Abdelrahman Ferah

Abdelrahman Ferah

Eritrea: "Es war uns klar, dass wir fliehen müssen"

Interview mit Abdelrahman Ferah

Am 12. Juni 2008 besuchten Rechtsanwalt Stephan Hocks und Rudi Friedrich von Connection e.V. Abdelrahman Ferah in der Flüchtlingsunterkunft am Frankfurter Flughafen. Als Übersetzer war Yonas Bahta anwesend. Dort berichtete uns Abdelrahman Ferah mit seinen eigenen Worten seine Erfahrungen in Eritrea. (d. Red.)

Mein Name ist Mohamed Abdelrahman Ferah. Ich wurde am 3. September 1974 in Asmara geboren. Ich bin Muslime und gehöre der Minderheit der Jeberti an. Ich wuchs in Asmara auf und war von der 1. bis zur 7. Klasse in der Martin-Luther-King Schule. Nachdem ich die Schule beendete, lernte ich als Mechaniker zu arbeiten und übte diese Tätigkeit in Asmara aus, bis ich nach Sawa kam.

Ich wurde mehrmals von den Behörden zum Militärdienst einberufen, das erste Mal im Jahre 1997, das zweite Mal 1998 und ein drittes Mal im Jahre 2004. Ich wollte aber nicht gehen und bin auch der Einberufung nicht gefolgt.

Es war eine wirklich lange Zeit, in der ich mich der Einberufung entziehen konnte. Ich arbeitete in Asmara in einer Werkstatt, die direkt hinter einem großen Hotel liegt. Es war keine offene Werkstatt, sondern eine versteckte, illegale. Ich war in Asmara kaum draußen. Ich versuchte, nicht aufzufallen und versteckte mich.

Bis 1996 wohnten wir im Stadtteil Hashas, aber 1996 wurden die Häuser geräumt und das alte Viertel zerstört. Deswegen gingen wir nach Aba Mojal, einem Gebiet, in dem die Familien von Polizisten leben und es daher nicht so viele Kontrollen gibt. Als mein Vater nicht mehr arbeitete, zogen wir nach Mehram Chira.

Die Briefe für die Einberufungen kamen zu uns nach Hause. Um den Einberufungen zu entgehen, war insbesondere mein Vater hilfreich. Er war Soldat bei den Derg gewesen und ging von dort zur EPLF. Da er ein langjähriger Kämpfer der EPLF war, konnte er für mich ein paar Worte einlegen, so dass das Militär die Augen zudrückte. Im Jahre 1997 war auch mein Bruder rekrutiert worden, was uns etwas Luft gab. Aber nach unserem Umzug nach Mehram Chira konnte mein Vater nicht mehr so viel für mich tun.

Im Dezember 2005 wurde ich von der Militärpolizei verhaftet. Ich war Abends manchmal in ein Teehaus gegangen in Piazza Mekele. Zwei Militärpolizisten, die mit einem Auto herumfuhren, kamen und erwischten mich dort. Sie schauten sich nach allen um, die so aussahen, als ob sie im Alter für den Militärdienst wären. Sie fragten nach meinem Passierschein vom Militär. Da ich ihn nicht hatte, nahmen sie mich fest.

Ich wurde dann zum Gefängnis Adi Abeito gebracht. In Adi Abeito wurde mir Blut abgenommen und dieses wohl untersucht. Mir wurde gesagt, ich hätte die Blutgruppe Null.

In Adi Abeito mussten wir zu dritt in einer Zelle bleiben, die vielleicht gerade mal 2x2 Meter maß. Nur einmal am Tag ließ man uns auf Toilette gehen. Morgens gab es einmal Brot mit Linsen und Tee. Drei Mal in der Woche kamen wir an die Sonne.

Manchmal wurde ich verhört. Sie fragten mich, wo ich so lange gewesen sei, wo ich mich versteckt habe, warum ich mich so lange dem Militärdienst verweigert habe? Ich habe nie einen Richter gesehen und wurde dann im April 2006 direkt nach Sawa überstellt.

Das Militärlager in Sawa untersteht dem Colonel Debesay Gidey. In Sawa wurde ich nicht gemustert. Es gab keine medizinische Untersuchung.

Ich wurde einer Gruppe von Rekruten zugeteilt, die sich alle vorher dem Militärdienst entzogen hatten oder gefasst worden waren. Es waren auch Schüler darunter, die sich dem Arbeitseinsatz bei der Erntehilfe verweigert hatten. Wir durften uns nur in einem kleinen Gebiet bewegen und hatten keinen Kontakt mit anderen Soldaten, außer mit ausdrücklicher Genehmigung.

Ich hatte von Anfang an die Idee, aus Sawa zu fliehen. Ich hatte auch noch den Tod meines Bruders im Kopf, der, wie uns mitgeteilt wurde, im Jahre 2000 im Krieg gefallen war. Aber ich hatte zunächst keinen Ausweg gesehen, kannte die Gegend nicht und wusste nicht, wie Sawa überwacht wurde. Wie viele andere gab ich meine Hoffnung auf. Ich sah zunächst keine Chance.

Bei der Grundausbildung mussten wir früh aufstehen. Es gab dann zuerst körperliche Übungen, etwa ein oder eineinhalb Stunden lang. Nach dem Frühstück gab es eine Militärschulung. So wurden wir mit Waffen vertraut gemacht. Wir mussten sie auseinandernehmen, wieder zusammensetzen, damit schießen, uns verteidigen. Nach dem Mittag gab es erneut Militärschulung. Das ging sechs Monate lang so.

Nach der Grundausbildung wurde ich im November 2006 in Sawa einer Autowerkstatt als Mechaniker zugeteilt. Der Vorgesetzte für diesen Bereich war Colonel Odi Ande.

Ich war in der 3. Division, 2. Brigade, 3. Bataillon, 1. Haile, 3. Ganter. Meine vollständige Militärnummer lautet 74121/32313. Sie steht im Militärausweis. Die ersten beiden Ziffern stehen für das Geburtsjahr, die dritte für das Geschlecht: 1 ist männlich. Die 21 steht für die 21. Einberufungsrunde. Mein Name und nur der zweite fünfstellige Teil der Nummer standen auf meiner Brust.
Die Bezirke des Militärs sind in fünf Bereiche gegliedert. Eine ist im Bereich Golik und Sawa. Sie untersteht dem Generalmajor Tekle Menyus. Eine zweite ist im Bereich Mehreb und Setit mit dem Generalmajor Gerezgiher Andemariam (Wuchu) als Kommandeur. Eine dritte ist im Bereich Mendefera mit dem Generalmajor Omer Tewil. Eine vierte ist im Bereich des Roten Meeres mit dem Generalmajor Haile Samuel (China) und die fünfte im Bereich Asmara und Umgebung mit dem Kommandeur Generalmajor Filipos.

Die Vorgesetzten teilten uns mit, dass es einmal im Jahr Heimaturlaub gäbe. Zudem sagen sie, dass man nach zwei Jahren aus dem Militärdienst entlassen werden würde. Aber beides wird nicht eingehalten. Es wird zwar rekrutiert, aber nicht entlassen. Es gibt einen großen Unterschied von dem, was das Militär sagt, und dem, was es tatsächlich tut.

Ich will ein Beispiel dafür geben: In einigen Fällen baten Rekruten aus besonderen Gründen darum, beurlaubt zu werden: Angehörige waren gestorben oder krank. Darüber wurde jedoch völlig willkürlich entschieden. Einige erhielten den Heimaturlaub, andere nicht. Manchmal gab es Heimaturlaub für SoldatInnen, die schwer krank waren oder schwanger wurden. In diesen Fällen wurden sie zur Familie geschickt, damit das Militär keine Ausbildung für ihre Behandlung und Verpflegung aufwenden muss und dies stattdessen die Familie übernimmt.

Wer jedoch trotzdem nach Hause fuhr oder auch nur einen Tag länger blieb, wurde schwer bestraft. Ein Freund von mir, Misginna, hatte mitbekommen, dass sein Vater verstorben war und Heimaturlaub beantragt. Das wurde ihm verweigert. Aber er wollte unbedingt bei der Beerdigung dabei sein und es gelang ihm auch. Er konnte einen Autofahrer finden, der ihn mitnahm und so an der Beerdigung teilnehmen. Als er zurück kam, wurde er gefesselt und längere Zeit in die Sonne gelegt. Auch musste er stundenlang bewegungslos stehen und dabei die Hand und den Finger hochhalten. Dann ließen sie ihn eine Mauer von hier nach dort und zurück versetzen. Zudem wurde er so stark auf die Fußsohlen geschlagen, dass er seitdem nicht mehr richtig laufen kann.

Auch SoldatInnen, die einfach nur Fragen stellten, die den Vorgesetzten nicht passten, wurden hart bestraft. Es gab die Acht, andere wurden an die Mauer gestellt, wo sie sich mit ausgebreiteten Armen stundenlang nicht bewegen durften, andere wurden gefesselt über längere Zeit in die Sonne gelegt und andere wurden sehr früh Morgens mehrmals in sehr kaltes Wasser getaucht.

Solche Strafen können dazu führen, dass der Betreffende hinterher behindert ist. Eine solch harte Bestrafung gibt es meines Erachtens nur bei uns in Eritrea.

In der Brigade, in der ich war, gab es zwei Soldaten, Binjam und Barachet, die desertiert waren. Ich weiß nicht, aus welchem Grund. Beide hatten zuvor engen Kontakt mit uns gehabt. Daher wurden wir zitiert, aber wir wussten nichts davon und sagten das auch. Uns wurde jedoch nicht geglaubt. Stattdessen wurde uns mehrmals die gleiche Frage gestellt. Uns wurde gedroht, dass uns etwas Schlimmes passieren würde. Wir sollten besser reden. Als wir immer noch die gleiche Antwort wiederholten, dass wir nichts wüssten, fragten sie uns, ob das unser letztes Wort wäre, was wir bejahten.

Am nächsten Tag wurden wir zu Colonel Debesay Gidey geschickt. Er sagte uns, es sei nicht gut, was wir täten. Wenn wir keine Antwort geben würden, könnte uns was Schlimmes passieren. Er drohte uns mit Gefängnis und sogar dem Tod. Er akzeptierte unsere Antwort nicht und glaubte uns ebenfalls nicht. Dann gab er uns einige Tage Bedenkzeit mit den Worten: "Wenn Ihr danach nicht richtig antwortet, werdet Ihr große Schwierigkeiten haben. Wir werden Euch hart bestrafen. Ihr könntet dabei sogar sterben."

Deswegen war uns klar, dass wir fliehen müssen. Am 15. April 2008 hatten wir die Gelegenheit dazu. Ich floh zusammen mit meinem Freund Yohannes Hagos Okbazgi.

Wir konnten mit einem Wachsoldaten vereinbaren, dass wir zusammen fliehen. Er kannte sich gut in der Gegend aus.

Als wir unsere Arbeit beendet hatten, gingen wir schlafen. Dann haben wir so getan, als ob wir pinkeln gehen müssten. Die Schlafräume stehen in einem Abstand voneinander. Dazwischen stehen Toilettenhäuschen. Man darf aus den Schlafräumen nur vorne rausgehen, um dann zur Seite zum Toilettenhäuschen zu gehen. Am Eingang der Schlafräume selbst gibt es keine Kontrolle. Man darf aber nicht weiter nach vorne in das Gelände gehen. Hinter den Schlafräumen standen verschiedene Wachposten. Einer davon war derjenige, mit dem wir die Vereinbarung getroffen hatten. So konnten wir zur Toilette gehen, an der Toilette vorbei hinter die Schlafräume, wo wir den Betreffenden antrafen. Wir hauten gemeinsam mit ihm ab. Er ließ seine Waffe zurück.

Zusammen mit dem Wachposten gingen wir zuerst nach Kessela. Dort blieb der Soldat, der als Wache gearbeitet hat. Er lebt dort in der Gegend und kennt sich aus. Yohannes’ Vater war im Sudan. Er hat uns geholfen, von Kessela nach Khartoum zu kommen. Mir half schließlich mein Onkel in Saudi-Arabien, der für mich den Flug nach Europa organisierte.

Ich möchte auch noch etwas zur Situation bei der Anhörung beim Bundesamt ergänzen. Am Morgen der Anhörung wurde ich aufgeweckt. Ich sollte in einen Polizeiwagen steigen. Da zitterte ich am ganzen Körper, weil ich Angst hatte, dass ich gleich wieder nach Eritrea abgeschoben werde. Besonders beunruhigt war ich, da wir direkt am Flughafen waren. Der Polizeiwagen brachte mich aber ins Krankenhaus zum Röntgen, was ich gar nicht erwartet hatte.

Als ich vom Krankenhaus zurück kam, wurde mir gesagt, dass die Anhörung nun stattfinden werde. Das hat mich erneut verunsichert. Ich habe auch den Eindruck, dass mich der Übersetzer nicht richtig verstanden hat. Ich wusste nicht, dass ich das Recht hatte, die Anhörung zu verschieben. Zudem ließ mich die Anhörerin nie ausreden und unterbrach mich ständig, bei der Darstellung der fünf Militärbereiche, bei der Aufzählung der Ränge...

Ich hatte zum Beispiel erzählt, dass ich eine fünfstellige Nummer auf der Brust stehen hatte. Die Anhörerin fragte mich dann, es gäbe doch eine zehnstellige Militärnummer. Ich begann nun zu erläutern, dass da ja noch das Geburtsjahr, das Geschlecht usw. angegeben wird. Aber sie unterbrach mich und sagte: "Sie haben doch eh falsch geantwortet."

Wenn ich nach Asmara abgeschoben werde, ist klar, was mich erwartet. Wenn jemand aus dem Militär desertiert ist, erwartet ihn Gefängnis oder sogar der Tod. Wenn Ihr mich abschiebt, habt Ihr mich zum Tode verurteilt.

Interview mit Abdelrahman Ferah am 12. Juni 2008. Übersetzung: Yonas Bahta. Abschrift und Bearbeitung: Rudi Friedrich. Der Beitrag erschien in: Connection e.V. und AG "KDV im Krieg" (Hrsg.): Rundbrief »KDV im Krieg«, Juli 2008.

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