlei Maß gemessen wird. Die Bundesregierung muss ihre Haltung gegenüber dem Unrechtsregime Afewerkis verändern und den Geflüchteten ermöglichen, ohne Schikanen durch ihre Verfolger in Deutschland zu leben.
Regimetreue Vereine schüchtern Geflüchtete ein
Das eritreische Regime hat im Ausland sogenannte eritreische Kulturvereine, die Mahberkoms und Gruppen der Eritreischen Frauenunion als Außenstellen gegründet, um die eritreische Community zu kontrollieren und zu steuern.
Diese Vereine finden sich auch in verschiedenen Städten Deutschlands. Um sich eine formale Legitimation zu geben, benutzen sie die deutsche Vereinssatzung und profitieren von der Anerkennung ihrer Gemeinnützigkeit. Sie geben jedoch nur vor, für soziale Zwecke in Deutschland und in Eritrea zu agieren. Eigentlich verkörpern sie die Ideologie des Unrechtsregimes. Unter dem Deckmantel des karitativen Kulturvereins kämpfen sie für die Aufrechterhaltung der Diktatur und verhelfen ihr auch im Ausland zu Einfluss. Diese vermeintlichen Vereine existieren nur, weil in Deutschland die Politik und Öffentlichkeit über ihre tatsächlichen Ziele und Handlungen nicht ausreichend informiert ist.
Die Mahberkoms leugnen die Verbrechen des eritreischen Regimes. Gewalt jeglicher Art, speziell auch die sexualisierte Gewalt gegenüber Frauen, der diese in militärischen Einrichtungen ausgesetzt sind, wird in diesen Vereinen negiert. Stattdessen veranstalten sie Regime-Feiern und sammeln Gelder ein, die sie an die eritreische Regierung schicken. Sie feiern den Diktator und das Regime in aller Öffentlichkeit.
Geflüchtete aus Eritrea werden von den Mahberkoms als Verräter*innen und Fahnenflüchtige bezeichnet. Gleichzeitig versuchen sie, die Neuankömmlinge auf ihre Seite zu ziehen. Mithilfe von Anwesenheitskontrollen, Ausgrenzungen und nötigenfalls auch Denunziationen bauen sie erheblichen sozialen Druck auf. Die regimetreuen Kulturvereine arbeiten mit Drohungen und sorgen so für eine mafiöse Schweigekultur in der eritreischen Community. Es herrscht Angst wegen möglicher negativer Folgen für Angehörige im Herkunftsland, denn bei der Verfolgung gehen die Unterstützer*innen des Regimes nach dem Prinzip der Sippenhaft vor.
Diese Angst um die Familie nutzen die Vereine auch, um Aussagen vor deutschen Ämtern und Gerichten zu beeinflussen. Regimetreue Dolmetscher*innen manipulieren zudem in ihren Übersetzungen bei Anhörungen durch das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge nach beiden Seiten. Ihre Gesprächsanteile nutzen sie für Bedrohungen und Erzeugung von Angst gegenüber den Asylsuchenden. Sie gehen dabei verdeckt vor. Es ist daher zwingend erforderlich, dass die aussagegetreue Übersetzung und die Tätigkeit der Dolmetscher*innen insgesamt überprüft werden. Asylsuchende müssen ohne Angst ihre Fluchtgründe vortragen können.
Gegner*innen des eritreischen Regimes werden behindert
Die Bespitzelung und Bedrohung durch die Mahberkoms erschwert die Arbeit der Regimegegner*innen in Deutschland erheblich. Oppositionelle Strukturen werden durch korrumpierte regimetreue Personen ausspioniert, unterwandert und zerstört. Es finden systematische Ausgrenzungen, Diffamierungen und Stigmatisierungen statt. Im Gegensatz zu den regimetreuen Vereinen fehlt es den Oppositionellen an internationalem politischen Rückhalt und an Ressourcen für die Verbreitung, Unterstützung und Förderung ihrer Demokratisierungsbestrebungen.
Unser Verein fordert, dass die Bundesregierung ihre Haltung gegenüber dem eritreischen Regime im Sinne der Menschenrechte reflektiert und verändert.
Wir fordern, dass die Bundesregierung auf die Einhaltung der Menschenrechte in Eritrea hinwirkt. Es darf keine wirtschaftliche Unterstützung geben, die der Aufrechterhaltung des Regimes nützt.
Wir fordern, dass die Bundesregierung die Geflüchteten vor dem langen Arm des Regimes schützt. Die Eintreibung der 2%-Steuer muss überprüft und unterbunden werden und die Zugriffsmöglichkeiten der eritreischen Auslandsvertretungen und der regimegesteuerten Vereine, Dolmetscher*innen und vermeintlichen Berater*innen auf Geflüchtete müssen abgewehrt werden.
Dr. Awet Kessete ist aktiv im Eritreischen Verein für Demokratie, Kultur und voneinander Lernen e.V.
Dr. Awet Kessete: Beitrag auf dem Fachgespräch im Deutschen Bundestag am 9. Dezember 2019. Der Beitrag wurde veröffentlicht in: Connection e.V. und PRO ASYL (Hrsg.): Broschüre Eritrea im Fokus: Das Willkürregime wird verharmlost, der Flüchtlingsschutz ausgehebelt, März 2020
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