Eran Aviv

Eran Aviv

Meine Gedanken nach 64 Tagen im israelischen Militärgefängnis

von Eran Aviv

(13.09.2021) Hallo, mein Name ist Eran. Ich bin 19 Jahre alt und komme aus Tel Aviv. Vielleicht erinnern Sie sich an mein letztes Update, das ich im Juli geschrieben habe. Damals hatte ich bereits eine Haftstrafe verbüßt und war zu einer weiteren verurteilt worden. Jetzt habe ich meine vierte Haft abgesessen und insgesamt 64 Tage im Gefängnis verbracht. Im Folgenden möchte ich meine Gedanken und Erfahrungen aus dem Militärgefängnis mit Ihnen teilen.

Bei meiner ersten Inhaftierung wurde ich zur Wache eines Zellenblocks zugeteilt, in dem sich bereits zwei andere Gefangene befanden. Einer von ihnen war schon eine Weile dort, der andere war neu im Gefängnis. Der Gefangene, der schon länger da war, sagte zu dem Neuen: „Hey, weißt du, wer dieser Typ ist? Dieser Typ mag Araber*in­nen!“ Der neue Gefangene fragte, ob ich wirklich Araber*innen mag. Ich sagte ihm, dass ich eine linke politische Einstellung habe und dass ich möchte, dass Juden und Jüdinnen sowie Palästinenser*innen die gleichen Rechte haben. Ich erzählte ihm auch, dass ich mich weigere, im israelischen Militär zu dienen, weil ich die israelische Besetzung der palästinensischen Gebiete nicht mittragen will. Der altgediente Gefangene wurde wütend und beschimpfte mich. Er drohte mir, mich zu verletzen, wobei er ausdrücklich darauf hinwies, dass sich dadurch seine eigene Haftzeit verlängern würde.

Als ich zu meiner dritten Strafe im Gefängnis ankam, erkannten mich die altgedienten Gefangenen bereits. Sie kannten mich als den „Linken“, den „Araber*nnen-Liebhaber“, den seltsamen Typen, aus dem sie nicht recht schlau wurden. Jedes Mal, wenn ein neuer Gefangener hereinkam, beeilten sie sich, mich vorzustellen, um zu sehen, wie er auf mich reagieren würde. Im Gefängnis haben die Gefangenen von Beginn an meine politische Haltung in Frage gestellt und Aussagen wie diese gemacht: „Wenn die Araber*nnen aufhören, Waffen zu benutzen, wird es Frieden geben. Aber wenn wir unsere Waffen niederlegen, werden sie uns töten.“ „Wenn wir ihnen einen Zoll breit geben, werden sie uns eine Meile nehmen.“ „Wenn sie deine Mutter töten, wirst du sie dann immer noch unterstützen?“

Nach 54 Jahren illegaler Besatzung zwingt Israel sowohl den Palästinenser*innen als auch den Israelis eine harte Realität auf. Im Militärdienst lernen israelische Soldat*innen, dass der Stärkere überlebt und dass es keinen anderen Weg als den der Gewalt gibt, um das jüdische Volk zu schützen. Dies hat harte Auswirkungen auf die Soldat*innen selbst, da sie keine andere Wahl haben, als in den palästinensischen Gebieten Gewalt auszuüben, und auch Gewalt durch Palästinenser*innen erfahren, die sich gegen die Militärherrschaft wehren. Diese Realität, in der junge Menschen eingezogen werden, um Teil eines gewalttätigen Systems zu werden, fordert ihren Tribut von den Soldat*innen und von der israelischen Gesellschaft insgesamt.

Das Bildungssystem, die Medien und vor allem die Regierung vermitteln ihnen, dass sie gewalttätig handeln und Gewalt ertragen müssen, wenn sie nicht ihr Land verraten und ihre Angehörigen verletzen wollen. Diese Botschaft bringt junge Soldat*innen in eine unmögliche Lage. Um mit diesem Widerspruch fertig zu werden, machen sie sich das Narrativ zu eigen, dass es niemals Frieden geben wird und dass all diese Gewalt zum Schutz der israelischen Bürger gerechtfertigt ist.

Dies ist ein Beispiel dafür, wie der gewalttätige Kreislauf der Besatzung sichtbar wird. Wir müssen dafür sorgen, dass jeder Israeli die Realität sieht und erkennt, was es bedeutet, als Palästinenser*in im Westjordanland unter militärischer Besatzung zu leben. Wir müssen dafür sorgen, dass Israel der Besetzung des Landes der Palästinenser*innen und der Verletzung ihrer grundlegenden Menschenrechte endlich ein Ende setzt. Ich werde meine Geschichte und meine politischen Überlegungen weiterhin mit so vielen jungen Israelis wie möglich teilen, um sicherzustellen, dass sie wissen, dass sie eine Wahl haben.

In Solidarität, Eran

Eran Aviv: Meine Gedanken nach 64 Tagen im israelischen Militärgefängnis. 13. September 2021. Übersetzung: rb. https://www.refuser.org/refuser-updates. Der Beitrag wurde veröffentlicht in: Connection e.V. (Hrsg.): Rundbrief »KDV im Krieg«, Ausgabe November 2021

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