"Meine Familie unterstützt mich"

Interview mit Maksim Gaidukov, Kriegsdienstverweigerer aus Russland

Der 20-jährige Maksim Gaidukov aus Russland reiste wenige Tage nach Kriegsbeginn nach Deutschland. Er arbeitet als Model und erhielt inzwischen eine befristete Aufenthaltserlaubnis.

Wann bist Du nach Deutschland gekommen?

Ich kam am 9. März 2022. Es war eine schnelle Entscheidung. Ich hatte gerade noch genug Zeit, meine Familie zu besuchen.

Warum hast Du Russland verlassen?

Die Entscheidung fiel, nachdem der Krieg mit der Ukraine begonnen hatte. Ich sah, was dort passierte und fühlte mich verraten. Da werden junge russische Männer in die Ukraine geschickt, um Menschen zu ermorden und dafür zu sterben. Sie sind verraten und werden missbraucht. Ich will nicht einer von ihnen sein. Ich darf nicht zulassen, dass Menschen durch meine Hand sterben. Deshalb musste ich gehen. Einen anderen Ausweg sehe ich nicht.

Hast Du schon zuvor Erfahrung mit dem Militär gehabt?

Als ich 16 Jahre alt war, wurden alle in unserer Schule vom Militär gemustert. Zu dieser Zeit hatten sie gerade illegal die Krim der Ukraine entrissen und übernommen. Und ich war darauf vorbereitet, dass Ähnliches wieder passieren könnte. Natürlich wusste ich nicht genau was. Aber ich hatte das immer im Kopf. Für unsere Regierung war die Übernahme der Krim doch ein Erfolg, eine gute Möglichkeit, Kontrolle über die Bevölkerung zu bekommen, einen Krieg zu gewinnen und das russische Territorium zu erweitern.

Ich ging zur Musterung, es gab ohnehin keine andere Wahl. Alle meine Klassenkameraden waren total aufgeregt und versuchten, so gut wie nur möglich zu sein. Ich aber versuchte, mich und meine gesundheitliche Situation so schlecht wie möglich darzustellen. Ich habe nicht gelogen, aber immer zugesehen, dass ich möglichst wenige Punkte bekomme. Am Ende gaben sie mir Level C oder D, so dass es nicht sehr wahrscheinlich war, dass ich einberufen werde. Zu der Zeit hatte ich noch nicht die klare Entscheidung getroffen, den Militärdienst zu verweigern, aber ich hatte das unbedingte Gefühl, dass es nicht die richtige Sache ist.

Drohte Dir aktuell eine Rekrutierung?

Am 4. April 2022 haben meine Eltern eine Vorladung erhalten. Ich wurde aufgefordert, mich beim Militärkommissariat für die Einberufung zu melden.

Wie hat Deine Familie auf Deine Entscheidung reagiert?

Meine Familie akzeptiert und unterstützt mich. Und wichtig ist auch meine Großmutter. Sie ist sehr enttäuscht über die aktuelle Situation. Sie will nicht akzeptieren, dass wir der Ukraine solch schrecklichen Dinge antun. Sie hat ihre eigene Geschichte im Kopf. Sie sieht, dass die Regierung noch nicht einmal darüber nachdenkt, was dieser Krieg für die ganze Gesellschaft bedeutet. Für sie ist es ein großer Schritt zurück.

Du hast hier in Berlin Ukrainer getroffen. Was sagen sie zu Deiner Entscheidung?

Sie begegnen mir freundlich. Sie sagen mir, dass ich das Richtige getan habe. auch in Bezug darauf, wie ich den Krieg verstehe. Ich verstehe diesen Krieg nicht als einen Krieg zwischen Russland und der Ukraine, sondern als einen Krieg, der auf alten und schlechten Traditionen basiert, denen sich Russland gerade wieder nähert. Es ist ein Kampf zwischen der modernen Welt meiner Generation und den alten Traditionen, die Teile des Landes früher hatten.

Was wünschst Du Dir für die Zukunft?

Ich hoffe, dass es in Russland möglich ist, diese alten und schlechten Traditionen zu überwinden, für eine offene Gesellschaft. Für mich selber? Ich habe den Wunsch im Modebereich tätig zu werden. Ich hoffe, mich hier weiterbilden zu können, um später mal kreativ tätig sein zu können und auch mein Wissen mit Kreativen in Russland zu teilen.

Interview mit Maksim Gaidukov, geführt am 15.8.2022. Veröffentlicht am 6. Oktober 2022. Der Beitrag wurde veröffentlicht in: Connection e.V. (Hrsg.): Rundbrief »KDV im Krieg«, Ausgabe Oktober 2022

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