Quelle: Wikipedia

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Tadschikistan: Ein Kriegsdienstverweigerer frei, ein anderer inhaftiert

von Felix Corley

(05.11.2020) Der 22-jährige Rustamjon Norov aus Duschanbe wurde wegen seiner Kriegsdienstverweigerung angeklagt und befindet sich im Untersuchungsgefängnis in Khujand. Er muss mit einer Strafe von zwei bis fünf Jahren Haft rechnen.

Der Kriegsdienstverweigerer Jovidon Bobjonov wurde am 1. November nach einer Amnestie des Präsidenten aus der Haft entlassen. Er verbüßte neun Monate seiner zweijährigen Haftstrafe.

Antrag auf Ableistung des alternativen Dienstes

Der am 27. Oktober 1998 geborene Rustamjon Batyrovich Norov wuchs in einer Familie der Zeugen Jehovah in der Hauptstadt Duschanbe auf. Er verdient seinen Lebensunterhalt damit, Wohnungen zu renovieren und alte Möbel zu restaurieren.

2013 brachten die lokalen Behörden ihn und seinen jüngeren Bruder Ravshan von der Schule zwangsweise zum Rekrutierungsbüro, um die Musterung durchzuführen. Zu dieser Zeit war Rustamjon Norov erst 15 Jahre alt.

2016 meldete sich Norov freiwillig beim Rekrutierungsbüro. Er erklärte seine Kriegsdienstverweigerung und bat darum, einen alternativen zivilen Dienst ableisten zu können. Im folgenden Jahr wiederholte er das. Der stellvertretende Kommandeur des Rekrutierungsbüros „respektierte Norov und war von seiner Erklärung beeindruckt“, so die Zeugen Jehovahs. In den nächsten drei Jahren wurde Norov nicht zum Militärdienst einberufen.

Vorgeladen und inhaftiert

Am 24. September 2020 lud das Rekrutierungsbüro des Bezirks Sino in Duschanbe Norov vor. Er wurde drei Stunden lang befragt und schließlich für militärdienstfähig erklärt. Die Beamten versuchten ihn dann zwangsweise einer medizinischen Untersuchung zu unterziehen. Norovs Vater Batyr war Zeuge des Vorfalls und forderte die Beamten auf, den Fall seines Sohnes an die Staatsanwaltschaft weiterzuleiten.

Am 1. Oktober folgte Norov gemeinsam mit seinem Vater einer Vorladung der Staatsanwaltschaft. Der Staatsanwalt teilte ihn einem Polizisten zu, der ihn dann „unter falschem Vorwand gewaltsam“ zum Rekrutierungsbüro des Bezirks Sino brachte. Dort wurde dem Vater der Zugang verwehrt. Norov wurde für zwei Tage im Rekrutierungsbüro der Stadt Duschanbe festgehalten. Er wurde weder offiziell angeklagt noch eine Untersuchung eingeleitet. Während seiner Haft hinderten ihn die Beamten daran, einen Anwalt zu konsultieren.

Am 3. Oktober schickten ihn die Beamten zu verschiedenen Militäreinheiten in Khujand in den im Norden gelegenen Bezirk Sugd. Am 6. Oktober durfte er seine Familie anrufen und von seinem Anwalt besucht werden.

Am 17. Oktober wurde Norov vom Staatsanwalt der Militärstaatsanwaltschaft Sugd, Sh. Nematzoda, in Haft genommen. Er wurde angeklagt, seine Krankengeschichte gefälscht zu haben, um dem Militärdienst zu entgehen, was er bestreitet. Er wurde nach Artikel 376 Absatz 2 des Strafgesetzbuches angeklagt (Weigerung der Ableistung des Militärdienstes mit dem Ziel die Ableistung gänzlich zu umgehen). Die Strafandrohung beträgt zwischen zwei und fünf Jahren.

Am 19. Oktober ordnete Richter Shakhrior Iskandarzoda vom Militärgericht Khujand an, dass Norov für die Zeit der Ermittlungen in Untersuchungshaft genommen werden solle. Das teilten die Zeugen Jehovahs mit. Norov legte am 21. Oktober gegen den Beschluss Berufung ein. Am 28. Oktober bestätigte das Militärkollegium des Obersten Gerichtshofes in Duschanbe die Entscheidung.

Am 5. November antwortete der Chef der internationalen Abteilung des Obersten Gerichtshofes auf die Anfrage von Forum 18, warum Tadschikistan immer noch keine Alternative zur Ableistung des Militärdienstes habe und die Behörden weiterhin Kriegsdienstverweigerer bestrafe: “Ich kann diese Fragen nicht kommentieren, weil sie politisch sind. Unsere Abteilung ist nicht befugt solche Fragen zu beantworten.“ Bislang gibt es noch keinen Termin für das Strafverfahren.

Die Zeugen Jehovahs erklärten, Norov sei durch ältere Glaubensbrüder ermutigt worden, die aufgrund ihres Glaubens inhaftiert waren. „Ich sehe sehr klar die möglichen Konsequenzen meiner neutralen Haltung“, erklärte Norov. „Wenn ich ins Gefängnis komme, werde ich dies als eine Ehre ansehen, dem Namen Jehovahs in einer ‚neuen Umgebung‘ zu heiligen.“

Norov befindet sich in Untersuchungshaft. Die Adresse: Ya/T 9/2 Investigation Prison, Khujand, Sugd Region, Tajikistan

Kriegsdienstverweigerer nach Amnestie frei

Am 1. November wurde der am 10. März 2000 geborene Jovidon Jamolovich Bobojonov nach neun Monaten seiner zweijährigen Haft freigelassen, berichtete sein Vater. Seine Freilassung folgte einer Amnestie des Präsidenten Emomali Rahmon vom 30. Oktober. Aufgrund der Amnestie wurden 378 Personen entlassen „auf Grundlage der Grundsätze der Menschlichkeit, des Mitgefühls, der Fürsorge für Familie, Kinder und Jugendliche.“ Es ist nicht bekannt, ob andere politische Gefangene durch die Amnestie aus der Haft entlassen wurden.

„Jovidon geht es gut. Er wurde im Gefängnis normal behandelt“, sagte Bobojonovs Vater Jamol Bobojonov am 5. November. „Am Anfang hatte er im Gefängnis keine Bibel zum Lesen, aber schließlich bekam er eine.“

Am 2. April 2020 hatte das Militärgericht in Duschanbe Bobojonov wegen seiner Kriegsdienstverweigerung zu zwei Jahren Haft in einem Arbeitslager verurteilt. Obwohl er bereits seit Oktober 2019 in der Militäreinheit festgehalten worden war, begann die Haftzeit erst mit seiner offiziellen Haft im Januar 2020. Nach seiner Verurteilung war er in das Lager in Yavan in der im Südwesten gelegenen Region Khatlon gebracht worden.1

Von Oktober 2019 bis Januar 2020 wurde Bobojonov gewaltsam in der Militäreinheit festgehalten. In der Zeit wurde er von Militärangehörigen gefoltert. Sie schlugen ihn und knieten sich auf seinen Nacken, als sie ihn unter Druck setzten, damit er den Eid ableistet und eine Uniform anzieht. Für die Folter wurde niemand bestraft.2

Jamol Bobojonov teilte nach der Freilassung seines Sohnes mit, dass die Familie bei der Präsidialverwaltung und der Generalstaatsanwaltschaft Beschwerde gegen die Folter eingereicht und gefordert habe, dass diejenigen, die Jovidon Bobojonov in der Einheit körperlich angegriffen hatten, bestraft werden. „Wir erhielten aber keine Antwort.“

Der bei der Generalstaatsanwaltschaft in Duschanbe für Beschwerden von Bürgern zuständige Beamte, Shodigul Moyonshoyeva, lehnte es auf Nachfrage ab, mitzuteilen, warum die Beschwerde von Bobojonov nicht untersucht und die zuständigen Soldaten nicht vor Gericht gestellt wurden. „Tut mir leid. Wegen der Pandemie sind wir mitten in den Desinfektionsarbeiten“, behauptete er am 5. November. „Rufen Sie mich in einigen Tagen erneut an.“

Wehrpflicht

Der Militärdienst von zwei Jahren ist für fast alle tauglichen Männer zwischen 16 und 27 Jahren Pflicht. Artikel 1 des Gesetzes über die allgemeine Wehrpflicht und den Militärdienst hält fest: „Gemäß diesem Gesetz hat jeder Bürger das Recht, anstelle des Militärdienstes einen alternativen Dienst abzuleisten. Das Verfahren für den Alternativdienst wird durch Gesetz geregelt.“ Solch ein Gesetz wurde bislang nicht verabschiedet. Tatsächlich deuten Kommentare aus dem Militär im Jahr 2007 darauf hin, dass das Verbot der Zeugen Jehovahs im Zusammenhang steht mit ihrer Ablehnung eines Militärdienstes.3 Wer aus Gewissensgründen keinen Militärdienst ableisten kann, sieht sich der Strafverfolgung ausgesetzt.

Weiterhin kein Gesetz zum alternativen Dienst

Trotz internationaler Menschenrechtsverpflichtungen und wiederholter Anfragen des UN-Menschenrechtskomitees sowie der UN-Arbeitsgruppe gegen willkürliche Inhaftierungen hat Tadschikistan keine Möglichkeit eines echten alternativen Dienstes für wehrpflichtige junge Männer eingeführt.

Die UN-Arbeitsgruppe gegen willkürliche Inhaftierungen befasste sich 2017 mit dem Fall von Daniil Islamov. Er war im April 2017 einberufen worden, obwohl er aufgrund von gesundheitlichen Problemen keinen Militärdienst ableisten konnte.4 Anschließend wurde er nach Artikel 376 Absatz 1 des Strafgesetzbuches angeklagt wegen Selbstverstümmelung bzw. Vortäuschung einer Krankheit. Im Oktober 2017 verurteilte ihn das Militärgericht Qurghonteppa in der Region Khatlon zu sechs Monaten Haft.

Die UN-Arbeitsgruppe erklärte am 5. Oktober 2017, Tadschikistan solle den Gewissensgefangenen Islamov „unverzüglich“ freilassen. Die Regierung ignorierte diese Aufforderung.5 In der Stellungnahme (A/HRC/WGAD/2017/43) hält die Arbeitsgruppe fest, dass Tadschikistan gegen den Internationalen Pakt über bürgerliche und politische Rechte verstoßen hat. Es wurde festgestellt, dass „das Recht auf Kriegsdienstverweigerung im internationalen Recht gut verankert ist und sich aus dem Artikel 18 des Paktes ergibt. Die Regierung Tadschikistans wurde vom UN-Menschenrechtskomitee darauf aufmerksam gemacht, der ausdrücklich empfohlen hat, dass Tadschikistan in solchen Fällen eine Alternative zum Militärdienst anbieten soll“.6 Die Arbeitsgruppe erklärte zudem, dass die Regierung innerhalb von sechs Monaten nach Übermittlung der Stellungnahme vom Oktober 2017 darüber informieren solle, „ob irgendwelche Gesetzesänderungen oder Änderungen der Praxis vorgenommen wurden, um die Rechte und Praxis Tadschikistans mit den internationalen Verpflichtungen in Übereinstimmung mit der vorliegenden Stellungnahme zu bringen“. Die Arbeitsgruppe hat innerhalb der Frist von sechs Monaten jedoch keine Antwort erhalten.7

Das UN-Menschenrechtskomitee erklärte in den Abschließenden Beobachtungen zum Internationalen Pakt über bürgerliche und politische Rechte vom 22. Juli 2004: „Der Vertragsstaat sollte alle notwendigen Maßnahmen treffen, um das Recht auf Kriegsdienstverweigerung anzuerkennen.“8

Diese Aufforderung wurde erneut vorgebracht vom UN-Menschenrechtskomitee in den Abschließenden Beobachtungen am 23. April 2013, worin „die bereits bestehende Sorge wiederholt wird, dass die staatlichen Behörden das Recht auf Kriegsdienstverweigerung nicht anerkennen und es keine Alternative zur Ableistung des Militärdienstes gibt“9.

Das UN-Menschenrechtskomitee äußerte seine Sorge ein weiteres Mal in den Abschließenden Beobachtungen vom 18. Juli 2019: „Der Vertragsstaat sollte seine Bemühungen verstärken, die erforderliche Gesetzgebung zu erlassen, damit ein Recht auf Kriegsdienstverweigerung ohne Diskriminierung hinsichtlich der Art des Überzeugung (religiöse oder nicht-religiöse Gewissensgründe) für die Verweigerung anerkannt wird und um sicherzustellen, dass ein alternativer Dienst keinen Straf- oder diskriminierenden Charakter in der Art und Dauer aufweist im Vergleich zum Militärdienst“.10

„Ein schweres Verbrechen“?

Kriegsdienstverweigerer Bobojonov hat angeblich „durch seine Kriegsdienstverweigerung ein schweres Verbrechen begangen“, so Generalmajor Musa Odinazoda, stellvertretender Chef des Generalstabs der Streitkräfte im Oktober 2019.11

Vertreter des Staates, auch von der Präsidialverwaltung, weigerten sich gegenüber Forum 18 zu erklären, warum Tadschikistan Kriegsdienstverweigerer wie Bobojonov so schnell festnimmt und strafrechtlich verfolgt und so schleppend auf wiederholte Empfehlungen des UN-Menschenrechtskomitees aus den Jahren 2004, 2013 und 2019 reagiert.12

Am 29. März 2019 behauptete Tadschikistan gegenüber dem UN-Menschenrechtskomitee, dass ein Gesetz über den alternativen Dienst ausgearbeitet werde. Im Januar 2020 jedoch erklärte Subhiddin Bakhriddinzoda vom Nationalen Rechtszentrum des Präsidenten: „Es gibt keine Gesetzentwurf über einen alternativen Dienst, der dem Parlament vorgelegt werden kann.“13

Ein Assistent des Abgeordneten Imomali Nasriddinzoda, Vorsitzender des Ausschusses für Recht und Menschenrecht des Parlamentes, sagte, das Parlament „könne erwägen, nach der nächsten Wahl“ am 1. März ein Gesetz über einen alternativen Dienst zu verabschieden.14

Die Wahlen, geprägt von „systemischen Verstößen gegen grundlegende Rechte und Freiheiten“15, fanden statt. Der Abgeordnete Nasriddinzoda war erneut Vorsitzender des Ausschusses für Recht und Menschenrecht. Als Forum 18 seinem Büro gegenüber erklärte, es wolle über ein Gesetz über einen alternativen Dienst reden, antwortete ein Assistent, dass „wir angewiesen wurden, internationalen Organisationen keine Kommentare zu geben“ und legte den Hörer auf. Im Juni ging Nasriddinzoda selbst ans Telefon, legte aber auf, als sich Forum 18 vorstellte.

Fußnoten

1 http://www.forum18.org/archive.php?article_id=2582

2 https://de.connection-ev.org/article:tadschikistan-kriegsdienstverweigerer-gefoltert-jovidon-bobojonov-zu-zwei-jahren-haft-verurteilt

3 http://www.forum18.org/archive.php?article_id=2138

4 http://www.forum18.org/archive.php?article_id=2312

5 http://www.forum18.org/archive.php?article_id=2455

6 http://www.ohchr.org/Documents/Issues/Detention/Opinions/Session79/A_HRC_WGAD_2017_43_EN.pdf

7 https://de.connection-ev.org/article:tadschikistan-ist-kriegsdienstverweigerung-ein-schweres-verbrechen

8 CCPR/CO/84/TJK

9 CCPR/CO/84/TJK, Absatz 20

10 CCPR/C/TJK/CO/3

11 https://de.connection-ev.org/article:tadschikistan-ist-kriegsdienstverweigerung-ein-schweres-verbrechen

12 https://de.connection-ev.org/article:tadschikistan-kriegsdienstverweigerer-gefoltert-jovidon-bobojonov-zu-zwei-jahren-haft-verurteilt

13 https://de.connection-ev.org/article:tadschikistan-ist-kriegsdienstverweigerung-ein-schweres-verbrechen

14 https://de.connection-ev.org/article:tadschikistan-kriegsdienstverweigerer-gefoltert-jovidon-bobojonov-zu-zwei-jahren-haft-verurteilt

15 http://www.osce.org/files/f/documents/9/9/453243.pdf

Felix Corley, Forum 18: Tajikistan - Conscientious objector freed, but another jailed. 5. November 2020. Übersetzung: rf. https://www.forum18.org/archive.php?article_id=2615

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