Georgien: Solidarität für Verweigerer und Deserteure

Interview mit Mikheil Elizbarashvili

Judith Dirk, Mitglied im Vorstand von pax christi Rottenburg-Stuttgart führte folgendes Interview mit Mikheil Elizbarashvili, der in Tblissi für das Caucasian Conscientious Objection Network arbeitet. (d. Red.)

Mikheil, zunächst möchte ich Dich bitten, dass Du Dich den Lesern der pax info kurz vorstellst.

Den Großteil meines Lebens habe ich in Georgien gelebt. Außerdem reiste ich häufig in die Ukraine, um meine Kinder in Kiew zu besuchen. Als ich jung war, habe ich in Moskau und in Kiew und Cherkassy in der Ukraine gelebt. Seit 2004 arbeite ich bei verschiedenen NGOs in Georgien. Meine duale Ausbildung in Internationalem Recht und Marketing Management hilft mir sehr bei der Arbeit. Durch verschiedene Trainings habe ich mich weiter fortgebildet, u.a. zum Ersthelfer für psychische Krisen. Seit Beginn des Krieges in der Ukraine arbeite ich im Kaukasus-Büro von act for transformation in Tbilisi. Nach Kriegsbeginn konnte ich nicht tatenlos bleiben, insbesondere da ich in beiden Ländern, Ukraine und Russland, Familie und Freunde habe.

Wie viele Personen arbeiten in Eurem Büro in Tbilisi und was sind Eure aktuellen und perspektivischen Aufgabenschwerpunkte?

Aktuell sind wir zwei georgische Angestellte und weitere Honorarkräfte sowie drei Freiwillige aus Deutschland und Österreich. Wir organisieren finanzielle, medizinische und rechtliche Hilfe für Geflüchtete aus der Ukraine. Zum Beispiel besuchen wir Flüchtlinge in ihren Unterkünften, bieten Beratung durch eine ukrainische Psychologin und Beschäftigung für Kinder an. Mit finanzieller Unterstützung von Connection e.V. haben wir angefangen, Kriegsdienstverweigerer aus Russland, die nach Georgien geflüchtet sind, zu unterstützen. Dies umfasst finanzielle Anfangsunterstützung und Hilfe bei der Suche nach einer Wohnung und einem Job. Wir haben auch Seminare online und in Präsenz angeboten, um Personen auszubilden, die in der Beratung tätig werden wollen. Wir planen eine Unterkunftsmöglichkeit für Kriegsdienstverweigerer zu organisieren. Über die Hotline können Kriegsdienstverweigerer auf Russisch Auskunft und weitere Hilfe bekommen.

Wie ist die Situation in Tbilisi und generell in Georgien für Menschen, die gerade aus Russland dorthin flüchten?

In den letzten Monaten kamen besonders junge Menschen aus Russland nach Georgien, die der Diktatur entkommen wollen. Nach ihrer Flucht wissen sie oft nicht, was sie in Georgien machen sollen. Mehr als 100.000 Menschen haben die Grenze zu Russland in nur drei Wochen, seit dem Start der Teilmobilmachung im September, überschritten. Doch schon nach kurzer Zeit wurden auf russischer Seite der Grenze mehrere Checkpoints errichtet, wo an wehrfähige Männer Einberufungsbescheide ausgehändigt wurden. Dies hält seitdem viele Russen vor einer Flucht nach Georgien ab. Auch in andere Länder, wie Kasachstan und Armenien sind zehntausende Russen geflüchtet. Viele von ihnen nutzen Georgien als Transitland, meist auf dem Weg nach Europa. Momentan leben ca. 25.000 ukrainische Geflüchtete in Georgien. Sie kommen meist aus den südlichen und östlichen Regionen des Landes und sind durch die okkupierten Territorien sowie Russland geflohen. Viele von ihnen haben ihr Zuhause verloren und leiden unter Stress, Angst und Mangelernährung.

Können Flüchtlinge aus der Ukraine und Russland einfach ein Visum in Georgien erhalten? Wie lange dürfen sie in Georgien bleiben?

Russen benötigen derzeit kein Visum, wenn sie nach Georgien einreisen wollen und können sich für ein Jahr visafrei im gesamten Land aufhalten. Diese Regelung betrifft auch Ukrainer und EU-Bürger. Georgier müssen im Gegensatz dazu ein Visum beantragen, wenn sie die Russische Föderation bereisen wollen. Derzeit gibt es viele Stimmen in Georgien, die eine Visapflicht für Russen fordern.

Wie ist die Stimmung in der georgischen Bevölkerung in Bezug auf die Flüchtlinge?

Der Großteil der Georgier ist gegen die Einwanderungswelle aus Russland. Daraus wird auch kein Geheimnis gemacht. Im gesamten Land sieht man russlandkritische Graffitis und auch aus ihrer eigenen Meinung zur Situation machen die Georgier kein Geheimnis. Man muss bedenken, dass die georgischen Regionen Abchasien und Südossetien unter russischer Kontrolle stehen. Durch die Einwanderungswelle stiegen die Preise im gesamten Land stark an. Insbesondere Mieten und Grundstückspreise sind ins Unermessliche gestiegen. Bei vielen Georgiern löst dies Unbehagen aus, da der Wohnungskauf, aufgrund finanzieller Engpässe, in weite Ferne gerückt ist.

Wie ist Deine Erfahrung mit Kriegsdienstverweigerern in Georgien?

Derzeit sind noch kaum Fälle von russischen Soldaten bekannt, die direkt vom Militär geflüchtet und nach Georgien gekommen sind. Wir haben aber bereits Kontakte mit Männern, die vor der Einberufung geflohen sind. Sie erhalten keinerlei Unterstützung von der georgischen Regierung oder anderen NGOs, soweit mir bekannt. Die meisten erfahren Unterstützung in der russischen Community von Personen, die schon früher nach Georgien gekommen sind. Meines Wissens sind wir die einzige internationale Organisation in Georgien, die Kriegsdienstverweigerern aus Russland hilft.

Was können Menschen in Deutschland tun, die russische Kriegsdienstverweigerer in Georgien unterstützen möchten?

Sie können auf unser Büro in Tbilisi hinweisen und die Nummer der Beratungs-Hotline weitergeben. Und natürlich helfen uns Spenden, unsere Arbeit fortzusetzen.

Interview mit Mikheil Elizbarashvili. 8.12.2022. Entnommen aus pax info 78, Dez. 2022. https://tinyurl.com/yc3wfntb. Der Beitrag wurde veröffentlicht in: Connection e.V. (Hrsg.): Rundbrief »KDV im Krieg«, Ausgabe Februar 2023

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