Eritreische Streitkräfte kämpfen in Tigray
(24.11.2020) Human Rights Concern-Eritrea (HRCE) hat glaubwürdige Nachweise erhalten, dass die eritreischen Streitkräfte, darunter auch Wehrpflichtige, in die äthiopische Region Tigray entsandt wurden. Sie sind an der Seite der äthiopischen Streitkräfte an heftigen Kämpfen gegen die Tigrayische Volksbefreiungsfront (TPLF) beteiligt.
Die TPLF führte in den letzten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts einen Befreiungskampf gegen Äthiopien und beteiligte sich später an der äthiopischen Regierung. In jüngster Zeit gab es anhaltende Spannungen zwischen der äthiopischen Regierung und der TPLF, die die nördlichste Provinz des Landes, Tigray, kontrolliert. Diese Spannungen spitzten sich am 4. November zu, als Premierminister Abiy Ahmed das äthiopische Militär anordnete, in Tigray einzumarschieren, dort die Kontrolle zu übernehmen und einen sechsmonatigen Ausnahmezustand zu verhängen. Schwere Kämpfe, darunter auch Luftangriffe der Bundesarmee, haben zu weitverbreiteten Opfern geführt, auch unter der Zivilbevölkerung.
Inzwischen ist klar, dass eritreische Infanterie und motorisierte Einheiten in den Krieg im Tigray verwickelt sind und an der Seite der äthiopischen Bundestruppen am Krieg beteiligt sind. Es wird berichtet, dass sie hohe Verluste erlitten haben.
Die Verbindungen über Telefon und Internet wurden vollständig gekappt. Es ist daher schwierig, Informationen an die Außenwelt zu tragen. HRCE kann nun aber bestätigen, dass eritreische Streitkräfte in Tigray kämpfen. Eritreische Kriegsgefangene der Division 21 der eritreischen Armee wurden nicht nur von tigrayischen Journalisten in Tigray interviewt. HRCE konnte auch Gespräche mit zuverlässigen Quellen in Eritrea führen – Personen, die Brüder und Schwestern haben, die in eritreischen Armeeeinheiten in Tigray eingesetzt werden. Auch sie haben bestätigt, dass eritreische Divisionen (darunter schwer gepanzerte Einheiten) im Tigray kämpfen. Die Infanterieeinheiten bestehen zum großen Teil aus unerfahrenen jungen Wehrpflichtigen des Nationaldienstes, die zusammengetrieben und gezwungen werden, in einem Krieg zu kämpfen, für den sie kaum ausgebildet wurden und keine Ausrüstung haben und in dem sie keinen Sinn erkennen können.
Der äthiopische Premierminister Abiy Ahmed hat den TPLF-Streitkräften in Mekelle ein 72-Stunden-Ultimatum gestellt, sich zu ergeben. Er sagte auch, dass „alle notwendigen Vorsichtsmaßnahmen getroffen wurden, um sicherzustellen, dass keine Zivilpersonen verletzt werden.“ Ein Sprecher des äthiopischen Militärs soll hingegen gewarnt haben: „Wir möchten der Öffentlichkeit in Mekelle eine Nachricht senden, sich vor Artillerie-Angriffen zu retten und sich von der Junta zu befreien. (…) Danach wird es kein Pardon mehr geben.“ Das äthiopische Militär plant, Mekelle, die Hauptstadt der Region Tigray, mit Panzern einzukreisen. Es warnt die Zivilbevölkerung, dass möglicherweise auch Artillerie gegen die Stadt eingesetzt wird.
Es ist schwer vorstellbar, dass Artillerie-Angriffe so präzise sein sollen, um keine Zivilpersonen zu verletzen. Tatsächlich wurden viele Zivilpersonen, unter ihnen auch Eritreer*innen, bereits bei Luftangriffen der Regierung getötet und verletzt. Ob eine Politik „ohne Pardon“ gegenüber Zivilpersonen legitimiert werden kann unter Einhaltung der Vierten Genfer Konvention zum Schutz von Zivilpersonen in Kriegszeiten (1950), ist umstritten. Der Krieg hat möglicherweise bereits den Tod von Tausenden verursacht.
Ähnliche humanitäre Bedenken bestehen in Bezug auf intern vertriebene Tigrayer*innen und bis zu 100.000 eritreische Flüchtlinge in vier Lagern in Tigray, deren Versorgung mit Nahrungsmitteln und Medikamenten durch die Militäroffensive vollständig eingestellt wurde. Nun sind sie von Hunger bedroht.
Eizabeth Chyrum, Geschäftsführerin von Human Rights Concern-Eritrea, gab folgende Erklärung heraus:
- „Wir verurteilen vorbehaltlos die aggressive Intervention eritreischer Streitkräfte in Tigray, einer Provinz einer unabhängigen Nation. Es kann keine Rechtfertigung für diese Einmischung und den daraus resultierenden und unnötigen Tod von Soldat*innen auf beiden Seiten geben. Wir fordern Eritrea auf, seine Streitkräfte unverzüglich aus Tigray abzuziehen.
- Die Drohung der äthiopischen Regierung, eine Großstadt mit einer großen Zivilbevölkerung mit Artillerie anzugreifen, ist absolut verwerflich. Keine Regierung hat das Recht, ihre eigene Bevölkerung wahllos zu bombardieren, um Rebellen niederzuschlagen. Eine solche Drohung ist inakzeptabel und kann bedeuten, dass die angreifenden Streitkräfte Kriegsverbrechen begehen.
- Es ist wichtig, dass dieser regionale Verfassungsstreit innerhalb von Äthiopien durch Verhandlungen beigelegt wird, um das zu erreichen, was der Generalsekretär der Vereinen Nationen als „friedliche Beilegung des Streits“ bezeichnet hat. Unverzüglich muss ein Waffenstillstand erklärt werden, damit Friedensverhandlungen beginnen können.
- Es ist wichtig, dass die Sicherheit und das Wohlbefinden von bis zu 100.000 eritreischen Flüchtlingen in der Provinz Tigray gewährleistet sind und dass sie mit Nahrungsmitteln und Medikamenten versorgt werden können.“
Human Rights Concern – Eritrea (HRCE); Eritrean Armed Forces Fighting Inside Tigray, 24. November 2020