"Im Ausland lebende Rekruten wurden in Abwesenheit verurteilt"

Interview mit Petar Milicevic, EBCO Balkan

Anfang Dezember 2005 führten wir ein Interview mit Petar Milicevic vom Europäischen Büro zur Kriegsdienstverweigerung Balkan. Wir fragten ihn nach der aktuellen Situation der Kriegsdienstverweigerer in Serbien & Montenegro. (d. Red.)

Wie ist die aktuelle Situation für Kriegsdienstverweigerer?

Petar Milicevic: In Serbien & Montenegro wurde 2003 vom Verteidigungsministerium ein Erlass herausgegeben, mit dem ein Zivildienst eingerichtet wurde. Nach den Zahlen des Verteidigungsministeriums gibt es inzwischen mehr als 20.000 Kriegsdienstverweigerer pro Jahr, das sind 40% aller Rekruten, die den Militärdienst ableisten müssen. Der Militärdienst wurde inzwischen auf sechs Monate, der Zivildienst auf 9 Monate verkürzt. So dauert der Zivildienst also eineinhalbmal länger als der Militärdienst.

Im Februar diesen Jahres gab der Verteidigungsminister einen geänderten Erlass heraus, der das Recht auf Kriegsdienstverweigerung beschneidet. Die Antragstellung wird für diejenigen, die bereits im Militär sind, ausgeschlossen. Sie können nur noch bis einen Tag nach Erhalt der Einberufung einen Antrag stellen. Aber die Zahl der Kriegsdienstverweigerer steigt weiter an.

Auch sind die Bedingungen des Zivildienstes völlig unzureichend. Der Dienst ist sehr hart und zudem gibt es Missbrauch. So werden manchmal Zivildienstleistende in Firmen eingesetzt, die sie offiziell zur Unterstützung von Behinderten einsetzen. Tatsächlich haben sie aber in der normalen Produktion zu arbeiten.

Im Moment sind wir dabei, einen Entwurf für ein Zivildienstgesetz zu formulieren. Nächstes Jahr läuft nämlich die Frist des Europarates ab. Serbien & Montenegro hatte sich bei der Aufnahme in den Europarat dazu verpflichtet, bis zum Jahre 2006 ein Kriegsdienstverweigerungsgesetz zu verabschieden. In unserem Entwurf schlagen wir vor, dass der Zivildienst weiter entmilitarisiert und dem Ministerium für Arbeit und Soziales unterstellt wird. Mit viel Lobbyarbeit in diesem Jahr ist es uns schon gelungen, dass das Verteidigungsministerium damit einverstanden ist.

Im Moment versucht die Regierung der Republik, die Verpflichtung des Europarates möglichst bald zu erfüllen. So wird der Zivildienst wohl nur noch ein Jahr unter den bestehenden Bedingungen abzuleisten sein, da es mit einem Gesetz mehr und mehr Rechte für Kriegsdienstverweigerer geben wird, die in Übereinstimmung mit internationalen Standards stehen.

Es gibt ein weiteres Problem. Zivildienstleistende, die ihren Dienst nicht antreten, werden vom Rekrutierungsbüro einfach zur Ableistung des Militärdienstes verpflichtet. Der Zivildienstleistende hat noch nicht einmal das Recht, dagegen zu klagen. Das wollen wir ebenfalls ändern. Nach unserem Gesetzentwurf gäbe es dann andere Formen der Bestrafung, aber niemand könnte zum Militärdienst geschickt, das Recht auf Kriegsdienstverweigerung könnte nicht beschnitten werden.

Ihr habt also selbst einen Gesetzentwurf eingebracht?

Petar Milicevic: EBCO Balkan hat einen Gesetzentwurf entwickelt, das Verteidigungsministerium hat auch selbst einen Gesetzentwurf eingebracht. So gibt es derzeit zwei Möglichkeiten: Wenn die Regierung der Republik mit dem Konzept Zivildienst einverstanden ist, wird unser Vorschlag viel interessanter sein; im anderen Fall werden wir damit beginnen, den Vorschlag des Verteidigungsministeriums gerechter zu machen. Das wird aber hoffentlich nicht notwendig sein.

In unserem Gesetzentwurf schlagen wir auch einen Zivildienst für Reservisten vor, aber im Moment gibt es kaum Fälle, die wegen Kriegsdienstverweigerung die Ableistung einer Wehrübung verweigern. Ich denke, dass dieses Jahr niemand zu Wehrübungen einberufen wurde, zumindest habe ich nichts davon gehört. Unter Milosevic war das viel öfter der Fall, da das Militär damals die Idee hatte, sie bräuchten mehr und mehr Soldaten. So gibt es also keine Einberufungen und damit auch niemanden, der wegen Kriegsdienstverweigerung die Ableistung einer Wehrübung verweigerte. Wenn das geschehen würde, würden wir helfen - im Rahmen der bestehenden Gesetze oder durch eine Kampagne.

Wie sieht es für diejenigen aus, die im Ausland leben?

Petar Milicevic: Das Problem der Rekruten, die im Ausland leben, ist nicht nur eins der Reservisten. Wir schlagen vor, dass sie sich zurückstellen lassen können. Sie sollten vor Erreichen der Altersgrenze aber nicht einberufen werden. Es wäre töricht, wenn sie für die Ableistung des Militärdienstes das Land wechseln müssten.

Wir fordern auch eine Amnestie für alle Rekruten, die wegen Militärdienstentziehung verurteilt wurden und im Ausland leben. Etwa 2.000 wurden in Abwesenheit verurteilt. Wenn einer von ihnen zurückkehren würde, würde er an der Grenze verhaftet werden. Diese Menschen können also nicht nach Hause kommen. Sie können nicht ihre Familien besuchen usw. Bei den anderen, die die Einberufung gerade erhalten haben, wird nichts passieren. Erst nach der dritten Einberufung teilt das Rekrutierungszentrum der Polizei mit, dass eine Militärdienstentziehung vorliegt. Erst dann könnte der Rekrut direkt dem Militär überstellt werden.

In anderen Fällen können sich Rekruten zurückstellen lassen. Das geht bis zum Alter von 27 Jahren. Danach brauchen sie allerdings eine Bestätigung des Verteidigungsministeriums, dass sie sich weiter zurückstellen lassen können. Viele, die älter als 27 sind, sind in einer schlechten Position. Sie haben keine Bestätigung für eine weitere Zurückstellung. Sie können nicht heimkehren wegen der drohenden Ableistung des Militärdienstes. Sie müssen im Ausland bleiben. Dort können sie nicht ihr Leben fortsetzen, nicht studieren, nicht arbeiten, wenn sie nicht den Militärdienst abgeleistet haben.

Was könnt Ihr an Unterstützung anbieten?

Petar Milicevic: Wir können Beratung anbieten. Im Falle von Verhaftungen informieren wir darüber und führen dann Kampagnen für eine Amnestie durch. Wir können aber keinen Rechtsanwalt stellen. Wir empfehlen den Betreffenden, selbst einen Anwalt zu beauftragen.

Anfang nächsten Jahres wird voraussichtlich eine Amnestie für all diese Fälle erlassen werden. Sowohl das Ministerium für Diaspora, als auch das Verteidigungsministerium und der Präsident der Republik sind damit einverstanden. Der öffentliche Wille ist zumindest auf der Seite der Amnestie. Und dann müssen wir sehen, was im neuen Verteidigungsgesetz stehen wird. Das ist sehr wichtig, da das Verteidigungsministerium eine Freikaufsregelung wie in der Türkei vorgeschlagen hat. Wir halten das für schlecht, da es all die diskriminiert, die nicht zahlen können.

Woran arbeitet EBCO Balkan zur Zeit?

Petar Milicevic: Derzeit arbeiten wir an den Kampagnen für den Zivildienstgesetzentwurf und für eine Amnestie der im Ausland lebenden Rekruten.

Darüber hinaus helfen wir all denen, deren Recht auf Kriegsdienstverweigerung verletzt wurde. Wir wollen damit an die Öffentlichkeit gehen, wir organisieren Aktionen oder Kampagnen. Nächstes Jahr wollen wir eine Diskussion zur Beendigung der Wehrpflicht initiieren. Wir wollen das nicht direkt ansprechen, sondern fragen, warum wir überhaupt die Wehrpflicht brauchen. So hoffen wir, sie am Ende abzuschaffen. Das Ende der Wehrpflicht ist schließlich unser wichtigstes Ziel.

Ein anderes Projekt von uns ist die Einrichtung des Zivildienstes in der Universität in Belgrad. Wir entwickeln dafür ein Modell für die Universität und andere Institutionen.

Kontakt

EBCO Balkan

Beogradska kancelarija Evropskog biroa za prigovor savesti

Makedonska 22/II, Belgrad, SCG

Tel. + Fax: 00381-11-3340359

http://www.ebcobalkan.org

Interview mit Petar Milicevic, EBCO Balkan, 9. Dezember 2005. Abschrift, Übersetzung aus dem Englischen und Bearbeitung: Rudi Friedrich. Der Beitrag erschien im Rundbrief »KDV im Krieg«, Januar 2006.

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