USA: Der Weg eines Kriegsdienstverweigerers

von Rowan Moore Gerety

(29.05.2021) Es war ein Buch mit buddhistischen Gleichnissen, das Michael Rasmussen an den Rand der Verzweiflung brachte. Im März 2017 lebte er in der Nähe eines Marinestützpunktes in Japan, sechs Jahre nach seiner Ausbildung zum Piloten bei den Marines. Er las das Buch und experimentierte mit Meditation.

Eines Morgens, als er sich auf einen Versorgungsflug nach Hawaii vorbereitete, kam Herr Rasmussen immer wieder auf die Geschichte zurück, die er am Abend zuvor im Bett gelesen hatte: „Pfad des Mitgefühls“ von Thich Nhat Hanh. In der Geschichte ging Buddha betteln, als er beinahe von einem berüchtigten Kriminellen ausgeraubt wurde. Anstatt ihn auszurauben, gestand der Straßenräuber, dass er ein Leben voller Mord und Gräuel führe, und bat ihn um Rat: „Welche gute Tat könnte ich denn tun?“

„Höre auf, dem Weg des Hasses und der Gewalt zu folgen“, sagte der Buddha. „Das wäre die größte Tat von allen.“

Herr Rasmussen stieg in sein Auto, um zum Hangar zu fahren, überwältigt, wie er es nannte, von „einem wahnsinnigen Gefühl von Angst und Grauen“. Die Geschichte verfolgte ihn: „Bin ich auf dem Weg des Hasses und der Gewalt“, fragte er sich. In diesem Moment beschloss er, die Marines zu verlassen.

Aber es gab einen Haken: Sein Vertrag lief noch sechs Jahre. In den kommenden Wochen würde er seine Kriegsdienstverweigerung erklären, ein Status, der es Soldat*innen möglich macht, das Militär vorzeitig zu verlassen, wenn sie ihre Ansichten über den Krieg geändert haben.

Seit Beginn unserer „ewigen Kriege“ 2001 haben etwa 2,7 Millionen US-Soldaten und Soldatinnen im Irak und Afghanistan gedient.1 Zehntausende haben sich unerlaubt entfernt.2 Unzählige andere haben ihren Dienst desillusioniert und deprimiert beendet oder sich Drogen und Alkohol zugewandt, um sich den Wiedereinstieg in eine Gesellschaft leichter zu machen, die die moralischen Verletzungen des Krieges lieber ignoriert. Deswegen haben sie oft ihre Beihilfen verloren. Nachdem sie die Schrecken des Krieges und die Widersprüche der US-Außenpolitik aus nächster Nähe erlebt haben, sehen sich viele Soldaten und Soldatinnen dazu gezwungen, die Ideale zu überdenken, die sie ursprünglich zum Militärdienst bewogen haben.

Aber nur sehr wenige haben den Weg eingeschlagen, den Herr Rasmussen schließlich ging.

Das Militär hat sich bislang geweigert, offizielle Zahlen zur Kriegsdienstverweigerung zu veröffentlichen. Die letzten verfügbaren Zahlen stammen aus einem Bericht des Government Accountability Office aus dem Jahr 2007,3 in dem festgestellt wurde, dass zwischen 2002 und 2006 pro Jahr durchschnittlich weniger als 100 Anträge gestellt wurden, etwa der Hälfte von ihnen wurde stattgegeben. Danach sind nur noch schwer Daten zu finden. Das Center on Conscience and War4 (Zentrum über Gewissen und Krieg) berät nur einen Teil der Kriegsdienstverweiger*innen. Als sich aber die Kriege in Afghanistan und im Irak hinzogen, habe sich die Zahl der Fälle verdoppelt, so die Geschäftsführerin des Center, Maria Santelli. Sie glaubt, dass die tatsächliche Zahl der jährlichen Anträge in den letzten Jahren eher bei 200 liegt.

Obwohl die Kriegsdienstverweigerung historisch gesehen als Reaktion auf die Wehrpflicht entstanden ist, werfen sowohl die Geschichte von Herrn Rasmussen als auch die geringe Zahl der Anträge eine wichtige Frage zum Konzept unseres angeblich rein freiwilligen Militärs auf: Wie viele US-Soldaten und Soldatinnen würden den Kriegsdienst verweigern, wenn das Verfahren transparenter wäre, wenn sie sich wirklich bewusst wären, dass dies eine Option ist?

Verträge mit dem Militär verlangen von 18-Jährigen, die kaum etwas über Krieg wissen, sich manchmal für länger als einJahrzehnt zu verpflichten. Auf dem Höhepunkt des Irakkrieges bot das Pentagon eine Unterschriftsprämie von bis zu 50.000 US-Dollar an und verhängte zudem eine Stop-Loss-Order, mit der der Dienst und der Einsatz von Zehntausenden der Soldaten und Soldatinnen zu einem Zeitpunkt verlängert wurde, als ihre Verträge auslaufen sollten.

Zugespitzt

Sind dies Kennzeichen einer freiwilligen Verpflichtung? Den Soldaten und Soldatinnen mehr Spielraum zu geben, mit den Füßen abzustimmen, wäre eine Möglichkeit, die politischen Führungskräfte, die uns länger im Krieg halten, als manche Rekrut*innen am Leben sind, zur Rechenschaft zu ziehen.

Die Regeln zur Kriegsdienstverweigerung sind sehr eng gefasst: Soldaten und Soldatinnen können sich nicht darauf berufen, wenn sie mit einem bestimmten Krieg nicht einverstanden sind oder nicht unter einem bestimmten General kämpfen wollen. Die wichtigste Voraussetzung ist die Ablehnung von „Krieg in jeder Form“5, eine Überzeugung, die fest, sicher und ernsthaft ist. Und diese Überzeugung darf erst nach der Einberufung gewonnen worden sein.

Der erste formale Schutz für Kriegsdienstverweigerer entstand mit der Wehrpflicht während des Bürgerkrieges. Während des I. Weltkrieges konnten Mennoniten, Quäker und Mitglieder anderer „Friedenskirchen“ als Sanitäter oder Köche der Armee arbeiten, statt Soldat zu sein. Tausende wurden inhaftiert. Viele wurden gefoltert: in Einzelhaft gefesselt, an den Daumen aufgehängt oder ihrer Kleidung beraubt und mit kaltem Wasser nassgespritzt, wenn sie sich weigerten, die Militäruniform zu tragen.

Erst 1962 führte das Verteidigungsministerium ein Verfahren ein, mit dem Kriegsdienstverweigerer das Militär nach der Einberufung verlassen konnten. Seit 1970, der Zeit des Vietnamkrieges, ist es durch die Gerichtsentscheidung im Fall Welsh v. United States6 auch Kriegsdienstverweigerern ohne religiöse Gründe möglich, anerkannt zu werden.

Die berühmtesten Fälle von Kriegsdienstverweigerung wurden zunächst als unrechtmäßig angesehen. Im Jahr 1967 wurde Muhammad Ali wegen Militärdienstentziehung zu einer Geldstrafe von 10.000 US-Dollar und fünf Jahren Gefängnis verurteilt. Es dauerte vier Jahre, bis das Urteil vom Obersten Gerichtshof aufgehoben wurde.7 Fast ein halbes Jahrhundert später verbrachte Stephen Funk, ein Reservist der Marines und der erste Soldat, der im Irakkrieg öffentlich seine Kriegsdienstverweigerung erklärte, fünf Monate im Militärgefängnis, weil er sich im Vorfeld der Invasion nicht bei seiner Einheit gemeldet hatte.

Heutzutage ist die Beantragung des Status‘ 1-08, wie die Kriegsdienstverweigerung beim Militär bezeichnet wird, der Beginn eines anspruchsvollen Verfahrens. Die Bewerber*innen legen ihre Überzeugungen in Aufsätzen dar. Ein ranghöherer Offizier, der nicht Teil der Befehlskette ist, untersucht den Fall und fordert Gleichrangige auf, sich zum Charakter des bzw. der Antragsteller*in zu äußern. Es wird ein psychiatrisches Gutachten erstellt und ein Gespräch mit dem Militärseelsorger durchgeführt. Angesichts der Schikanen und des Spottes, mit denen Kriegsdienstverweigerer während des Vietnamkrieges zu kämpfen hatten, beschloss Michael Rasmussen, nicht einmal seiner eigenen Familie davon zu erzählen, bis der Antrag abschließend beschieden war.

Ich lernte Herrn Rasmussen 2018 durch meinen Vater kennen, der selbst Kriegsdienstverweigerer ist und seine Eltern kannte. Mein Vater hatte als glühender Katholik während des Vietnamkrieges einen Antrag gestellt, bevor er 18 wurde.

Als seine Nummer bei der Lotterie zur Rekrutierung gezogen wurde [und er damit einberufen werden sollte], verlor er seinen Glauben und führte im College Antikriegsproteste an. Als gewissenhafter Jurastudent im ersten Studienjahr reichte er ein überarbeitetes Schreiben bei der Einberufungsbehörde ein, vor allem um zu diskutieren, ob der Konflikt in Vietnam ein gerechter Krieg war. Der Widerstand gegen ungerechte Kriege wurde jedoch nicht als legitimer Grund für eine Verweigerung angesehen, aber das spielte eigentlich keine Rolle: Der Mann in der Einberufungsbehörde kannte den Vater meines Vaters und schien beeindruckt zu sein, dass eine der Referenzen vom zukünftigen Schwiegervater meines Vaters stammte, einem Bischof der Episkopalkirche.

Ich habe mir nie vorstellen können, wie es meinem Vater wohl gegangen wäre, wenn er nach Vietnam gemusst hätte. Seine Ablehnung des Krieges schien mir unumstößlich. Deshalb war ich fasziniert von der Beschreibung meines Vaters über Michael Rasmussen: Jemand, der zu den Marines gegangen war, um dann über philosophische Lektüre zum Pazifisten zu werden.

Als wir uns zum Frühstück trafen, machte ich mir Sorgen, dass Herr Rasmussen seine Geschichte nicht so öffentlich erzählen wollte. Aber als ich nach Hause kam, hatte er mir seine gesamte 47-seitige Akte zur Kriegsdienstverweigerung gemailt, die er 2017 eingereicht hatte. Nach dem Briefkopf der Marines folgten Rasmussens kurze Aufsätze zu seiner Gewissensentscheidung, klinische Angaben, sowie Referenzen zu seinem Charakter und Interviews mit Offizierskollegen.

„Nach unzähligen schlaflosen Nächten und stundenlangen Überlegungen“, schrieb er, „bin ich nicht mehr in der Lage, meine persönliche Vorstellung davon, was es bedeutet, ein gutes Leben zu führen, mit der Zugehörigkeit zu einer Organisation zu vereinbaren, deren Ziel es ist, menschliches Leben zu beenden. Wer sind wir, dass wir entscheiden, wer leben darf und wer sterben muss?“

***

Michael Rasmussen hatte sich aus einem vagen Pflichtgefühl und dem brennenden Wunsch, Pilot zu werden, aus der Highschool heraus bei den Marines gemeldet. Er unterzeichnete einen Vertrag, der ihm einen Freifahrtschein zum College und eine Verpflichtung für die nächsten 15 Jahre seines Lebens bescherte. Seine erste längere militärische Ausbildung absolvierte er 2011, zwischen seinem ersten und zweiten Studienjahr in Villanova, an der Offiziersanwärterschule des Marine Corps in Quantico, Virginia.

Der 30-jährige Rasmussen hat den schlanken, muskulösen Körperbau eines Jockeys oder eines Langstreckenläufers, der er ist. Er ist direkt und höflich, mit einem entwaffnenden Auftreten, das Ernsthaftigkeit und Witz verbindet. Als wir uns trafen, erinnerte er sich an die Offiziersanwärterschule als eine Übung in Willenskraft und Schlafentzug, die oft in Form von Spielen durchgeführt wurde. Die Rekrut*innen mussten 10 Mal hintereinander ihre Ausrüstung ein- und auspacken. Wenn sie aufgefordert wurden, „den Zaun noch einmal zu berühren“, sprinteten sie im Dunkeln durch schlammige Felder, bis sie zusammenbrachen. Herr Rasmussen genoss die Kameradschaft der gemeinsamen Erschöpfung.

Nach dem College kehrte er nach Quantico zurück, um die Basic School zu besuchen, wo neue Offiziere ausgebildet werden. Er stellte erfreut fest, dass das Marine Corps auch auf seine intellektuelle Tradition stolz ist. Der künftige Verteidigungsminister Jim Mattis, der damals der ranghöchste Marine war, verkörperte bekanntermaßen die Auffassung von Soldaten als „Gelehrte des Krieges“. Als ein Kommandeur vorschlug, dass alle die „Meditationen“ des römischen Kaisers Marc Aurel lesen sollten, begann Herr Rasmussen sofort damit.

In den Meditationen, die als Tagebuch geschrieben wurden, während Marc Aurel auf Kriegszügen unterwegs war, geht es vor allem um die Kraft der Selbstreflexion, „denn die Seele wird durch die Gedanken gefärbt“, wie er schrieb.9 Herr Rasmussen hatte schon einmal versucht, ein Tagebuch zu führen, aber er war erstaunt, dass der Mann an der Spitze eines Imperiums mit „ganz ähnlichen Zweifeln zu kämpfen hatte, die wir auch haben“: die Meinungen anderer, die Richtigkeit unserer täglichen Gewohnheiten. Und diese Einsicht inspirierte ihn, es erneut zu versuchen.

In seinem Antrag zur Kriegsdienstverweigerung schrieb Herr Rasmussen, dass die Basic School darauf hinauslief, dass er sechs Monate lang „mit Übungen überschwemmt wurde, wie man tötet“, von Nahkampfübungen bis hin zu Vorträgen über den Einsatz von Gewalt gegen einen ganzen Zug. Aber es war auch die Zeit, in der er begann, über die Verpflichtungen nachzudenken, die seinem Militärdienst zugrunde lagen.

„Je mehr ich über den Akt des Tötens nachdachte, desto mehr konnte ich ihn verdrängen“, sagte Rasmussen – mit der Idee, dass er als Pilot der Sache zwar sehr nah wäre, aber weit weg vom Geschehen sein würde.

Als er jedoch „On killing“ las, eine populäre Studie über die Psychologie der Gewalt von Dave Grossman, einem pensionierten Oberstleutnant der Armee, die auf der Liste der Pflichtlektüre des Marine Corps steht, konzentrierte sich Rasmussen auf das Argument von Oberst Grossman, dass ein Großteil der militärischen Ausbildung im Wesentlichen ein Mittel ist, um die angeborene menschliche Abneigung gegen das Töten abzutrainieren. Zum ersten Mal fragte er sich nicht nur, ob er töten könnte, sondern auch, unter welchen Umständen er es tun sollte.

In seiner Freizeit während der Ausbildung las Rasmussen Kant, Nietzsche, Thoreau und Emerson und verzichtete auf Alkohol und Fleisch. Selbst als er noch weit vom Kampfgeschehen entfernt war, rückte der Militärdienst seine Ideale in den Vordergrund.

Nach der Verlegung seines Geschwaders nach Japan, kehrte Rasmussen zum ersten Mal seit fünf Jahren zum grundlegenden Text des Marine Corps zurück: Warfighting (Kriegsführung).10 Er fand es unmöglich, das Buch so zu lesen, wie es eigentlich gedacht war. Warfighting stellte den Krieg nicht als Liebe, Hass, Rache und Macht dar, sondern als Reibung, Fluidität, Unsicherheit und Unordnung. Ein Feind ist „eine Ansammlung von Zielen, die systematisch bekämpft und zerstört werden müssen“.

Im Tagebuch, das er damals führte, beschrieb Herr Rasmussen sein Dilemma als eine „Quarter Life Crisis“ (Krise nach einem Viertel des Lebens). Es schien, als führe er parallele Leben, die beide von einer Ethik der Disziplin und der eigenen Vervollkommnung geprägt waren, aber völlig im Widerspruch zueinander standen. Schon immer ein Einzelgänger, zog er sich von Tag zu Tag mehr von seinen Kameraden zurück. Die Philosophie schien ihm überallhin zu folgen.

Er sah sich den Krimi „Sicario“ über ein Kartell an. Das führte bei ihm zu düsteren Meditationen über gerechten Krieg: „Würde ich freiwillig in Vietnam sterben? Nein. Irak? Verdammt, nein. Korea? Möglicherweise, aber nur wegen der 20-20 Rückschau“ über die Entwicklung in Nordkorea. Herr Rasmussen entschied schließlich: „Ich will nicht länger beim Militär sein“, wie er schrieb. „Wenn sie mir morgen einen Ausstieg anbieten würden, würde ich ihn annehmen.“

An diesem Tag im März fuhr Herr Rasmussen zum Hangar und wurde von einer Art existenziellem Ekel überfallen. Seit Monaten hatte er nach Möglichkeiten gesucht, seinen Vertrag zu beenden, „ohne ins Gefängnis zu kommen“, aber es schien keine guten Optionen zu geben. Herr Rasmussen war ein Atheist, aufgewachsen in einem atheistischen Haushalt. Er hatte keine Ahnung, dass es nur einen engen Spielraum für säkulare Einwände aus Gewissensgründen gab. Dann, als er auf die Abfluggenehmigung von Hawaii zurück nach Japan wartete, stieß er auf die Website des Center on Conscience and War.

Obwohl er von seiner Entscheidung überzeugt war, schien ihn das Einreichen des Antrags zu verwirren. „Ich hatte mir gerade eingestehen müssen, dass alles, was ich wusste, falsch war“, sagte er mir. Im August, als sein Antrag durch die Befehlskette weitergereicht wurde, träumte Rasmussen, dass er beim Rollen einer C-130 eine Gruppe von Menschen, darunter auch japanische Zivilisten, überfahren habe und dann schluchzend aus dem Flugzeug stieg.

Im Oktober kam schließlich die Nachricht: Sein Antrag wurde anerkannt.

Die Auslöser, die Soldaten und Soldatinnen zur Kriegsdienstverweigerung veranlassen, sind vielfältig. Manche werden aus gesundheitlichen Gründen Veganer*innen und stellen dann fest, dass dies ihre gesamte Weltanschauung beeinflusst. Eltern, die ein Kind bekommen, gewinnen einen anderen Blick auf die Unantastbarkeit des Lebens. Bestimmte Gräueltaten lösen manchmal einen Ansturm von neuen Anträgen aus, wie 2015, als ein US-Luftangriff ein Krankenhaus der Ärzte ohne Grenzen in Afghanistan traf.11 Zwei Soldaten, die unter Robert Bales12 kämpften, der jetzt eine lebenslange Haftstrafe für das Massaker an 16 afghanischen Zivilisten im Jahr 2012 verbüßt, wurden daraufhin Kriegsdienstverweigerer.

Kürzlich rief ein Offizier der Marine Frau Santelli vom Center on Conscience and War an, nachdem er gesehen hatte, wie hart die Bundesregierung auf Proteste gegen Polizeibrutalität im Sommer 2020 reagierte. Er sagte: „Ich bin nicht der Typ, der George Floyd das Knie in den Nacken drückt, aber ich bin der Typ, der der Szene den Rücken zukehrt und die Hände in den Taschen lässt.“

Herr Rasmussen ist der Meinung, dass die Möglichkeiten zur Kriegsdienstverweigerung erweitert und die Beweislast gelockert werden müsse, damit unser freiwilliger Dienst auch moderatere Veränderungen der Perspektive oder Umstände berücksichtigen kann. Bevor er seinen Antrag einreichte, befürchtete er, dass er von seinen Mitsoldat*innen belächelt werden könnte. Stattdessen, so sagte er, seien viele leise auf ihn zugekommen, um über ihre eigenen Bedenken hinsichtlich der Art und Weise zu sprechen, wie die Vereinigten Staaten militärische Macht ausüben.

„Wenn wir morgen die Militärverträge aufheben würden“, sagte er mir, „kann ich mir nur vage vorstellen, wie viele dann freiwillig aussteigen.“

Die Bereitschaft eines Soldaten oder einer Soldatin, sein bzw. ihr Leben für das Land zu opfern, ist ein tiefgreifender Akt des Vertrauens. Wir sollten diese Verpflichtung honorieren, indem wir darauf vertrauen, dass die Soldaten und Soldatinnen uns sagen, wenn sie ihre Meinung geändert haben – und wir ihnen die Möglichkeit geben, darauf zu reagieren.

Fußnoten

1 Watson Institute: U.S. Veterans & Military Families. Update August 2021. https://watson.brown.edu/costsofwar/costs/human/veterans

2 Wil S. Hylton: American Deserter. In: The New York Times, 25. Februar 2015. Deutsche Fassung: https://de.connection-ev.org/article-2145

3 United States Government Accountability Office: Military Personnel, September 2007. www.globalsecurity.org/military/library/report/gao/d071196.pdf

4 https://centeronconscience.org/

5 Department of the Navy: Marine Corps Order 1306.16F. 11. Juni 2013. www.marines.mil/portals/1/Publications/MCO%201306.16F.pdf

6 Oyez: Welsh v. United States. Januar 1970. www.oyez.org/cases/1969/76

7 David E. Rosenbaum: Ali Wins to Draft Case Appeal. In The New York Times, 29. Juni 1971. www.nytimes.com/1971/06/29/archives/ali-wins-in-draft-case-appeal-calling-up-of-boxer-ruled-improper.html

8 Army Public Affairs: Conscientious Objectors, 2. August 2007. www.army.mil/article/4267/conscientious_objectors

9 Marc Aurel: Meditationen. www.zeno.org/Philosophie/M/Mark+Aurel/Meditationen

10 Marines: MCDP 1 – SSIC 03000 Operations & Readiness. 14. Juli 2016. www.marines.mil/News/Publications/MCPEL/Electronic-Library-Display/Article/899837/mcdp-1/

11 The New York Times: How a Cascade of Errors Led to the U.S. Airstrike on an Afghan Hospital. 25.11.2015. www.nytimes.com/interactive/2015/11/25/world/asia/errors-us-airstrike-afghan-kunduz-msf-hospital.html

12 Jack Healy: Soldier Sentenced to Life Without Parole for Killing 16 Afghans. In The New York Times, 23. August 2013. www.nytimes.com/2013/08/24/us/soldier-gets-life-without-parole-in-deaths-of-afghan-civilians.html

Rowan Moore Gerety: The Way of the Conscientious Objector. 29. Mai 2021. Übersetzung: rf. Moore Gerety ist freier Redakteur für Zeitungen und Radio. https://www.nytimes.com/2021/05/29/opinion/conscientious-objector-military.html

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