Israel: Weiblich-politische Verweigerung als feministische Aktion
(29.04.2020) Die Kriegsdienstverweigerung ist kein neues Phänomen. Aber die Kriegsdienstverweigerung von Frauen innerhalb der Bewegung repräsentiert eine Position, mit der Frauen sich nicht nur der Armee oder Besatzung verweigern, sondern auch dem männlichen System als Ganzes. Tair Kaminer schreibt über feministische Positionen der Kriegsdienstverweigerung.
Eine feministische Aktivistin und eine Kriegsdienstverweigerin zu sein sind zwei bedeutende Identitäten in meinem Leben, jede für sich. Sie werden aber zweifellos auch voneinander beeinflusst. Die heutige Kriegsdienstverweigerungsbewegung in Israel ist in jeder Hinsicht eine feministische Bewegung. Der Feminismus beeinflusst viele Jugendliche bei ihrer Entscheidung, sich der Einberufung zur Armee zu verweigern.
Aber die Dinge lagen nicht immer so. In dem Buch „Die unabhängige Linke in Israel 1967-1993“ schrieb Yvonne Deutsch den Artikel „Eine radikale feministische Linke für die Frauenbewegung“. Sie beschrieb die Gründung von Frauenfriedensbewegungen in Israel, einschließlich Women in Black und deren internationalen Einfluss.
Sie berichtete auch über die Schwierigkeiten, denen sich Frauen zu dieser Zeit in der Linken ausgesetzt sahen: „Wir waren Partnerinnen in Diskussionen und organisatorischer Arbeit, aber größtenteils blieben wir hinter den Kulissen verborgen. Der politische Diskurs und seine Grenzen wurden von männlichen Führungskräften festgelegt. Vor allem ihre Stimmen waren bei Demonstrationen, Konferenzen, öffentlichen Veranstaltungen und Pressekonferenzen zu hören.“
Ähnliches berichtete vor 18 Jahren Shani Warner über den Shministim-Brief (Aufruf zur Kriegsdienstverweigerung von Abiturient*innen) 2001: „Als wir unseren ersten Brief als Shministim verfassten, haben wir ihn gemeinsam geschrieben – Kriegsdienstverweigerer und –verweigerinnen. Uns war klar: Die Verweigerung der Frauen ist genauso wichtig, wie die der Männer. Aber wir waren uns nicht bewusst, dass wir damit die Verweigerung von Männern und Frauen nur auf die gleiche Stufe stellten.
Im Laufe der Zeit war ich frustriert. Ich begann zu spüren, dass wir in unseren Kreisen, insbesondere bei den Shministim und der israelischen Linken im Allgemeinen, nur ein Spiegelbild dessen geschaffen hatten, wogegen wir antraten. Wir hatten die Kriegsdienstverweigerung militarisiert.“
Weigere Dich, ein gutes Mädchen zu sein, das schweigt
Heute ist die Kriegsdienstverweigerungsbewegung an einem ganz anderen Ort. Im Jahr 2015 wurde die Organisation Mesarvot (Verweigerung) gegründet, ein Netzwerk zur Kriegsdienstverweigerung. Der Name wurde gewählt, um die feministische Stimme der israelischen Linken zu stärken. 2017 wurde ein Brief zur Kriegsdienstverweigerung veröffentlicht, der eine lange Tradition fortsetzte und als „Brief der Shministim“ bekannt wurde. Der Name Mesarvot wurde aber ganz bewusst gewählt, in Abgrenzung zum „Brief der Shiministim“, um deutlich zu machen, dass der Brief von jungen Männern und Frauen gemeinsam geschrieben und unterschrieben wurde.
In den letzten Jahren haben junge Männer und Frauen, vor allem aber junge Frauen, beschlossen, sich der Einberufung zur Armee zu verweigern, selbst wenn sie dafür ins Militärgefängnis müssen. Sie tun dies, um einen Diskurs zu fördern, der ein Ende der israelischen Besatzung einfordert und der sich gegen israelische Gewalt, Kontrolle und gegen die Unterdrückung der Palästinenser*innen richtet. Für mich sind das ohne Zweifel feministische Werte.
Es gab eine Welle von Kriegsdienstverweigerinnen, die deutlich machten, dass dieser Zusammenhang offenkundig ist. Als junge Frauen ermöglicht uns die Verweigerung, unsere Stimme und unseren Widerstand gegen Unterdrückung öffentlich zu machen.
„Sie (die Verweigerinnen) sind gezwungen, die Grenzen zu überwinden, die für sie durch die Tatsache definiert sind, dass sie gute israelische Mädchen sein sollen. Sie denken für sich selbst und öffnen den Mund an einer Stelle, wo ihnen gesagt wurde, dass sie schweigen und nicht denken sollten. Sie tun dies, weil sie etwas zu sagen haben“. Das schreibt Idi Zertel im Kapitel „Was hat sie zu sagen?“ in ihrem Buch „Verweigerung“.
Israelischer Militarismus, der Frauen auf beiden Seiten der Grenze trifft
Die Verweigerung von Frauen bringt eine breitere und tiefere Kritik des gesamten politischen Systems mit sich. Wenn Männer den Kriegsdienst verweigern, tun sie dies normalerweise mit dem Gedanken, dass sie diejenigen sind, die in einer Kampfeinheit dienen und ein Gewehr nehmen sollen. Wenn wir uns als Frauen dem Dienst verweigern, lehnen wir das System als Ganzes ab, ohne uns auf die Kampfeinheiten zu fokussieren, die immer noch mit dem Einsatz von Männern identifiziert werden.
Wir sprechen von einem feministischen Diskurs, der die Unterdrückung des palästinensischen Volkes mit der Unterdrückung von Frauen im Allgemeinen, Israelis wie Palästinenserinnen, in Beziehung setzt und den Militarismus in der Gesellschaft als Folge von Gewalt gegen Frauen ansieht. Uns ist klar, dass die patriarchale Realität, in der wir alle leben, von der Tatsache beeinflusst wird, dass die überwiegende Mehrheit der Israelis am hierarchischen und männlichen Militärsystem teilnimmt.
Weibliche Verweigerung, die Geschwisterlichkeit schafft
Mesarvot ist ein Netzwerk für die politische Kriegsdienstverweigerung. Wir sind eine Gruppe von Aktivist*innen, deren Ziel es ist, Frauen zu unterstützen und diejenigen, die aus politischen Gründen den Kriegsdienst verweigern. Wir fördern einen Diskurs über Kriegsdienstverweigerung in der israelischen Öffentlichkeit. Zuallererst treten wir füreinander ein.
Als Verweiger*innen ist uns die Geschwisterlichkeit untereinander wichtig. Wir haben ein Netzwerk von großen Schwestern geschaffen, das jede und jeden im Prozess der Verweigerung unterstützt, der oft eine Herausforderung in politischer, sozialer und emotionaler Ebene ist. Manchmal spiegelt sich dies in gemeinsamen politischen Aktionen wieder. Manchmal sitzen wir einfach zusammen und tauschen unsere Erfahrungen aus der Haft aus.
Stehen sich Freund*innen gegenüber, die einerseits in die Armee eintraten, andererseits verweigerten? Nein. Trotz des deutlichen Unterschieds können wir dank der Online-Mitgliedschaft Teil einer Community mit gemeinsamen Werten und Erfahrungen sein. Und das gibt uns viel.
Nicht alle Aktivist*innen verweigerten oder saßen im Gefängnis. Es kann für jede/n schwierig sein, ein Leben als junge/r Aktivist*in aufzubauen. Wir hatten das Glück, dass Mesarvot die erste politische Organisation war, an der wir uns beteiligten. Es ist eine Gruppe, die gemeinsames Denken und Überlegen ermöglicht und die jedem/r Aktivist*in eine Plattform und Unterstützung bietet.
Am 30. April beginnt Mesarvot online-Treffen durchzuführen unter dem Titel „Nichts Offensichtliches – Dilemmas über Rekrutierung, Verweigerung und Aktivismus“. Wir befassen uns darin mit Fragen wie: Ist es feministisch, sich zu engagieren? Eintritt in die Armee, um deren Methoden zu ändern? Sexuelle Belästigung von innen bekämpfen oder nicht? An einem patriarchalen und gewalttätigen System teilnehmen? Alles schwierige Fragen, die nicht einfach zu beantworten sind. Mit den Treffen wollen wir versuchen, die Dilemmas zu bewältigen, denen sich junge Feministinnen angesichts einer Einberufung in die israelische Armee ausgesetzt sehen. Atalia Ben Abba, die eigene Erfahrungen damit hat, wird dabei sein, um über ihren Weg und die von ihr getroffenen Entscheidungen zu berichten.
Tair Kaminer aus Israel verweigerte 2016 die Einberufung in die israelische Armee. Sie wurde wegen ihrer Kriegsdienstverweigerung zu insgesamt 155 Tagen Gefängnis verurteilt.
Tair Kaminer: סרבנות נשית-פוליטית כאקט פמיניסטי. 29. April 2020. Auszüge. https://politicallycorret.co.il/feminist_refusal/. Übersetzung: rf. Der Beitrag wurde veröffentlicht in: Connection e.V. (Hrsg.): Rundbrief »KDV im Krieg«, Ausgabe Oktober 2020
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