Besuch aus der Türkei

Hülya Ücpinar berichtet über die Lage der Kriegsdienstverweigerer

von Rudi Friedrich

Im April 2005 besuchte die Rechtsanwältin Hülya Ücpinar Connection e.V. Wir konnten diese Zeit nutzen, um Veranstaltungen und Fachgespräche zur Lage der Kriegsdienstverweigerer in der Türkei durchzuführen. Bericht von Rudi Friedrich.

Fachgespräch mit RechtsanwältInnen

In den letzten Monaten wurden zunehmend Kriegsdienstverweigerer aus der Türkei, die in Deutschland öffentlich ihre Kriegsdienstverweigerung erklärt und Asyl beantragt hatten, von den Verwaltungsgerichten abgelehnt. Diese Ablehnungen erfolgten selbst in Fällen, in denen in der Türkei Anklagen wegen "Beleidigung des Militärs" vorliegen und Auslieferungsersuchen an deutsche Behörden gestellt wurden.

Unter anderem war davon auch Zeynettin Er betroffen, Sprecher der Initiative der kurdisch-türkischen KriegsgegnerInnen in Deutschland und Berater der türkisch-kurdischen Kriegsdienstverweigerer in der DFG-VK. Das Gericht sah in seinem Fall keine politische Verfolgung, da "durch die Reformen im Zusammenhang mit der von der Türkei erstrebten Aufnahme in die Europäische Union eine deutliche Verbesserung der strafrechtlichen Gesetzeslage wie auch der Menschenrechtspraxis festzustellen" sei.

Um möglicherweise neue Ansatzpunkte für die Asylverfahren zu finden, boten wir am 10. April ein Treffen für Berater und RechtsanwältInnen in Frankfurt an. In der Veranstaltung machte Hülya Ücpinar deutlich, dass die Straftatbestände der "Distanzierung des Volkes vom Militär" und "Beleidigung der Streitkräfte", mit denen öffentliche Äußerungen von Kriegsdienstverweigerern in der Vergangenheit verfolgt worden sind, weiterhin bestehen. "Wir sehen dies als eine Strafverfolgung der Gesinnung an. Es kommt hinzu, dass beispielsweise bei einem ’Aufruf zum Ungehorsam’ eine Anklage erhoben werden kann, ohne dass ein einziger Soldat der Aufforderung nachkam. Es reicht, dass allein die Aufforderung ergangen ist." Sie machte zudem deutlich, dass gerade diejenigen Verweigerer von Misshandlungen bedroht sind, deren Situation nicht von internationalen Organisationen beobachtet wird. "Aber selbst Mehmet Tarhan, für den es eine große internationale Öffentlichkeit gab, wurde im Militärgefängnis wiederholt misshandelt."

Hülya Ücpinar erklärte sich schließlich bereit, weitere Recherchen, auch bezüglich konkreter Fälle, durchzuführen.

Ein politisches Abendessen

Am nächsten Abend luden wir Aktive aus dem Rhein-Main-Gebiet ein, die in den vergangenen Monaten den Kriegsdienstverweigerer Mehmet Tarhan unterstützt hatten. In Frankfurt und Mainz waren wiederholt Protestaktionen vor türkischen Konsulaten organisiert worden. Unterschriften für seine Freilassung wurden gesammelt und den türkischen Behörden übergeben. Eine Postkartenkampagne sorgte für Hunderte von Solidaritätspostkarten. Am 9. März war Mehmet Tarhan überraschend freigelassen worden, sicher auch ein Erfolg der internationalen Kampagne.

In einer gemütlichen Runde berichtete Hülya Ücpinar den 20 Gästen über die Arbeit in der Türkei, die Erfahrungen bei der Kampagne zur Freilassung von Mehmet Tarhan und die weiteren Pläne. Sie berichtete, dass es vor allem spontane Aktivitäten gegeben habe. Der Prozess gegen Mehmet Tarhan wurde begleitet. Immer wieder fuhren international besetzte Delegationen zu den Verhandlungsterminen. Daraus entwickelte sich jedoch keine kontinuierliche Arbeit.

Allerdings führte die Entscheidung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte dazu, dass das Thema Kriegsdienstverweigerung zum ersten Mal breit diskutiert wird. Das war eine für alle Aktiven in der Türkei verblüffende Entwicklung. Die Aktiven in Izmir haben darauf hin beschlossen, ihre Arbeit wieder zu forcieren.

Die türkische Runde

Am 12. April folgte noch eine Veranstaltung, die vom Türkischen Volkshaus in Frankfurt organisiert worden war. Das Türkische Volkshaus ist ein seit über 40 Jahren aktiver Verein von MigrantInnen aus der Türkei. Sie nutzten die Gelegenheit, sich zum ersten Mal über das Thema Kriegsdienstverweigerung zu informieren. Hülya Ücpinar berichtete dort über die rechtliche Situation, die Kampagne zu Mehmet Tarhan und die Aussichten für die Durchsetzung einer Regelung zur Kriegsdienstverweigerung.

Bislang war es nicht möglich gewesen, Migrantenorganisationen in die Solidaritätskampagnen für Kriegsdienstverweigerer in der Türkei mit einzubeziehen. Ihr Bericht stieß allerdings auf großes Interesse, so dass wir hoffen, in Zukunft gemeinsam an diesem Thema arbeiten zu können.

Der Beitrag erschien im Rundbrief »KDV im Krieg«, Juli 2006.

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