Türkei: Zeitung wegen antimilitaristischem Artikel beschlagnahmt
Das Erste Strafgericht in Gaziantep hat die Beschlagnahmung der 32. Ausgabe der lokalen Zeitung Coban Atesi (Hirtenfeuer) angeordnet, nachdem der Journalist Berkant Coskun einen Artikel unter dem Titel "Mutter, schick mich nicht zur Armee" geschrieben hatte. Die Zeitung wird wegen "Distanzierung des Volkes vom Militär" angeklagt.
Sofort reagiert
Der Richter Saban Kaplan beschloss die Beschlagnahmung der Ausgabe, "weil der Artikel Passagen beinhaltet, die die Straftat der Distanzierung des Volkes vom Militär erfüllen". Er wies auch auf Artikel 25 Absatz 2 des Pressegesetzes Nr. 5187 hin, der sich mit "Beschlagnahmung und Verbot der Verteilung und des Verkaufs" befasst. Da mit dem Artikel auch Ermittlungen verbunden sind, wurde der Chefredakteur Yasin Yetisgen zu einem Verhör ins Polizeipräsidium geladen.
Mit der Entscheidung reagierte das Gericht unmittelbar auf die am selben Tag erhobene Forderung der Staatsanwaltschaft. Die Polizei ging in das Büro der Zeitung und beschlagnahmte 130 Exemplare der Ausgabe.
"Mutter, ich habe Angst"
Der fragliche Artikel bezieht sich auf die Genfer und Haager Konvention und drückt aus, dass Einsätze der türkischen Streitkräfte im Gebiet Orema (Daglica) in Hakkari ein "Massaker" gewesen seien. Im Artikel werden auch die sozialen Folgen dieser Einsätze auf Kinder und Kurden beschrieben.
Eine weitere Passage des Textes lautet: "Mutter, ich habe Angst. Hol’ mich rein, ich habe Angst... Die Armee will mich holen, weil sie sagen, dass es einen Krieg gibt. Mutter, sie sagen mir: ‚Leg Dich nieder’, ‚Steh auf’. Mutter, sie geben mir ein Gewehr und sagen mir: ‚Töte’. Mutter, mach Deinen Fernseher aus, sie täuschen auch Dich damit... Dieses Lied geht mir im Kopf herum, wenn ich die heldenhaften(!) Einsätze der Soldaten im Fernsehen sehe..."
Kriegsdienstverweigerung in der Türkei wird verfolgt
Der Artikel 318 des Türkischen Strafgesetzbuches, "Distanzierung des Volkes vom Militär", wurde gegen Pazifisten, Journalisten und Menschenrechtsaktivisten angewandt. Ein Verfahren gegen die Journalistin Perihan Magden vom Magazin Aktüel endete zwar mit einem Freispruch, aber der Kriegsdienstverweigerer Halil Savda, der Autor Serpil Köksal, die Pazifisten Murat Dünsen und Ibrahim Kizartici, der Reporter der Birgün, Gökhan Gencay sowie Birgül Özbaris von Ülkede Özgür Gündem stehen nach wie vor unter Anklage.
Erster Fall 1989
Der erste Fall wegen Kriegsdienstverweigerung stammt aus dem Jahre 1989, als Tugrul Eryilmaz, Chefredakteur des Magazins Sokak (Straße) und die selbst-erklärten Kriegsdienstverweigerer Tayfun Gönül und Vedat Zencir Bewährungsstrafen wegen "Distanzierung des Volkes vom Militär" erhielten. Gegen die Zeitung Günes, die die Erklärungen der Kriegsdienstverweigerer veröffentlicht hatte, wurde später auch eine Untersuchung angestrengt.
Der Artikel lautet: "(1) Aktivitäten, Aufforderungen und Empfehlungen, die das Volk vom Militärdienst distanzieren oder entsprechende Propaganda werden mit sechs Monaten bis zu zwei Jahren Haftstrafe bestraft. (2) Falls diese Straftat durch Medien oder Presse begangen wurde, wird die Strafzumessung um die Hälfte erhöht."
Erol Önderoglu, Bianet: Newspaper Confiscated for "Anti-Military" Article. 14. November 2007. Übersetzung: Rudi Friedrich Dieser Beitrag erschien in: Connection e.V. und AG "KDV im Krieg": Rundbrief »KDV im Krieg«, März 2008.
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