Rudi Friedrich in Frankfurt/M.

Rudi Friedrich in Frankfurt/M.

Russland, Belarus, Ukraine: Mobil gegen Mobilmachung

Redebeitrag von Rudi Friedrich, Connection e.V.

(19.11.2022) Hallo, ich freue mich sehr, mit Euch heute hier beim Aktionstag gegen den Krieg sein zu können. Stoppt das Töten in der Ukraine!

Zehntausende in Russland, Belarus und der Ukraine nehmen das ganz wörtlich. Sie wollen sich nicht am Krieg beteiligen, wo auch immer. Sie desertieren, verweigern den Dienst, verweigern die Befehle oder entziehen sich der Rekrutierung. Mit ihrer Verweigerung sagen sie auch: Stoppt das Töten!

Ich bin Rudi Friedrich von Connection e.V. Seit Beginn des Krieges fragten Hunderte bei uns um Unterstützung an, aus Russland, aus Belarus, aus der Ukraine.

Ein Blick auf Russland. Es ist noch keine zwei Monate her, da rief die russische Regierung eine Teilmobilmachung aus. In den Tagen danach standen die Telefone bei uns und bei Pro Asyl nicht still. Zehntausende flohen aus dem Land. Es war eine klare Abstimmung mit den Füßen gegen einen verbrecherischen Krieg.

Die Bewegung für Kriegsdienstverweigerung Russland berichtete wenige Tage später, dass massenhaft Personen festgenommen wurden. Es fanden Razzien in Wohnheimen, U-Bahnen, Obdachlosenunterkünften und Wohnhäusern statt. Alle wurden vorgeladen und dann unter Androhung von Strafverfahren dazu genötigt, die Einberufung in den Krieg zu akzeptieren. Über Wochen herrschte Willkür und Angst.

Viele fragten bei uns an, wie sie angesichts dieser Rekrutierungswelle das Land verlassen könnten. Andere schafften es, in angrenzende Länder wie Kasachstan, Georgien, Türkei oder Armenien zu fliehen und suchten nach Möglichkeiten, ein Visum für Westeuropa zu erhalten. Einige wenige riefen auch aus Deutschland oder angrenzenden Ländern an. Sie hatten es geschafft, ein Visum zu bekommen oder auf anderen Wegen Deutschland zu erreichen. Wie können wir Asyl erhalten? - fragten sie. Und wir mussten ihnen mitteilen, dass den klaren Worten aus der Politik, dass russische Verweigerer Schutz bekommen sollen, kaum Taten folgten. Für die Verweigerer ist es eher schwieriger geworden, Westeuropa zu erreichen und Asyl zu erhalten.

Wir gehen davon aus, dass mehr als 150.000 Russland und 22.000 Belarus verlassen haben, um nicht am Krieg teilnehmen zu müssen, um nicht rekrutiert zu werden. Und nur wenige Tausend schafften es in die Europäische Union. Für uns ist klar: Kriegsdienstverweigerer und Deserteure brauchen unsere Unterstützung!

Und wie sieht es auf der anderen Seite der Front aus, in der Ukraine? Die Ukraine hatte zu Beginn des Krieges eine Generalmobilmachung verkündet und die Grenzen für militärdienstpflichtige Männer geschlossen. Später erfuhren wir, dass das ohnehin restriktive Gesetz zur Kriegsdienstverweigerung einfach ausgesetzt wurde. Einige Verweigerer wurden bereits zu mehrjährigen Haftstrafen verurteilt.

Von Angehörigen und Bekannten erhielten wir viele Anfragen, wie sie trotzdem das Land verlassen können. Wer es auf illegalen Wegen versuchte, riskierte die Festnahme an der Grenze. So wurden im ersten Halbjahr diesen Jahres 8.000 Verfahren wegen illegalen Grenzübertritts eröffnet sowie 5.000 Verfahren wegen Militärdienstentziehung oder Desertion.

Dennoch haben es viele geschafft, in die Europäische Union zu kommen. Unserer Schätzung nach mehr als 140.000. Hier erhalten sie zumindest befristet einen humanitären Aufenthalt. Das schützt sie vorläufig vor Abschiebung und Verfolgung. Aber langfristig werden auch sie vor der Frage stehen, wie sie sich einer Verfolgung wegen ihrer Verweigerung entziehen können.

Wir sagen: Das Menschenrecht auf Kriegsdienstverweigerung ist ein unveräußerliches Recht. Es muss gerade auch in Kriegszeiten gelten, für jeden und jede, für Männer wie für Frauen, für Rekruten wie für Soldaten und Reservisten. Es ist zwingend notwendig, dass die Europäische Union dies auch gegenüber der Ukraine vertritt. Und solange ukrainische Verweigerer zu Haftstrafen verurteilt oder an die Front gebracht werden, müssen sie Schutz erhalten.

Desertion, Verweigerung und Befehlsverweigerung ist ein bedeutsamer Teil des Widerstandes gegen den Krieg. Es ist ein Akt der Selbstbestimmung und Humanität. Deserteure und Verweigerer sind Sand im Getriebe der Kriegsmaschinerie. Sie setzen ein Zeichen, dass es Alternativen gibt: zu Kampf, Zerstörung, zum Töten.

Zurück zu Russland: Es gibt einige, die tatsächlich desertiert sind. Wir wissen nicht, wie viele es geschafft haben, aus dem Kriegsgebiet zu fliehen. Die meisten, die aus dem Land flohen, entschieden das sehr frühzeitig. Sie waren so klug, dass sie angesichts einer möglichen Rekrutierung nicht erst eine Einberufung abwarteten, sondern schon vorher flohen. Genau diese Gruppe wird die größten Probleme in der Europäischen Union haben, Asyl zu erhalten.

Die Bundesregierung hatte bereits im April diesen Jahres erklärt, dass russische Deserteure Asyl erhalten sollen. Ihre Desertion werde in Russland als politischer Akt gegen den Krieg angesehen. Für Militärdienstentzieher wurde dies jedoch ausdrücklich ausgeschlossen.

Wir sagen: Militärdienstentzieher wären bei einer zwangsweisen Rückkehr nach Russland einer Rekrutierung für den Krieg unterworfen. Deshalb: Nicht nur Deserteure, sondern auch die große Zahl der Militärdienstentzieher muss Schutz erhalten.

Bei den Visaregelungen gab es statt einer Öffnung eine Verschärfung. Die baltischen Staaten und Polen schlossen die Grenzen für russische Staatsbürger*innen. Andere Länder reagierten mit strikteren Visaregelungen. Und auch deutsche Botschaften, so wurde uns von Angehörigen mitgeteilt, verweigerten in so manchen Fällen eine Visumserteilung, weil nicht davon auszugehen sei, dass die Person rechtzeitig wieder zurückkehre. Die Grenzen wurden also abgeriegelt. Auf der anderen Seite ist der Status der Betroffenen in einem Teil der Fluchtländer extrem prekär und unsicher.

Wir sagen: Die Grenzen müssen für die Betroffenen geöffnet werden! Flüchtlinge müssen die Möglichkeit haben, Länder zu erreichen, die ihnen einen sicheren Aufenthalt gewähren können. Russische Staatsbürger*innen, Oppositionelle wie Deserteure und Militärdienstentzieher müssen auch von Ländern außerhalb Russlands Anträge zur Aufnahme in die Europäische Union stellen können.

Und die EU muss ein Aufnahmeprogramm beschließen, damit diejenigen russischen Staatsbürger*innen, die sich unter großem Risiko von der Regierung ihres Landes abgewandt haben, Möglichkeiten der Ausbildung und Beschäftigung erhalten.

Um all diese Menschen zu unterstützen, haben wir von Connection e.V. schon frühzeitig ein Netzwerk auf europäischer Ebene aufgebaut. Wir arbeiten in enger Kooperation mit Gruppen und Organisationen, die in Russland, Belarus oder der Ukraine zur Unterstützung der Verweigerer arbeiten. Zum Teil wird diese Arbeit im Exil geleistet. Mit Spenden können wir Beratungsstellen in Finnland, Estland, Litauen, Ukraine oder auch Georgien unterstützen. Gemeinsam riefen wir eine Kampagne ins Leben und fordern von der Europäischen Union: Deserteure und Verweigerer brauchen Schutz und Asyl.

Und an dieser Stelle eine Bitte an Euch: Dort drüben am Stand haben wir eine Unterschriftensammlung an die Europäische Union ausgelegt. Bitte unterzeichnet die Petition, damit diese Forderungen stärkeres Gewicht erhalten.

Stoppt das Töten in der Ukraine! Helft denen, die das ganz persönlich für sich bereits entschieden haben. Helft uns dabei, all diejenigen zu unterstützen, die sich auf welcher Seite auch immer, dem Grauen des Krieges entziehen, die sich verweigern, die desertieren.

Danke

Rudi Friedrich: Russland, Belarus, Ukraine- Mobil gegen Mobilmachung. Redebeitrag auf der Kundgebung in Frankfurt/M., 19.11.2022

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