Frauen und Antimilitarismus
(April 2020) Die unterschiedlichen Arten, wie Krieg konstruiert wird und sich geschlechtsspezifisch entfaltet, sind vielleicht eine der Situationen, bei der die Unterschiede zwischen männlich und weiblich am deutlichsten zutage treten. Im Kontext des Krieges werden Geschlechterrollen im Zusammenhang mit Gewalt hervorgehoben, da bewaffnete Konflikte im Allgemeinen eine hierarchische Asymmetrie von Rollen implizieren, in der männliche Privilegien gestärkt und alles geleugnet wird, was das weibliche Universum repräsentiert. Der Krieg sieht weibliche Körper als Schlachtfeld an, bzw. feminisiert die Identität derer, die innerhalb der Logik bewaffneter Gewalt als „anders“ gelten (z.B. ältere Menschen, Kinder, Menschen mit Behinderungen und LGBTQ)1. Die Zuschreibung des Weiblichen, dessen Status nicht auf den Körper von Frauen beschränkt ist, hat verschiedene Auswirkungen und wird im Allgemeinen in verschiedener Art und Weise im Rahmen der Unterdrückung, aber auch in verbalen Auseinandersetzungen und bei Widerstand benutzt.
Frauen, die Konflikte überleben und die Erinnerung an die Gewalt in sich tragen, sie sind Gegenstand ständiger Schikanen. Die Auswirkungen des Krieges auf die untergeordneten Körper von Frauen entfalten sich auf vielfältige Weise. Diese Auswirkungen, gepaart mit umfassenderen Formen struktureller Gewalt2 und der einfachen Tatsache, Frauen zu sein, treten unter anderem in Form von sexueller Gewalt, Folter, Vertreibung und Verstümmelung auf. Auf der anderen Seite der Medaille genießen männliche Körper – im Verständnis einer für den Krieg erforderten Heldenhaftigkeit – die Privilegien der Dominanz in dem verdrehten Versuch, bewaffnete Gewalt und symbolische Gewalt zu legitimieren3, die eine männliche Dominanz zugunsten von Tätern unterstützt.4
Sicherlich ist die Geschichte der Kriege eine Geschichte des Patriarchats und des Ortes, auf den die Frauen in ihrer sozialen Existenz verwiesen wurden – als unbezahlte Arbeitskraft und unter Kontrolle von Geburt, Fürsorge und weiblicher Sexualität – alles unterschiedliche Formen der Dominanz über das Weibliche zum Dienste der Reproduktion des Patriarchats. Hier ist der Körper von Frauen definiert als passiv und unterwürfig, der bereit ist für Pflege, Friedfertigkeit, Zartheit, Schwäche und der Schutz benötigt. Aber auch wenn den Frauen die Opferrolle zugewiesen wird, müssen wir diese Zuschreibung der Unterordnung, die historisch im Krieg gesetzt wurde, nicht annehmen. Wir sollten auch nicht die Assoziation des Männlichen mit Krieg akzeptiere. Denn wenn wir all dies für gegeben ansehen wird „die Transformation der Geschlechterverhältnisse unmöglich und letztendlich auch die Überwindung des Patriarchats selbst“5. In diesem Zusammenhang lohnt es sich zu fragen: Wie könnte die Beteiligung von Frauen am Widerstand gegen Militarismus auch als Akt des Widerstands gegen das Patriarchat im Kontext von Gewalt gesehen werden?
In der Tat haben sich feministische Kämpfe historisch durch gewaltfreie Aktionen manifestiert, wie auch durch antimilitaristische Bewegungen, die sich aus Frauen zusammensetzen, die gegen die Militärdienstpflicht aktiv wurden. Das sollte hervorgehoben werden. Wie wir bereits in unserem Buch des La Tulpa Antimilitarist Collective geschrieben haben, geht die Verbindung von Feminismus und Gewaltfreiheit zurück auf die erste Erklärung zum Muttertag, die die Dichterin und Aktivistin Julia Ward Howe 1870 veröffentlichte. In ihrem Aufruf an die Frauen der Welt prangerte sie an, wie Ehemänner, Kinder, Väter und andere für den Krieg rekrutiert werden und die Gefühle von Liebe und Mitgefühl zu ihren Müttern getötet und verlernt werden.6 Auch wenn Julia Ward Howe und ihre Erklärung zum Muttertag im 19. Jahrhundert als internationaler Beginn gelten, ist es immer noch unbekannt, ob es andere feministische Vorgängerbewegungen gab, die ihre Aktionen im Sinne von Gewaltfreiheit entwickelt haben.
Im 20. Jahrhundert war die Gruppe „Women in Black“ die weltweit bedeutendste Gruppe einer antimilitaristischen und feministischen gewaltfreien Bewegung. Sie hat eine wesentliche Rolle beim Widerstand gegen Gewalt und Völkermord durch den Staat Israel gegenüber der palästinensischen Bevölkerung gespielt. Bis ins 21. Jahrhundert hinein finden wir feministische Organisationen, die sich an palästinensischen und israelischen gewaltfreien und für den Frieden eintretenden Bewegungen im Nahen Osten beteiligen, mit politischen Zielen wie Women in Black. So z.B. formuliert von The Coalition of Women for Peace (CWP).
Zusammen mit dem American Friends Service Committee. hat die Coalition of Women for Peace Projekte wie die Hamushim 12 entwickelt,7 die die Folgen der Apartheid anprangern, unter der das palästinensische Volk durch den israelisch-militärischen Komplex leidet. Sie fördert Kampagnen und gewaltfreie Aktionen gegen den Waffenhandel auf der ganzen Welt.
Desweiteren ist die Bewegung „Mesarvot“ zu nennen.8 Deren Motto lautet „Sich weigern, der Besatzung zu dienen“. Eine bedeutende Zahl israelischer Frauen, Kriegdienstverweiger*innen, führt Kampagnen des Ungehorsams durch, um die Ableistung des verpflichtenden Militärdienstes zu vermeiden. Sie sind daher politische Gefangene im Staat Israel.
Andere Zusammenhänge von Kriegsdienstverweiger*innen aus der ganzen Welt, die über den Protest gegen den Zwang zum Militärdienst hinausgehen und das Verhältnis von Militarismus und Patriarchat in Frage stellen, sind Verweiger*innen in Südkorea, Großbritannien, der Türkei, den USA, Kolumbien und die antimilitaristischen Frauen der (spanischen) Kriegsdienstverweigerungsbewegung MOC9, die in Lateinamerika besondere Aufmerksamkeit hervorriefen.
In Kolumbien würdigen wir Carlota Rua, eine Bäuerin und Führerin der Kommunistischen Partei. Sie ist die erste Person, von der wir Dokumente vorliegen haben. Sie forderte in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts die politische Gesellschaft auf, der Rekrutierung junger Menschen unter prekären Bedingungen mehr Aufmerksamkeit zu widmen. Vermutlich ist das Anti-militarist Feminist Network in Medellin das einzige in Kolumbien, das den antimilitaristischen Kampf aus einer Perspektive der Entkolonialisierung betrachtet hat. Das Netzwerk definierte sich in Opposition zu Patriarchat, Kapitalismus, Militarismus, Kolonialismus und Rassismus als miteinander verbundene Bestandteile eines Systems der Unterdrückung. In den Worten einer ihrer Sprecherinnen:
„In unserem Verständnis einer dialektischen Geschichte widersprüchlicher historischer Kräfte, dem Kampf der Befreiungsbewegungen und den Spannungen der Dominanz (…) sind wir ganz normale Frauen, die nicht nur das Patriarchat sehen, sondern auch Neoliberalismus, Rassismus, Klassengegensätze, Diskriminierung, Ungerechtigkeit, Korruption. Kurz gesagt, in unserem Leben sehen wir das Patriarchat nicht als den einzigen Faktor für Gewalt an. Ja, wir sehen die Macht, die Macht der Dominanz, wirtschaftliche Macht, Macht der Unterwerfung. Wir sehen das Patriarchat nicht nur in den täglichen Beziehungen.“10
Schließlich gibt es in Kolumbien im Bezirk Aguablanca in der Stadt Cali eine weitere feministische Gruppe im gewaltfreiem Widerstand. Die Fundación Paz y Bien hebt eine “gewaltfreie Einstellung bei der Familienberatung” im Kontext hoher Risiken und sozio-politischen Gewalt hervor. Obwohl das keine antimilitaristische feministische Bewegung ist, wie die anderen hier vorgestellten, ist es interessant im Kontext eines institutionalisierten und kulturellen Rassismus‘ gegen Frauen, der in der Stadt Cali existiert. Und es ist ein Ausdruck gewaltfreien Widerstandes.
Mit diesen Beispielen könnte man glauben, dass es ein festes Arbeitsprogramm von Feminismus und Antimilitarismus in der Welt gibt. Obwohl die Absicht dazu besteht, ist es offensichtlich, dass antimilitaristische Bewegungen immer noch einem maskulinen Bild von Gewaltfreiheit verhaftet sind, in der feministische Stimmen begonnen haben, eine immer wichtigere Rolle zu spielen. Das ist keine neu gebildete Beziehung, es ist etwas, was in der westlichen Geschichte immer wieder im Bereich des Antimilitarismus aufgegriffen wird. Historisch ist klar, dass die Hauptrolle von Männern übernommen wurde, von Persönlichkeiten wie Martin Luther King, Gandhi, Tolstoi. Unter den großartigen Figuren für Gewaltfreiheit werden keine Frauen genannt. Dies bedeutet nicht, dass sie niemals gesehen wurden, wie die Women in Black oder Julia Ward Howe. Aber es gibt eine vorherrschende männliche Stimme, die die führende Rolle in diesem Bereich des Kampfes für sich beansprucht. Dies ist auch in Organisationen geschehen, in denen zumeist Männer die Sprecherrolle des Kollektivs übernehmen.
Kurz gesagt: Als antimilitaristisches Kollektiv befürworten wir den Aufbau neuer Zusammenhänge zur Analyse, damit es möglich wird, über andere Formen des Widerstandes gegen Militarismus und Patriarchat nachzudenken. Die Entwicklung dieser Aktionen sollte nicht nur eine Lösung gegen die Marginalisierung von Frauen in den Organisationen bieten. Wir müssen auch die neuen symbolischen Irreführungen im Auge behalten. Das zwingt uns, breitere Zusammenhänge zur Analyse vorzusehen, die im Dialog stehen mit dem Alltäglichen, dem Populären, dem Banalen und den Strukturen, um eine kritischere Vision zu entwickeln, die nicht nur das Problem geschlechtsspezifischer Gewalt und ihrer Auswirkungen benennt, sondern auch die tatsächlichen Herausforderungen zur Überwindung von Patriarchat und Militarismus.
Fußnoten
1 LGBTQ ist eine aus dem englischen Sprachraum übernommene Abkürzung für Lesbian, Gay, Bisexual and Transgender (lesbisch, schwul, bisexuell, transgender). Mit dem Aufkommen der Queer-Theorie schlossen sich queere Personen der Sammelbewegung an (LGBTQ). (d. Ü.)
2 Strukturelle Gewalt ist eine indirekte Form von Gewalt, die in den sozialen und wirtschaftlichen Strukturen von Ungleichheit verankert ist (z.B. die Apartheid in Südafrika oder der palästinensisch-israelische Konflikt). Sie wird im Allgemeinen durch einen repressiven Polizeiapparat unterstützt und ist sowohl auf nationaler wie auch auf internationaler Ebene wirksam. Sie kann wirtschaftlicher, politischer, militärischer, kultureller oder kommunikativer Natur sein. Der norwegische Soziologe und Mathematiker Johan Galtung sagt, dass die strukturelle Gewalt zwei Ebenen haben kann, vertikal und horizontal. Einerseits bezieht sich die vertikale strukturelle Gewalt auf eine asymmetrische Ausübung von Dominanz durch politische Unterdrückung, wirtschaftliche Ausbeutung oder kulturelle Entfremdung, die die Bedürfnisse von Freiheit, Wohlbefinden und Identität verletzt. Andererseits besteht die horizontale strukturelle Gewalt darin, die unterdrückte Bevölkerung von ihren sozialen und kulturellen Quellen, von ihren Bräuchen und Lebensstil, fernzuhalten. Sie basiert auf der autoritären Auferlegung von Regeln und Gesetzen, die nicht im Einklang stehen mit ihrer ethnischen und kulturellen Identität.
3 Symbolische Gewalt ist jener Zwang, der durch die Institutionalisierung der symbolischen Dimension der Machtverhältnisse ausgeübt wird. Sie ist das Ergebnis der Übernahme von eingebürgerten Zuordnungen, die durch die Aufrechterhaltung von durch die Sozialordnung normalisierten binären Strukturen aufrechterhalten werden, wie zum Beispiel über hoch versus tief, männlich versus weiblich, weiß vesus schwarz. Diese symbolische und binäre Dimension von Machtverhältnissen ist nicht nur einer einzigen Kultur vorbehalten, sondern besteht auch bei vorkapitalistischen und postindustriellen Gesellschaften. Es geht um die Fähigkeit, einer Person Bedeutungen der sozialen Welt aufzuerlegen und diese übernehmen zu lassen. Möglich wird dies durch den sogenannten gesunden Menschenverstand, der die wirtschaftliche und politische Macht verschleiert darstellt und damit zur Generationen übergreifenden Reproduktion von ungleichen sozialen Verhältnissen beiträgt.
4 Bourdieu, P. (2003). La dominación masculina. Barcelona: Editorial Anagrama.
5 Posada Kubissa, L. (2017), S. 133. Feminismo y guerra: A propósito de Judith Butler. ISEGORÍA. Journal of Moral and Political Philosophy (56), S. 127-144. doi:10.3989/isegoria.2017.056.06
6 Cuervo, A. Peñuela, C y Rodríguez, N. (2019). Trayectorias del antimilitarismo en Colombia: historia, reflexiones y política desde la noviolencia. Bogotá: Youth Observatory-OBJUN, National University of Colombia.
7 Hamushim bedeutet „bewaffnet“. Weitere Informationen über die Organisation unter https://coalitionofwomen.org/. Eingesehen am 6. Januar 2020
8 Mesarvot bedeutet „Verweiger*innen“. Für weitere Informationen zur Bewegung Mesarvot empfehlen wir: https://www.palestinalibre.org/articulo.php?a=60381. Eingesehen am 6. Januar 2020
9 Cuervo, A. Peñuela, C. Rodríguez, N (2019), S. 54. Trayectorias del antimilitarismo en Colombia: historia, reflexiones y política desde la noviolencia. Bogotá: Youth Observatory-OBJUN, National University of Colombia.
10 Cuervo, A. Peñuela, C y Rodríguez, N (2019), S. 43. Trayectorias del antimilitarismo en Colombia: historia, reflexiones y política desde la noviolencia. Bogotá: Youth Observatory-OBJUN, National University of Colombia.
Über die Autor*innen
Christian Peñuela: Sozialpsychologe und Master in Politikwissenschaft, Professor für Menschenrechte im sozial-kollektiven Zusammenhang. Mitglied von La Tulpa Antimilitarist Collective. Mitglied von La Tulpa Antimilitarist Collective. eMail: penuelac03(at)gmail.com
Alfredo Nicolás Rodríguez Páez: Mitglied im La Tulpa Antimilitarist Collective. Lehrer an der Uniminuto and Pontificia Universidad Javeriana. eMail: rodriguez.alfredo(at)javeriana.edu.co
Andrés Cuervo: Politikwissenschaftler an der National University of Colombia, Antimilitarist, Antifaschist und Kriegsdienstverweigerer. In seiner Arbeit befasst er sich mit den Opfern von bewaffneten Konflikten und Menschenrechten. eMail: cuervo.andres(at)hotmail.com
Daniela Villa Hernández: Psychologin. Forschungsarbeit im Bereich der sozialen Psychologie und Kunst. eMail: daniv.hernandez(at)gmail.com
Javier Betancourt: Psychologe und Philosoph, Mitglied im La Tulpa Antimilitarist Collective. eMail: xavi_rk556(at)hotmail.com
Santiago Forero: Psychologe an der Schule Colegio San Carlos. Mitglied im La Tulpa Antimilitarist Collective und dem Colombian Collective Action of Conscientious Objectors. eMail: santiforears(at)gmail.com
Colectiva Antimilitarista La Tulpa: Daniela Villa Hernández, Christian Peñuela, Alfredo Nicolás Rodríguez Páez, Andrés Cuervo, Daniela Villa Hernández, Javier Betancourt und Santiago Forero: Frauen und Antimilitarismus. In: Broken Rifle, London, April 2020. Übersetzung: rf. https://wri-irg.org/en/publication/broken-rifle/112/broken-rifle
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