Kriegszerstörungen. Foto: Carabo Spain auf Pixabay

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Syrien: Beschlagnahmung von Vermögen von Militärdienstentziehern

von Syria Justice and Accountability Center

(18.02.2021) Aussagen von Brigadegeneral Elias al-Bitar, Leiter der Abteilung für Ausnahmeregelungen und Reserve, haben vor einigen Tagen für Chaos und Verwirrung unter Syrern gesorgt. Syrischen Männern, die im Ausland leben, älter als 42 Jahre sind, keinen Militärdienst abgeleistet und kein keine Entschädigungssumme gezahlt haben, wurde gedroht, ihr Eigentum und auch das Eigentum ihrer Verwandten zu beschlagnahmen. Nach einer Änderung des Militärdienstgesetzes 2017 sieht das Gesetz vor, dass Männer, die älter als 42 Jahre sind und ihren Militärdienst noch nicht geleistet haben, eine Entschädigungssumme von 8.000 US-Dollar zahlen müssen, zusätzlich zu einer Verspätungsgebühr von jährlich 200 US-Dollar.

Das Gesetz sieht vor, dass solche Fälle "an die Generalkommission für Steuern und Gebühren verwiesen werden. Das bewegliche und unbewegliche Vermögen des Wehrpflichtigen wird beschlagnahmt, womit die Entschädigungssumme zuzüglich der Verspätungsgebühren in Übereinstimmung mit dem Gesetz zur Erhebung öffentlicher Mittel aufgebracht wird."

Im Jahr 2019 hatte das syrische Parlament eine Änderung des Artikels 97 des Militärdienstgesetzes gebilligt, womit die Entschädigungsgebühr ohne vorherige Ankündigung durch Beschlagnahme des Vermögens eingezogen werden konnte. Laut Sana News verbieten die geltenden Gesetze entgegen den Aussagen von al-Bitar eindeutig die Beschlagnahmung von Vermögenswerten der Angehörigen von Militärdienstentziehern.

Sowohl die Änderung als auch die Aussagen des Generals sind äußerst schwerwiegende und direkte Verstöße gegen die Eigentumsrechte. Sie zielen darauf, im Ausland lebende Syrer zu erpressen. Unter diesen Syrern sind Hunderttausende junge Männer, die aus Angst vor den Gefahren und möglichem Tod die Ableistung des Militärdienstes verweigerten. Die meisten von ihnen leben unter schwierigen wirtschaftlichen Bedingungen in Ländern, in denen sie Asyl gefunden haben. Sie verfügen nicht über die Mittel, um die Entschädigungssumme zu zahlen. Obwohl das Gesetz das Vermögen der Angehörigen von Wehrpflichtigen nicht in der Weise erwähnt, wie es al-Bitar getan hat, ist anzunehmen, dass es eine Ausführungsverordnung oder Änderung in diesem Sinne geben wird - in direkter Verletzung des Artikels 51 der syrischen Verfassung, der nur eine persönliche Bestrafung vorsieht.

Dies ist nicht das erste Mal, dass die syrische Regierung die Vermögenswerte und das Eigentum der Syrer ins Visier nimmt. Die Regierung hat verschiedene Mechanismen eingeführt, das Eigentum von Oppositionellen zu beschlagnahmen, wie zum Beispiel das Anti-Terror-Gericht. Auch einige der nach 2011 erlassenen Gesetze, wie das Gesetz Nr. 10, zielen auf das Eigentum von Syrern. Nun versucht die syrische Regierung angesichts eines starken Devisenmangels und einer massiven Abwertung der syrischen Lira, den Syrern im Ausland Devisen abzuringen. Laut al-Bitar kann die syrische Regierung nach dem geänderten Gesetz nun sofort und ohne Vorwarnung eine Beschlagnahme des Eigentums des Wehrpflichtigen oder seiner Verwandten vornehmen. Dass damit nun auch die Befugnis verbunden ist, diese Vermögenswerte in einer öffentlichen Auktion zu verkaufen, legt nahe, dass es für die Regierung wichtig ist, die Zahlungen in Höhe von 8.000 US-Dollar oder den tatsächlichen Wert einer Immobilie zu erhalten.

Es scheint also, dass die syrische Regierung die Syrer einschüchtern will, mit der Drohung, ihr Eigentum und das ihrer Angehörigen zu beschlagnahmen und zu versteigern. Die Hoffnung ist wohl, dass dies die betreffenden Männer, und auch die Familien von Männern unter 42 Jahren, dazu zwingt, 8.000 Dollar aus dem Ausland für die Befreiung vom Militärdienst zu zahlen. Die Regierung will damit die Devisenreserven der Staatskasse auffüllen in einer Zeit, in der das Land unter einer schweren Wirtschaftskrise leidet. Wichtigste Ursache für diese Krise sind natürlich die Politik der syrischen Regierung, Korruption und der Raubbau am Reichtum und an den Ressourcen des Landes zur Finanzierung von Waffen und regierungsfreundlichen Milizen.

Der Unmut über dieses Gesetz und über die jüngsten Äußerungen von al-Bitar ist sogar bei Regierungstreuen zu spüren. Viele ihrer Kinder haben sich der Einberufung entzogen und sind aus dem Land geflohen. So könnte am Ende die Regierung das Vermögen ihrer eigenen Anhänger*innen beschlagnahmen.

Anzumerken ist, dass sich diese Ermächtigung zur Beschlagnahme einreiht in Versuche aller Parteien des syrischen Konflikts, die Kontrolle über das Vermögen zum Zwecke der wirtschaftlichen Bereicherung und Beeinflussung der Demographie zu erhalten. Im vergangenen August zum Beispiel genehmigte die Autonomieverwaltung von Nord- und Ostsyrien die Beschlagnahme von Eigentum abwesender Personen, zumeist arabischer Herkunft. Im Nordwesten konfiszieren bewaffnete Gruppen, die von der Türkei unterstützt werden, kurdischen Besitz und verteilen ihn unter den Vertriebenen aus anderen Regionen oder unter ihren eigenen Mitgliedern. Die Gruppen ernten auch Olivenbäume ab, die sich in Privatbesitz befinden, und verkaufen die Produkte auf ausländischen Märkten.

Das Syria Justice and Accountability Center (SJAC) weist erneut auf die Notwendigkeit hin, ein Programm zur Rückgabe von mobilen und immobilen Vermögenswerten aufzulegen. Die oben beschriebenen Praktiken verstoßen nicht nur gegen syrisches, sondern auch gegen internationales Recht, darunter das Verbot des willkürlichen Entzugs von Eigentum entsprechend der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte. Darüber hinaus verstoßen die neuen Strafen, die die syrische Regierung gegen Kriegsdienstverweigerer verhängt, gegen das in Artikel 18 des Internationalen Paktes über bürgerliche und politische Rechte garantierten Prinzip der Kriegsdienstverweigerung. Das ist umso bedeutsamer, da die Wahrscheinlichkeit besteht, dass die Wehrpflichtigen als Soldaten der syrischen Armee in schwere Menschenrechtsverletzungen verwickelt werden.

Die syrische Regierung muss dieser Politik Einhalt gebieten. Sie verstärkt nur die Angst und die Sorgen der Syrer*innen, ob sie nun im Land leben oder Flüchtlinge sind. Letztere sehen sich nur mit zusätzlichen Hürden konfrontiert, wenn sie nach Syrien zurückkehren wollen, da die Wahrscheinlichkeit besteht, dass sie kein Eigentum mehr haben, zu dem sie zurückkehren können. SJAC betont, dass die internationale Gemeinschaft keineswegs die Vorstellung akzeptieren darf, dass bestimmte Orte im Land sicher genug seien, um eine Rückkehr der derzeit im Ausland lebenden syrischen Flüchtlinge zu rechtfertigen. Diese Umstände müssen in Übereinstimmung mit den internationalen Standards zur Bestimmung des Flüchtlingsstatus’ und der Wiederansiedlung (Resettlement) berücksichtigt werden.

Syria Justice and Accountability Center. Blackmailing Syrians: Confiscating the Properties of Draft Evaders. 18. Februar 2021. Auszüge. Quelle: https://syriaaccountability.org/updates/2021/02/18/blackmailing-syrians-confiscating-the-properties-of-draft-evaders/. Der Beitrag wurde veröffentlicht in: Connection e.V. (Hrsg.): Rundbrief »KDV im Krieg«, Ausgabe April 2021

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