Erklärung von russischen Friedensaktivist*innen

„Es darf keinen Krieg geben!“

(30.01.2022) Der Strom alarmierender Nachrichten über eine mögliche russische Invasion in der Ukraine wird immer größer. Es gibt Berichte über umfassende Rekrutierungen von Söldnern in Russland und den Transfer von Treibstoff und militärischer Ausrüstung in das Gebiet der ukrainischen Regionen Donezk und Luhansk. Als Reaktion darauf verstärkt die Ukraine ihre Bewaffnung und die NATO entsendet zusätzliche Truppen nach Osteuropa. Die Spannungen nehmen nicht ab, sondern im Gegenteil: Sie eskalieren.

Die russischen Bürger werden durch das kriminelle Abenteurertum, zu dem sich die russische Außenpolitik entwickelt, faktisch als Geiseln gehalten. Sie leben nicht nur in der Ungewissheit, ob ein großer Krieg ausbricht, sondern erleben auch einen starken Anstieg der Preise und einen Verfall der Landeswährung. Brauchen die Russ*innen eine solche Politik? Wollen sie den Krieg, und sind sie bereit, seine Lasten zu tragen? Haben sie der Regierung das Recht gegeben, auf diese Weise mit ihrem Schicksal zu spielen?

Niemand fragt die Bürger Russlands. Es findet keine öffentliche Diskussion statt. Das staatliche Fernsehen präsentiert nur eine Sichtweise, und zwar die der Kriegsbefürworter. Von ihnen sind direkte militärische Drohungen zu hören, Aggressionen und Hass gegen die Ukraine, Amerika und westliche Länder. Am gefährlichsten ist jedoch, dass der Krieg als eine zulässige und unvermeidliche Entwicklung dargestellt wird. Die Menschen werden getäuscht und korrumpiert. Ihnen wird die Vorstellung eines heiligen Krieges mit dem Westen aufgezwungen, anstatt das Land zu entwickeln und den Lebensstandard der Bürger zu verbessern. Die Frage des Preises steht außer Frage, aber es sind die einfachen Menschen, die den Preis zahlen müssen – ein hoher und blutiger Preis.

Wir, verantwortungsbewusste Bürger Russlands und Patrioten unseres Landes, appellieren an die politische Führung Russlands und wenden uns offen und öffentlich an die Kriegsbefürworter*innen innerhalb der Regierung.

Wir bringen den Standpunkt jenes Teils der russischen Gesellschaft zum Ausdruck, der den Krieg hasst und schon den Einsatz militärischer Drohungen und krimineller Methoden in der außenpolitischen Rhetorik als Verbrechen betrachtet.

Wir hassen den Krieg, während Sie ihn für akzeptabel halten. Wir setzen uns für den Frieden und das Wohlergehen aller Bürger Russlands ein, während Sie deren Leben und Schicksal mit Ihren politischen Zielen aufs Spiel setzen. Sie täuschen die Menschen und nutzen sie aus, während wir ihnen die Wahrheit sagen. Wir sind diejenigen, die für Russland sprechen, nicht Sie, denn die Völker Russlands, die in den Kriegen der Vergangenheit Millionen von Menschen verloren haben, leben seit Jahrzehnten entsprechend dem Slogan: „Es darf keinen Krieg geben“. Haben Sie das vergessen?

Unsere Position ist ganz einfach: Russland braucht keinen Krieg mit der Ukraine und dem Westen. Niemand bedroht uns, niemand greift uns an. Eine Politik, die auf die Agitation für die Idee eines solchen Krieges beruht, ist unmoralisch, unverantwortlich und kriminell und darf nicht im Namen der Völker Russlands geführt werden. Ein solcher Krieg kann weder legitime noch moralische Ziele haben. Die Diplomatie des Landes darf keine andere Position einnehmen als die kategorische Ablehnung dieses Krieges.

Der Krieg ist nicht nur mit den Interessen Russlands unvereinbar, sondern stellt eine Bedrohung für Russlands Existenz dar. Die irrsinnigen Aktionen der politischen Führung des Landes, die uns in diese Richtung drängen, werden unweigerlich zur Bildung einer massenhaften Antikriegsbewegung in Russland führen. Jeder und jede von uns wird auf selbstverständliche Art und Weise ein Teil davon sein.

Wir werden alles in unserer Macht Stehende tun, um den Krieg zu verhindern und wenn nötig zu beenden.

Der Kongress der Intellektuellen sammelt weiter Unterschriften. Die vollständige Liste der Unterzeichner*innen kann hier eingesehen werden.

www.echo.msk.ru, 30. Januar 2022. Der Beitrag wurde veröffentlicht in: Connection e.V. (Hrsg.): Rundbrief »KDV im Krieg«, Ausgabe Februar 2022

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