Ukraine: Aktuelle Fälle zu Wehrpflicht und Kriegsdienstverweigerung
Kriegsdienstverweigerer Vladyslav Korol zwangsweise zum Militär einberufen
Während der Einberufung im Herbst kam es zu der seltenen Situation, dass die Medien in einer Reportage über die Musterung von Wehrpflichtigen am 5. Oktober 2021 einen Fall von offensichtlicher Verletzung des Rechts auf Kriegsdienstverweigerung inklusive Nennung eines Namens und mit einem Videointerview berichteten. Hier ist eine Abschrift des Videos1:
"Ich wollte überhaupt nicht dienen, ich wurde gezwungen, hierher zu kommen. Ich bin Christ, mein Glaube verbietet es mir, eine Waffe zu tragen. Ich habe die Vorladung im Frühjahr erhalten, ich hatte die Möglichkeit, mich zurückstellen zu lassen. Ich sammelte Unterlagen für den Ersatzdienst, aber der Pastor meiner Kirche fügte den Unterlagen keine Einzelheiten hinzu, so dass meine Einberufung auf den Herbst verschoben wurde. Ich zahlte eine Geldstrafe, weil ich die Unterlagen nicht beigefügt hatte. Dann wurde mir gesagt, dass ich automatisch in die Armee eintreten würde, weil ich einberufen wurde.“
Leider hat der Journalist die Geschichte nicht weiter ausgeführt, und es gab keine öffentliche Diskussion über diesen Fall. Die Menschen haben sich an den Zwang gegen das Gewissen gewöhnt.
Willkürliche Verhaftungen
Ein neuer Fall von willkürlicher Verhaftung ist sehr skandalös. Die Spieler der ukrainischen Handball-Nationalmannschaft Ruslan Diyakon und Dmitry Kovalenko wurden von Vertretern der Polizei und des Territorialen Zentrums für Rekrutierung und soziale Unterstützung (neuer offizieller Name für das Militärkommissariat) des Bezirks Darnytsya festgenommen. Oleksandr Dudko, Direktor des Handballvereins CSKA-SHVSM (Kiew), berichtete, dass der Verein, wie es das Gesetz vorsieht, für die beiden jungen Sportler eine Zurückstellung beantragt hatte. Aber am 3. Dezember um 6 Uhr morgens drangen Offiziere in das Wohnheim ein, in dem die Sportler der Jugendhandballmannschaft der Ukraine und die Sportler des Kiewer Handballvereins "CSKA-SHVSM" wohnen; Offiziere des Militärs und der Polizei verhielten sich rüpelhaft, schleppten Ruslan Diyakon und Dmitry Kovalenko in ihre Autos und hinderten andere daran, mit ihnen zu sprechen. Sie brachten sie gegen ihren Willen zum Kiewer Sammelpunkt des Verteidigungsministeriums der Ukraine. Dudko beschuldigte Sergej Grinevetsky, den Leiter der regionalen Staatsverwaltung von Odessa und des regionalen Handballverbands, dass Grinevetsky sich auf diese Weise (Belästigung der Jungen durch Druckmittel des Militärs) dafür rächte, dass die jungen Sportler ihre Mannschaft gewechselt hatten (zuvor spielten sie für den Verein "Odessa"). Außerdem wurden schriftliche Erklärungen ihrer Mütter von den Medien veröffentlicht, in denen sie beschrieben, wie Grinevetsky die Jungen per Telefon anrief und ihnen drohte, sie würden eingezogen und "in den Schützengräben verrotten"2.
Das alles geschieht entgegen den Empfehlungen des Menschenrechtsrates. Das betrifft sowohl diesen Fall wie auch den vom 4. Oktober 2021, als Militär und Polizei Wohnheime und Schlafsäle im Kiewer Bezirk Solomyanskyi durchsuchten. In den Abschließenden Beobachtungen zur Ukraine schreibt der Menschenrechtsrat: "Der Vertragsstaat sollte sicherstellen, dass Entführungen und willkürliche Inhaftierungen von Wehrpflichtigen unverzüglich, gründlich und unabhängig untersucht werden, dass die Täter strafrechtlich verfolgt und bestraft werden und dass den Opfern wirksame Rechtsbehelfe, einschließlich einer angemessenen Entschädigung, gewährt werden."3
Sprung aus dem Fenster
Es gab einen erneuten Fall, bei dem ein verzweifelter Wehrpflichtiger versuchte, dem Militärdienst durch den Sprung aus dem Fenster eines Einberufungsbüros zu entkommen. Dieser Fall ereignete sich am 27. Oktober, wie der Pressedienst des Transkarpatischen Regionalen Territorialen Zentrums für Rekrutierung und soziale Unterstützung berichtete. Der Wehrpflichtige hatte sich wiederholt dem Erscheinen bei der Einberufungsstelle entzogen und stand auf der Fahndungsliste. Nachdem er von der Polizei unter dem Vorwurf festgenommen wurde, die Gesetzgebung über die Wehrpflicht verletzt zu haben, was eine Ordnungswidrigkeit darstellt, wurde er zum Einberufungsbüro gebracht. Da versuchte er zu fliehen und sprang aus dem Fenster.4
Verurteilungen wegen Kriegsdienstverweigerung
In den Medien wurde berichtet, dass Personen wegen Kriegsdienstverweigerung zu Haftstrafen verurteilt wurden.
Am 6. September 2021 wurde ein Wehrpflichtiger, der tauglich gemustert worden war, aber nicht am Militärsammelplatz erschien, vom Bezirksgericht Rachiw in der Region Sakarpattia wegen Kriegsdienstverweigerung (Artikel 335 des Strafgesetzbuches der Ukraine) zu einer einjährigen Haftstrafe verurteilt. In seinem Fall wurde die Strafe nicht, wie sonst üblich, in eine Bewährungsstrafe umgewandelt.5
Der Pressedienst des Berufungsgerichts Winnyzja berichtete, dass sich ein 25-jähriger Bewohner eines Dorfes der Region weigerte, die schriftliche Einberufung entgegenzunehmen und dann nicht im Militärkommissariat erschien. Vor Gericht zeigte er sich reumütig und erhielt eine Gefängnisstrafe zur Bewährung. Das Gericht schrieb: „Der Angeklagte bezeichnete seine Tat als falsch. Er begründete sie mit seinem damaligen Wunsch, eine polnische Schule zu besuchen. Jetzt, so sagt er, ist er bereit, zum Militärdienst zu gehen“.6
Ein Wehrpflichtiger aus Rachiw, der in die Tschechische Republik gegangen war, um Geld zu verdienen, statt zur Armee, wurde zu drei Jahren Haft verurteilt, aber auf Bewährung freigelassen.7
Bestechung zur Befreiung von der Wehrpflicht
Am 30. November 2021 wurde eine Gruppe von 10 Offizieren und Sanitätern in der Region Riwne verhaftet. Ihnen wurde vorgeworfen, Bestechungsgelder in Höhe von 1.000 bis 2.000 US-Dollar für ihre Hilfe bei der Befreiung von der Wehrpflicht entgegengenommen zu haben. Es wurde berichtet, dass es mehr als hundert Fälle gab, bei denen sie von Wehrpflichtigen Bestechungsgelder erbeten hatten.8
Fußnoten
1 https://suspilne.media/169261-pobilsalo-porusen-zi-zdorovam-na-cerkasini-prizovniki-prohodat-medoglad/. 5. Oktober 2021
3 CCPR/C/UKR/CO/8, 11. November 2021, https://tbinternet.ohchr.org/Treaties/CCPR/Shared%20Documents/UKR/CCPR_C_UKR_CO_8_47160_E.pdf
6 https://vna.court.gov.ua/sud4801/pres-centr/news/1174119/, 6. September 2021
7 http://www.mukachevo.net/ua/news/view/3017546, 1. November 2021
8 https://rivne1.tv/news/130614-ponad-100-prizovnikiv-z-rivnenshchini-namahalisya-vidkupitisya-vid-armii-video. 30. November 2021
Ukrainische Pazifistische Bewegung: Conscript Vladyslav Korol said he did not want to serve. 9. Januar 2022. Der Beitrag wurde veröffentlicht in: Connection e.V. (Hrsg.): Rundbrief »KDV im Krieg«, Ausgabe Februar 2022
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