Russland: Keine gesetzliche Regelung für Alternativen Dienst während einer Mobilisierung

von Victoria Arnold, Forum 18

In Zeiten der Mobilisierung gibt es keine rechtlichen oder praktischen Regelungen für den Alternativen Dienst, obwohl die Verfassung dieses Recht allen Bürgern garantiert. Das hat dazu geführt, dass die Rekrutierungsbüros Anträge auf Alternativen Dienst ablehnen und Kriegsdienstverweigerer zu Militäreinheiten schicken. Darüber hinaus ermöglicht eine Gesetzesänderung vom November 2022, dass Personen, die sich bereits im Alternativen Dienst befinden, innerhalb der Streitkräfte in einem unbewaffneten Dienst eingesetzt werden können. „Mit dieser Gesetzesänderung wird der Alternative Dienst als Alternative zum Militärdienst während einer Mobilisierung faktisch abgeschafft“, so die Anwältin Valeriya Vetoshkina.

Für Reservisten, deren religiöse (oder andere) Überzeugungen sie daran hindern, Waffen zu tragen oder anderweitig in den Streitkräften zu dienen, hat die russische Regierung keine rechtlichen oder praktischen Regelungen für einen Alternativen Dienst in Zeiten der Mobilisierung getroffen, obwohl die Verfassung des Landes allen Bürgern das Recht auf diesen Dienst garantiert.

Am 21. September kündigte Präsident Wladimir Putin die „Teilmobilisierung“ der russischen Militärreserve an. Innerhalb weniger Wochen wurden nach Angaben des Verteidigungsministeriums mehr als 300.000 Männer einberufen. Hunderttausende sind aus dem Land geflohen, um nicht in den russischen Krieg in der Ukraine geschickt zu werden.

Der daraus resultierende rechtliche Schwebezustand hat dazu geführt, dass die Rekrutierungsbüros der Streitkräfte Anträge auf einen Alternativen Dienst ablehnen und Kriegsdienstverweigerer zu Militäreinheiten schicken. Mehrere dieser Männer haben ihre Mobilisierung vor Gericht angefochten.1 Bislang ist nur von einem - dem Protestanten Pavel Mushumansky - bekannt, dass sein Mobilisierungsbefehl aufgehoben wurde. Ein anderer - der russisch-orthodoxe Christ Kirill Berezin - hatte vor Gericht keinen Erfolg, kannaber als unbewaffneter Soldat dienen.

Russische Männer im Alter von 18 bis 27 Jahren unterliegen der Wehrpflicht, auch wenn es vielen gelingt, Ausnahmeregelungen oder Zurückstellungen zu erhalten. Wenn ein Wehrpflichtiger aufgrund seiner religiösen oder pazifistischen Überzeugungen die Teilnahme an militärischen Aktivitäten verweigert, kann er einen Alternativen Dienst beantragen. Sowohl der Alternative Dienst als auch der Militärdienst bedeuten jedoch, dass der Mann anschließend der Reserve angehört und wieder einberufen werden kann.

Eine Änderung des Mobilisierungsgesetzes von 1997, die am 15. November 2022 in Kraft getreten ist, ermöglicht es außerdem, dass Personen, die als Wehrpflichtige einen Alternativen Dienst in einer zivilen Einrichtung absolvieren, von der zivilen Einrichtung in eine unbewaffnete Position innerhalb der Streitkräfte versetzt werden können. Die Rechtsanwältin Valeriya Vetoshkina ist der Ansicht, dass diese Änderung den Alternativen Dienst als friedliche Alternative zum Militärdienst während der Mobilisierung abschafft.

Das Fehlen eines Mechanismus zur Beantragung des Alternativen Dienstes für Reservisten „bedeutet nicht, dass das Recht der Bürger durch die Untätigkeit des Staates erlischt“, kommentierte der Rechtsanwalt Sergey Chugunov vom Moskauer Slawischen Zentrum für Recht und Gerechtigkeit am 25. September auf seinem Telegram-Kanal. „[Ersatzdienst] ist nicht vorgesehen, aber das Recht ist garantiert. Schützt eure Rechte!“

Chugunov und andere Anwälte haben Kriegsdienstverweigerer, die eine Vorladung zur Mobilisierung erhalten haben, ermutigt, trotzdem einen Antrag auf Alternativen Dienst zu stellen. „In dem Antrag müssen Sie [die Mobilisierungskommission] über Ihre Antikriegsüberzeugungen oder Religion informieren und sich auf Artikel 59 der Verfassung berufen“, riet Chugunov den Wehrpflichtigen am 22. September auf seinem Telegram-Kanal. „Auf den Antrag wird eine Ablehnung folgen, möglicherweise mit der Androhung strafrechtlicher Verfolgung, so dass Sie bereit sein müssen, weiter für Ihr verfassungsmäßiges Recht zu kämpfen. Die Ablehnung kann vor Gericht angefochten werden.“

Bei der Schließung der offensichtlichen Rechtslücke sind kaum Fortschritte zu verzeichnen. Die am 15. November in Kraft getretene Änderung des Mobilmachungsgesetzes von 1997 gilt nur für Personen, die zum Zeitpunkt der Ankündigung der Mobilmachung bereits als Wehrpflichtige einen Alternativen Dienst ableisten, und besagt, dass sie unter Umständen in zivile Funktionen bei den Streitkräften wechseln müssen, wenn sie diese nicht bereits innehaben.

Anfang Oktober versuchten zwei Abgeordnete der Partei Neues Volk in der Staatsduma, einen Gesetzentwurf einzubringen, der Reservisten unter den Bedingungen der Mobilisierung einen Ersatzdienst ermöglichen würde. Dies scheint im Ausschuss zu scheitern.

Strafverfolgung von Antikriegsdemonstranten

Trotz der Unterstützung des erneuten Einmarsches Russlands in der Ukraine durch die Führungen der Russisch-Orthodoxen Kirche (Moskauer Patriarchat), der größten Pfingstgemeinde, der Zentralen Geistlichen Verwaltung der Muslime Russlands und einiger anderer religiöser Organisationen gibt es weiterhin eine kleine Zahl von Laien und Geistlichen, die sich aufgrund ihres Glaubens dagegen aussprechen.

Von den mehr als 100 Personen, die wegen ihres Widerstands gegen den Krieg Russlands gegen die Ukraine strafrechtlich verfolgt werden, wurden drei aufgrund ihrer religiösen Überzeugung angeklagt.2 Einer der drei, Pater Ioann Kurmoyarov, befindet sich immer noch in St. Petersburg in Untersuchungshaft. Die nächste Anhörung in diesem Strafverfahren ist für Januar 2023 vorgesehen.

Zahlreiche Personen wurden wegen ihres Widerstandes gegen den Krieg, insbesondere wegen des Anbringens von Antikriegsplakaten, verwaltungsrechtlich belangt. Darunter sind auch einige, die bestraft wurden, weil sie mit Plakaten protestierten, auf denen die Bibel, der Dalai Lama oder andere religiöse Quellen zitiert wurden.

Internationales Menschenrecht

Das Recht von Kriegsdienstverweigerern, nicht gezwungen zu werden, an militärischen Strukturen oder Aktivitäten teilzunehmen, ergibt sich aus Artikel 18 des Internationalen Pakts über bürgerliche und politische Rechte (ICCPR), in dem die „Gedanken-, Gewissens- und Religionsfreiheit“ verankert ist. In Staaten, in denen es einen zivilen Ersatzdienst gibt, muss dieser Dienst allen offen stehen, die den Militärdienst aus Gewissensgründen ablehnen, und darf keinen Strafcharakter aufweisen.3

In Artikel 4 des ICCPR heißt es, dass in „Zeiten des öffentlichen Notstands, der das Leben der Nation bedroht und dessen Existenz offiziell verkündet wird“, bestimmte Ausnahmen von den im Pakt verankerten Rechten „in dem unbedingt erforderlichen Umfang“ zulässig sind. Von den in Artikel 18 verankerten Rechten darf jedoch „nach dieser Bestimmung nicht abgewichen werden“. Russland ist ein Vertragsstaat des ICCPR.

Was sagt das russische Gesetz?

Die verschiedenen Bestimmungen der russischen Verfassung, die föderalen Gesetze und die nach der Ankündigung der Mobilisierung eingeführten Änderungen haben diejenigen, die einen Alternativen Dienst ableisten wollen, im Ungewissen gelassen. Die Verfassung garantiert zwar das Recht auf einen Alternativen Dienst, aber es gibt keine rechtliche Regelung dafür unter den Bedingungen der Mobilisierung. Infolgedessen lehnen die Militärbehörden in der Regel Anträge auf Alternativen Dienst von Personen ab, die aufgrund ihrer religiösen oder sonstigen Überzeugung keine Waffen tragen oder überhaupt nicht im Militär dienen können.

Der Teilmobilisierungserlass von Präsident Putin vom 21. September und seine späteren Änderungen sehen Ausnahmen und Zurückstellungen aufgrund des Alters, des Gesundheitszustands, bestimmter familiärer Umstände, des Studentenstatus’ und der Beschäftigung in bestimmten Sektoren, einschließlich der Verteidigungsindustrie, vor, erwähnen jedoch nicht den Alternativen Dienst.

Am 25. September hieß es im Informationsportal der Regierung „Wir erklären“ (obyasnyaem.rf)4, dass ein Alternativer Dienst in Zeiten der Mobilisierung nicht möglich ist.

Die Verfassung

In Artikel 59, Absatz 3 der Verfassung heißt es: „Ein Bürger der Russischen Föderation hat das Recht, den Militärdienst durch einen Alternativen Dienst zu ersetzen, wenn die Ableistung des Militärdienstes seinen Überzeugungen oder seiner Religion widerspricht, sowie in anderen durch Bundesgesetz festgelegten Fällen.“

Nach russischem Recht hat die Verfassung Vorrang vor allen anderen Rechtsvorschriften (oder deren Fehlen). Einige russische Juristen und Menschenrechtsverteidiger haben daher behauptet, dass mobilisierte Männer unabhängig von den Umständen ein Recht auf Alternativen Dienst haben.

2002: Föderales Gesetz über den Alternativen Dienst

Dieses Gesetz regelt das Recht auf und die Organisation des Alternativen Dienstes ausschließlich in Bezug auf die Wehrpflicht (die obligatorische zweimal jährliche Einberufung russischer Männer im Alter von 18 bis 27 Jahren, die noch nicht gedient haben und daher nicht zur Reserve gehören). Nach diesem Gesetz können diejenigen, denen die Ableistung des Militärdienstes gegen ihre religiösen oder sonstigen Überzeugungen verstößt, anstelle des 12-monatigen Militärdienstes einen 18-monatigen Dienst in einer zivilen Funktion bei den Streitkräften oder einen 21-monatigen Dienst in einer staatlichen Einrichtung wie einem Krankenhaus oder Pflegeheim beantragen.

Artikel 24 dieses Gesetzes besagt, dass Personen, die den Alternativen Dienst ableisten, anschließend in die Reserve aufgenommen werden, aber nicht zur militärischen Ausbildung herangezogen werden. Die Zugehörigkeit von Kriegsdienstverweigerern zur Reserve ist auch in Artikel 52 des „Gesetzes über die Militärpflicht und den Militärdienst“ von 1998 verankert.

Artikel 9 besagt: „Die Organisation und Durchführung des Alternativen Dienstes während der Mobilmachung, während des Kriegsrechts und in Kriegszeiten werden durch föderale Verfassungsgesetze, andere föderale Gesetze und andere normative Rechtsakte der Russischen Föderation, die in Übereinstimmung mit diesen erlassen werden, bestimmt.“ In den bestehenden föderalen Gesetzen ist jedoch nicht geregelt, wie der Alternative Dienst für Reservisten zu organisieren ist, die entweder schon immer Kriegsdienstverweigerer waren (und daher als Wehrpflichtige den Zivildienst abgeleistet haben) oder deren Überzeugungen sich seit der Ableistung des Militärdienstes geändert haben könnten. 

2007: „Vorschriften über die Einberufung von Bürgern der Russischen Föderation zur Mobilmachung“

In diesem Reglement wird weder die Möglichkeit eines Alternativen Dienstes erwähnt, noch wird die Zuweisung mobilisierter Männer zum Alternativen Dienst als eine der Aufgaben einer Mobilisierungskommission aufgeführt.

1997: Gesetz über die Vorbereitung der Mobilmachung und die Mobilisierung

Auch in diesem Gesetz wurde der Alternative Dienst bis fast acht Wochen nach der „Teilmobilmachung“ nicht erwähnt. Mit einer Reihe von Änderungen, die am 15. November 2022 in Kraft traten, wurde ein neuer Artikel 17.1 eingeführt, in dem es heißt, dass Wehrpflichtige, die bei der Ankündigung der Mobilisierung Alternativen Dienst leisten, dies auch weiterhin tun dürfen, dass aber diejenigen, die in staatlichen Einrichtungen Dienst tun, in zivile Funktionen bei den Streitkräften versetzt werden können.

Der Rechtsanwalt Sergey Chugunov bezeichnete diese Änderung am 27. Oktober in seinem Telegram-Kanal als „mehr schlechte als gute Nachricht“, da das Gesetz die Möglichkeit des Alternativen Dienstes für Reservisten im Gegensatz zu Wehrpflichtigen noch immer nicht regelt.

Die Anwältin Valeriya Vetoshkina von Perviy Otdel - einer Gruppe von Anwält*innen und Menschenrechtsverteidiger*innen - ist der Ansicht, dass mit der Gesetzesänderung der Alternative Dienst als friedliche Alternative zum Militärdienst während der Mobilisierung praktisch abgeschafft wird. Da die Mobilisierung technisch gesehen nicht beendet ist, kann jeder Wehrpflichtige, der sich für den Alternativen Dienst bewirbt, einen zivilen Posten bei den Streitkräften und nicht mehr bei einer staatlichen Einrichtung erhalten, stellt sie fest.

„Das Gesetz rettet niemanden vor der Armee, sondern ermöglicht es im Gegenteil, diejenigen, die ihren Alternativen Dienst ableisten, als „Zivilpersonal in die Streitkräfte zu schicken“, erklärte Vetoshkina am 9. November gegenüber dem Nachrichtenportal Kholod.Media. „Das heißt, das Gesetz bewahrt sie nicht nur nicht vor der Teilnahme am Krieg, sondern kann Sie auch in die Aktivitäten der Streitkräfte der Russischen Föderation einbeziehen.“

Vetoshkina fügte hinzu: „Wenn es Ihre Überzeugung ist, nicht zu den Waffen zu greifen und nicht auf Menschen zu schießen, wird Sie niemand dazu zwingen, aber wenn Sie prinzipiell gegen den Krieg sind, sollten Sie sich darauf gefasst machen, dass sie ihm sehr nahe kommen.“

Forum 18 ist nur ein einziges Beispiel bekannt, in dem dieser Zusatz einem Wehrpflichtigen geholfen hat, die Mobilisierung zu vermeiden. Ein Militärkommissariat in der Republik Tschuwaschien stimmte (nach zweimaliger Ablehnung seines Antrags) zu, einen Mann nicht zu mobilisieren, der den Alternativen Dienst beantragt hatte, weil er der Meinung war, dass der Militärdienst „meiner Überzeugung vom Wert des Lebens eines jeden Menschen, meiner Überzeugung von der Gewaltlosigkeit und der Unannehmbarkeit der Mitschuld an dieser Gewalt widerspricht“.

In seinem abschließenden Schreiben, das der Telegram-Kanal Call to Conscience am 1. Dezember veröffentlichte, berief sich das Militärkommissariat auf den neuen Artikel 17.1 des Gesetzes über die Vorbereitung der Mobilmachung und die Mobilisierung. Darin heißt es, dass der Antragsteller nicht zum Militärdienst einberufen wird, sondern „bei der Ankündigung der Mobilisierung“ als eine Person betrachtet wird, die den Alternativen Dienst als Zivilperson beim Militär ableisten möchte.

„Es heißt nicht ‘nur Wehrpflichtige’"

Anwälte und Menschenrechtsverteidiger sind sich einig, dass die Bundesgesetzgebung keinen Alternativen Dienst für Reservisten während der Mobilmachung vorsieht. Sie bestehen jedoch darauf, dass die Verfassung das Recht auf Alternativen Dienst in jedem Fall garantiert und dass Männer, die aus religiösen oder anderen Gewissensgründen nicht kämpfen wollen, daher Anträge auf Alternativen Dienst stellen und vor Gericht gehen sollten, wenn sie abgelehnt werden.

Call to Conscience (Prizyv k sovesti) ist eine Koalition von Anwält*innen und Expert*innen russischer Menschenrechtsorganisationen für die Kriegsdienstverweigerung. Auf ihrem Telegram-Kanal erklärte die Organisation am 15. Oktober: „Die Verpflichtung, die Möglichkeit zur Ableistung des Alternativen Dienstes zu bieten, liegt beim Staat. Solange eine solche Möglichkeit nicht besteht, sollte der Staat Bürger, die ihre Überzeugung erklärt haben, nicht zum Militärdienst mobilisieren.“

„Die Verfassung hat die höchste Rechtskraft [und] unmittelbare Wirkung. Gesetze und andere Rechtsakte, die in der Russischen Föderation verabschiedet wurden, dürfen der Verfassung nicht widersprechen (Artikel 15, Absatz 1 der Verfassung der Russischen Föderation)“, erklärte die Anwaltskanzlei Antonov und Partner am 18. Oktober auf ihrer Website.5

„Es gibt keine Ausnahmen, die es uns erlauben würden zu sagen, dass der Ersatz des Militärdienstes durch einen Alternativen Dienst während der Mobilisierungszeit unmöglich ist“, fügte die Kanzlei Antonov und Partner hinzu. „Das bedeutet, dass die Bürger das Recht haben, die Einberufung zum Militärdienst zu verweigern und dessen Ersetzung durch einen Alternativen Dienst zu verlangen.“

„Das Fehlen einer gesetzlichen Regelung“, fügte die Kanzlei hinzu, „sollte die Bürger nicht daran hindern, ihre verfassungsmäßigen Rechte auszuüben.“

Sergey Chugunov vom Slawischen Zentrum für Recht und Gerechtigkeit betont ebenfalls die übergeordnete Kraft der Verfassung. Zwischen der Verabschiedung der Verfassung im Jahr 1993 und der Verabschiedung des Gesetzes über den Alternativen Dienst im Jahr 2002 habe es keinen Mechanismus für den Alternativen Dienst gegeben, und jeder junge Mann, der aus Gewissensgründen den Militärdienst verweigert habe, habe vor Gericht gehen müssen, erklärte er am 22. September auf seinem Telegram-Kanal. In dieser Zeit haben Gerichte, darunter auch das Verfassungsgericht, wiederholt das Recht der Wehrpflichtigen auf einen Alternativen Dienst anerkannt.

Chugunov zitiert eine Reihe von Urteilen des Verfassungsgerichts, die dieses Recht bestätigen, darunter eines vom 22. Mai 1996, in dem es heißt: „Das Recht von Bürgern, deren Überzeugung oder Religion der Ableistung des Militärdienstes entgegensteht, das wortwörtlich in der genannten Verfassungsnorm verankert ist und keiner Präzisierung bedarf, diesen durch einen Alternativen Dienst zu ersetzen, ist wie alle anderen Rechte und Freiheiten der Person und des Bürgers unmittelbar anwendbar (Artikel 18 der Verfassung der Russischen Föderation) und muss unabhängig davon gewährleistet werden, ob ein entsprechendes föderales Gesetz verabschiedet wurde oder nicht.“

„Sowohl die Verfassung als auch das Gesetz über die Gewissensfreiheit garantieren allen Bürgern, deren Überzeugungen im Widerspruch zum Militärdienst stehen, das Recht auf Alternativen Dienst. Es heißt nicht ‘nur Wehrpflichtige’", kommentierte Daavr Dorzhin, Anwalt der Menschenrechtsgruppe Memorial, am 25. Oktober auf dem Telegramkanal Call to Conscience.

Dorzhin wies darauf hin, dass es noch nicht möglich ist, einen Alternativen Dienst zu leisten, da es kein Verfahren gibt, aber die Bürger haben das Recht, einen solchen zu beantragen. „In der Regel antworten die Militärbehörden, dass der Alternative Dienst während einer Mobilisierung nicht vorgesehen ist. Es ist am besten, den Schriftverkehr fortzusetzen: Weisen Sie darauf hin, dass Sie mit einer solchen Antwort nicht einverstanden sind, und bitten Sie darum, dass man Sie bis zur Verabschiedung [einschlägiger] Rechtsvorschriften nicht einberuft.“

„Ein Gläubiger ... hat das Recht, seine eigenen religiösen Überzeugungen zu haben“

Pawel Chikov von der Menschenrechtsgruppe Agora wies am 16. Oktober auf seinem Telegram-Kanal auf das Risiko hin, dass Gläubigen auch der Alternative Dienst verweigert werden könnte, weil viele russische religiöse Organisationen die Teilnahme an militärischen Kampfhandlungen nicht ausdrücklich verbieten.

Chikov fügte hinzu, dass es daher wichtig sei, sich bewusst zu machen, dass das Verfassungsgericht am 23. November 1999 entschieden habe, dass das Recht eines Bürgers auf einen Alternativen Dienst gemäß Artikel 59 der Verfassung auf der Grundlage der eigenen Überzeugungen des Einzelnen und unabhängig von der Mitgliedschaft in einer religiösen Organisation aufrechterhalten werden müsse.

Anfang Oktober erklärte die Geistliche Verwaltung der Muslime der Republik Tatarstan (DUM-RT), dass es „für Muslime zulässig ist, in den Reihen der russischen Armee an Kampfhandlungen teilzunehmen“.

Call to Conscience wies darauf hin, dass dies nicht bedeute, dass Muslime keinen Alternativen Dienst beantragen könnten. „Jeder Bürger hat das Recht auf seine eigenen religiösen Überzeugungen“, hieß es am 8. Oktober auf Telegram. „Jede Religion hat eine friedensstiftende Tradition - die Ideen von Frieden, Gerechtigkeit und Gewaltlosigkeit. Eine religiöse Organisation kann Krieg und Militäraktionen unterstützen, Waffen für den Krieg segnen - wie es leider die russisch-orthodoxe Kirche tut - oder die Teilnahme am Krieg erlauben, wie die DUM-RT. Aber ein Gläubiger, selbst als Mitglied dieser Organisation, hat das Recht, seine eigenen religiösen Überzeugungen zu haben, die sich von der offiziellen Position unterscheiden.

Die Anwälte von Call to Conscience raten, dass Wehrpflichtige in ihren Anträgen auf Alternativen Dienst angeben sollten, dass ihre Anträge mit ihren persönlichen religiösen Überzeugungen zusammenhängen, und Freunde, Verwandte und Glaubensgenossen bitten sollten, ihre Ansichten zu bestätigen.

Weitere mögliche Gesetzesänderungen?

Am 7. Oktober schlugen die Duma-Abgeordneten Sardana Avksentyeva und Maksim Gulin von der Neuen Volkspartei eine Reihe von Änderungen (№ 207803-8 im Online-Register der Duma) des Gesetzes über die Mobilisierungsvorbereitung und Mobilisierung von 1997 und des Gesetzes über den Alternativen Dienst von 2002 vor, durch die die Möglichkeit des Alternativen Dienstes für Reservisten während der Mobilisierung geschaffen und die Anzahl der Kategorien von Bürgern, die dafür in Frage kommen, erweitert werden soll (indem verschiedene persönliche Umstände hinzugefügt werden, wie z.B. Sohn oder Bruder eines im Dienst verstorbenen Soldaten zu sein).

In ihrer beigefügten Erläuterung stellen Avksentyeva und Gulin fest, dass „die Frage der Formen und Methoden der Verwendung von Bürgern, die während der Mobilisierung, während des Kriegsrechts und in Kriegszeiten einen Alternativen Dienst ableisten, noch ungelöst ist“, und dass „diese rechtliche Lücke die Umsetzung des verfassungsmäßigen Rechts, den Militärdienst während der Einberufung zur Mobilisierung durch einen Alternativen Dienst zu ersetzen, behindern kann“.

Die Änderungsanträge würden einen neuen Absatz 3.1 in Artikel 17 des Mobilmachungsgesetzes einführen: „Die Bürger der Reserve haben das Recht, während der Zeit der Teilmobilisierung den Militärdienst durch einen Alternativen Dienst zu ersetzen und können gemäß Artikel 4 des Föderalen Gesetzes Nr. 113 ‘Über den Alternativen Dienst’ zur Arbeit geschickt werden, auch um die Sicherheit von Bildungseinrichtungen zu gewährleisten.“

Artikel 2 des Gesetzes („Das Recht eines Bürgers, den Militärdienst durch einen Alternativen Dienst zu ersetzen“) soll ebenfalls geändert werden, um dieses Recht ausdrücklich auf Zeiten der vollständigen und teilweisen Mobilisierung auszuweiten.

Der Verteidigungsausschuss der Duma kam zu dem Schluss, dass verschiedene Aspekte des Entwurfs im Widerspruch zum geltenden Bundesrecht stehen, insbesondere die Tatsache, dass „die Bestimmungen des Entwurfs die Tatsache nicht berücksichtigen, dass gemäß Artikel 3 Absatz 1 [des Gesetzes über den Alternativen Dienst von 2002] der Alternative Dienst von männlichen Bürgern im Alter von 18 bis 27 Jahren geleistet wird, die nicht in der Reserve sind“.

Dies scheint darauf zurückzuführen zu sein, dass die Abgeordneten es versäumt haben, eine Änderung vorzuschlagen, die Reservisten in den Artikel 3 des Gesetzes (Bürger, die zum Zivildienst eingeteilt sind) einbezieht.

Die Registrierung des Gesetzentwurfs „bestätigt die Richtigkeit [pravota] der Menschenrechtsaktivisten, dass das verfassungsmäßige Recht der Bürger auf Alternativen Dienst aufrechterhalten werden muss“, kommentierte Aleksey Tabalov, Leiter der Menschenrechtsorganisation Shkola przyvnika, am 7. Oktober. „Und das ist nicht das Problem der Bürger, sondern das Problem des Gesetzgebers, wenn es noch immer kein solches Gesetz gibt. Wir empfehlen weiterhin allen, die sich der Einberufung zur Mobilmachung entziehen wollen, bei den Rekrutierungsbüros einen Antrag auf Ersetzung des Militärdienstes durch einen Alternativen Dienst zu stellen.“

Es sei jedoch unwahrscheinlich, dass die Duma diese Änderungen verabschieden werde, erklärte der Anwalt Sergey Chugunov am 7. Dezember gegenüber Forum 18, „selbst wenn sie die Frage des Alternativen Dienstes während der Mobilisierung regeln wollten“. Er merkte an, dass ein solcher Gesetzesentwurf „das Verfahren für die Zuweisung [von Menschen] zum Alternativen Dienst regeln sollte - wie, wo und wann man einen Antrag stellt, wie eine Entscheidung getroffen wird usw., aber davon steht nichts in dem Entwurf“.

Abgeordnete der Duma haben zwei weitere Gesetzesentwürfe vorgelegt, die sich auf den Alternativen Dienst während der Mobilisierung auswirken könnten. Einer davon (№ 220951-8), der am 25. Oktober registriert wurde, würde Artikel 17 des Mobilisierungsgesetzes um einen neuen Absatz 2.1 ergänzen. Danach sollen Bürger, die keinen Militärdienst geleistet haben, von der Einberufung zur Teilmobilmachung befreit sein.

In der Erläuterung wird eingeräumt, dass „Bürger mobilisiert wurden, die den Militärdienst nicht beendet haben und über keine einschlägige Erfahrung verfügen“. Sie erwähnt jedoch nicht ausdrücklich Reservisten, die den Alternativen Dienst als Wehrpflichtige absolviert haben. Dies könnte von der Duma auf ihrer Frühjahrstagung 2023 geprüft werden.

Der andere Gesetzentwurf (№ 214382-8), der am 17. Oktober registriert wurde, scheint ebenfalls im Ausschuss stecken geblieben zu sein. Er würde das Mobilisierungsgesetz um weitere Kategorien von Bürgern erweitern, die für einen Aufschub des Dienstes in Frage kommen, darunter auch „Alternativdienst Leistende“. Es wird nicht präzisiert, wie lange der Aufschub dauern soll, und Personen, die den Alternativen Dienst bereits abgeschlossen haben, werden nicht erwähnt.

Der Verteidigungsausschuss argumentierte in seiner Schlussfolgerung vom 7. November 2022, dass dies dem Gesetz über den Alternativen Dienst von 2002 widerspreche, demzufolge Personen, die den Alternativen Dienst abgeleistet haben, in die Reserve versetzt werden und somit einberufen werden können.

Forum 18 richtete über das Online-Anfragesystem der Duma Anfragen an Sardana Avksentyeva und Maksim Gulin. Es wurde gefragt, welche Änderungen sie als Reaktion auf die Schlussfolgerungen des Verteidigungsausschusses an dem Gesetzentwurf vorgenommen hätten, wann der Gesetzentwurf ihrer Meinung nach von der Duma geprüft werden würde und ob sie der Meinung seien, dass die Möglichkeit eines Alternativen Dienstes für Reservisten in einem föderalen Gesetz vorgesehen werden würde. Forum 18 hatte bis zum Ende des Arbeitstages in Moskau am 19. Dezember noch keine Antwort erhalten.

Fußnoten

1 https://www.forum18.org/archive.php?article_id=2798

2 https://www.forum18.org/archive.php?article_id=2788

3 www.quno.org/sites/default/files/resources/QUNO%20Conscientious%20Objection%20-%20International%20Standards_Revised%202021_FINAL.pdf

4 https://объясняем.рф/articles/questions/mobilizatsiya/usloviya_prokhozhdeniya_sluzhby/est_li_alternativnaya_grazhdanskaya_sluzhba_ags_pri_prizyve_po_mobilizatsii/

5          https://pravo163.ru/advokat-po-mobilizacii-alternativnaya-grazhdanskaya-sluzhba-v-period-chastichnoj-mobilizacii/

Victoria Arnold, Forum 18: Russia – No legal provision for alternative civilian service during mobilisation, 19. Dezember 2022. www.forum18.org. Der Beitrag wurde veröffentlicht in: Connection e.V. (Hrsg.): Rundbrief »KDV im Krieg«, Ausgabe Februar 2023

Stichworte:    ⇒ Kriegsdienstverweigerung   ⇒ Militär   ⇒ Rekrutierung   ⇒ Russland