Ukraine: „Wir wollen die Wehrpflicht und den Krieg beenden“
Im August 2019 gründete sich die Organisation Ukrainische Pazifistische Bewegung. Ein Gründungsmitglied ist der Journalist Ruslan Kotsaba, der 2015 und 2016 wegen Behinderung der rechtmäßigen Aktivitäten der Streitkräfte 16 Monate in Haft war. Er hatte in einer Videobotschaft seine Landsleute dazu aufgerufen, den Kriegsdienst zu verweigern und sich der Einberufung zum Krieg zu widersetzen. Lothar Eberhardt hatte Gelegenheit, mit ihm über die neue Organisation zu sprechen. (d. Red.)
Wann habt ihr die Organisation gegründet?
Die Organisation wurde im Sommer 2019 gegründet. Sie heißt Ukrainische Pazifistische Bewegung. Wir sind auch im Internet präsent unter www.facebook.com/peaceukraine/.
Was sind Eure Ziele?
Als Pazifisten wenden wir uns gegen eine militärische Lösung von politischen und wirtschaftlichen Problemen. Wir wollen die Wehrpflicht beenden und den Krieg in der Ukraine stoppen. Jeden Tag kommen Menschen um. Wir müssen viel dafür tun, selbst wenn es um meine Freiheit geht und ich dafür erneut verhaftet werden sollte. Die letzten fünf Jahre haben gezeigt, dass der Krieg eigentlich nur im Interesse der Oligarchen geführt wird.
Welche Aktionen habt Ihr durchgeführt?
Wir haben bislang zwei öffentliche Aktionen durchgeführt. In beiden Fällen wollten wir Informationen an die Öffentlichkeit bringen. Die erste Aktion führten wir vor dem Präsidialamt in Kiew durch. Sie richtete sich gegen den Militärdienst in der Ukraine. Die zweite Aktion wandte sich gegen die Jagd auf junge Männer, um sie zur Armee einzuberufen. Sie werden direkt bei Kontrollen auf den Straßen rekrutiert und zwangsweise der Armee überstellt.
Welche Reaktionen gab es auf Eure Aktion?
Wir gaben den Journalisten, die zu unseren Aktionen kamen, Interviews. Jeden Tag bekomme ich eMails von besorgten Eltern mit Bitte um Unterstützung und Hilfe. Die eMails haben zumeist den Inhalt, dass ihr Sohn festgenommen und gegen seinen Willen zur Armee gebracht worden sei. Wir geben ihnen grundlegende Informationen, auch darüber, wie sie bei der Polizei eine Anzeige machen können, dass sie darauf hinweisen sollen, dass sie gegen ihren Willen ihre Bewegungsfreiheit verloren haben. Es gibt bei uns auch ein Gesetz, das einen illegitimen Freiheitsentzug untersagt.
Von offizieller Seite gab es keine vernünftigen Reaktionen, obwohl wir einen Brief mit unseren Forderungen an den Parlamentspräsidenten geschickt hatten. Es hat sich gezeigt, dass der ukrainische Staat Menschen nicht demokratisch behandelt, sondern in der Frage der Wehrpflicht mit Gewalt vorgeht.
Wie funktioniert das System der Wehrpflicht in der Ukraine?
Momentan wird in der Ukraine Krieg geführt. Insoweit ist die ukrainische Armee keine Verteidigungsarmee, sondern eine Armee, die gegen die eigenen Bürger im Donbass Krieg führt. Diejenigen, die sich gegen den Krieg engagieren, werden als Feinde angesehen. Klar, Pazifist*innen und Menschen, die sich für die Friedensbewegung einsetzen, stören die Interessen der Oligarchen, die versuchen, mit dem Krieg ihr Geld zu verdienen.
Die Wehrpflicht ist in der Verfassung verankert. Sie betrifft alle Männer im Land. Sie müssen anderthalb Jahre Militärdienst ableisten. Das gilt für alle Männer ab 18 Jahre. Das Verhältnis von Wehrpflichtigen zu Berufssoldaten beträgt 10 zu 1. Das heißt, wir haben eine Wehrpflichtigenarmee von 250.000 Soldaten. Darüber hinaus gibt es 25.000 Berufssoldaten.
Hat sich etwas durch den neuen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj geändert? Wird das Thema Wehrpflicht wieder diskutiert?
Alle ukrainischen Präsidenten haben versprochen, die Armee zu einer Berufsarmee zu machen. Vor kurzem hat der stellvertretende Verteidigungsminister gesagt, man arbeite an einem Gesetzesentwurf für einen Übergang zu einer Berufsarmee. Bis heute sind das alles nur leere Versprechungen geblieben.
Was habt Ihr in nächster Zeit vor?
Wir wollen gemeinsam mit zivilgesellschaftlichen Organisationen und der Kirche den Präsidenten an sein Versprechen erinnern, die Wehrpflicht aufzuheben. Ich gehe davon aus, wenn es öffentlichen Druck dahingehend gibt, wird er seinen guten Ruf nicht verlieren wollen und uns entgegenkommen.
Wie können wir Euch unterstützen?
Wir würden gerne mit Organisationen in Europa zusammenarbeiten, die ein ähnliches Profil haben. Sollten wir bei unseren Aktivitäten verhaftet oder verletzt werden, möchten wir um Öffentlichkeitsarbeit seitens unserer Partner bitten.
Interview mit Ruslan Kotsaba. 28. November 2019. Das Interview führte Lothar Eberhardt.
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