Eritrea: Hartes Durchgreifen gegen Familien

Kollektivbestrafung nach Kampagne zur Zwangsrekrutierung

(09.02.2023) (Nairobi) - Die eritreische Regierung hat in den letzten Monaten Verwandte von Tausenden mutmaßlicher Militärdienstentzieher im Rahmen einer umfangreichen Kampagne zur Zwangsrekrutierung bestraft, so Human Rights Watch heute.

Eritreische Sicherheitskräfte sind seit dem Ausbruch des Konflikts in der äthiopischen Region Tigray im November 2020 stark beteiligt an militärischen Aktionen der äthiopischen Regierung und haben dabei während des Konflikts einige der schlimmsten Misshandlungen begangen. Die eritreischen Behörden haben Wellen von Razzien durchgeführt, um Personen zu finden, die sie als Militärdienstentzieher oder Deserteure ansehen. Seit September 2022, als äthiopische und eritreische Streitkräfte gemeinsame Offensiven in der Region Tigray durchführten, hat die eritreische Regierung weitere Repressionsmaßnahmen umgesetzt. Sie bestrafte Familienangehörige von Personen, die sich der Einberufung oder der Rückkehr zum Militär entziehen wollten, um eine über große Gebiete durchgeführte Zwangsmobilisierung auch älterer Männer durchzusetzen. Zu diesen Bestrafungen gehören willkürliche Verhaftungen und die Vertreibung von Familienangehörigen aus ihren Wohnungen und Häusern.

"Die eritreische Regierung, die darum kämpft, ihre schwindenden Reihen aufzufüllen, hat ältere Menschen und Frauen mit kleinen Kindern inhaftiert und aus ihren Häusern vertrieben, um Personen zu finden, die sie für Militärdienstentzieher oder Deserteure hält", sagte Laetitia Bader, stellvertretende Afrika-Direktorin bei Human Rights Watch. "Eritrea muss die kollektive Bestrafung der Angehörigen von Militärdienstentziehern sofort beenden und sich stattdessen darauf konzentrieren, sein rücksichtsloses System des unbefristeten Militärdienstes zu reformieren."

Eritrea verfolgt eine Politik der unbefristet abzuleistenden Wehrpflicht, die seit dem Grenzkrieg mit Äthiopien von 1998 bis 2001 und dessen Nachwirkungen ein zentraler Bestandteil der allgemeinen Unterdrückung der Bevölkerung durch die Regierung ist.

Die gesetzlich vorgesehene Dauer des Nationaldienstes von 18 Monaten wurde auf unbestimmte Zeit verlängert, so dass alle männlichen und weiblichen Erwachsenen unter 40 Jahren verpflichtet sind, auf Anweisung des Staates zu arbeiten, entweder in einer militärischen oder zivilen Funktion. In der Praxis werden auch Erwachsene, die älter als 40 Jahre sind, zum Dienst gezwungen. Trotz des Friedensabkommens, das das Land 2018 mit Äthiopien geschlossen hat, weigert sich die Regierung, dieses repressive System zu reformieren.

Nach der Einberufung zum Militär haben junge Männer und Frauen, von denen einige noch minderjährig sind, nur sehr wenige Möglichkeiten zur Entlassung. Infolgedessen riskieren sie schwere Repressalien, um dem zu entkommen, was eine Untersuchungskommission der Vereinten Nationen als "Versklavung" bezeichnet hat.

Human Rights Watch befragte 14 Personen, die kürzlich aus Eritrea geflohen sind, Angehörige von Personen, die von den Zwangsrekrutierungen und Repressalien betroffen waren, sowie 11 Journalist*innenen und andere Analyst*innen, von denen sich zwei zum Zeitpunkt der Kampagne in Eritrea befanden. Human Rights Watch hat aus Sicherheitsgründen keine Personen befragt, die sich noch in Eritrea aufhielten. Human Rights Watch prüfte auch Satellitenbilder, die wichtige Aspekte der Berichte der Befragten bis Mitte Januar 2023 bestätigten. Im Februar erhielt Human Rights Watch Berichte über die Rückkehr einiger Militäreinheiten, die zum Kampf in den Tigray geschickt worden waren, sowie einiger Reservisten, die sich an der Grenze innerhalb Eritreas aufgehalten hatten.

Die jüngste Einberufungsaktion begann Mitte 2022, wobei die Behörden Personen ins Visier nahmen, die als Militärdienstentzieher gelten, darunter Schüler, die die Schule abgebrochen haben, um sich der Militärausbildung zu entziehen, sowie Deserteure, von denen einige bereits seit Jahren gedient hatten. Mitte September mobilisierte die Regierung dann Reservisten, in erster Linie Männer im Alter von 50 bis 60 Jahren, von denen viele offiziell aus dem aktiven Militärdienst entlassen worden waren, aber weiterhin Waffen tragen und Wachdienste leisten müssen. Am 17. September erklärte der eritreische Informationsminister gegenüber den Medien, dass nur "eine kleine Anzahl" von Reservisten einberufen werde, und bestritt, dass die gesamte Bevölkerung einberufen werde.

Während der jüngsten Mobilisierungskampagne, insbesondere ab September, haben die Sicherheitskräfte überall in städtischen und ländlichen Gebieten Kontrollpunkte eingerichtet. Darüber hinaus sind die Sicherheitskräfte in Zusammenarbeit mit den örtlichen Behörden von Tür zu Tür gegangen, angeblich, um die Berechtigung zum Erhalt von Gutscheinen zu überprüfen, die den Menschen Zugang zu subventionierten Waren gewähren. In Wirklichkeit kamen sie aber auch, um Militärdienstentzieher zu finden. Sie nutzten die Besuche, so die Befragten, um Diskrepanzen zwischen der Anzahl der Familienmitglieder, die laut Coupon-System in einem bestimmten Haus leben sollten, und den dort lebenden Personen im wehrpflichtigen Alter festzustellen. Dabei übten sie oft Rache gegenüber Familienmitgliedern aus, die sie beschuldigten, gesuchte Personen zu verstecken.

Wie Human Rights Watch feststellte, wurden ältere Eltern sowie Frauen mit kleinen Kindern tagelang festgehalten, einige Berichten zufolge auch länger, und während der Durchsuchungen durch die Regierung aus ihren Häusern vertrieben. Eine 71-jährige Frau wurde aus ihrem Haus in der Hauptstadt Asmara vertrieben, weil sie nicht in der Lage war, den Aufenthaltsort eines ihrer Söhne zu nennen, der von den Behörden gesucht wurde.

Ein anderer Sohn, der im Ausland lebt, sagte: „Meine Mutter hat gesundheitliche Probleme, also versuchten die Nachbarn, die Behörden zu bitten, das Haus nicht zu verschließen, nachdem mein erster Bruder sich gestellt hatte. Aber als der zweite nicht kam, schlossen sie das Haus ab.“

Eine im Ausland lebende Eritreerin, deren Verwandte ebenfalls vertrieben wurden, sagte: "Eine Beschlagnahmung von Häusern haben wir noch nie erlebt. Es ist ein Akt der Verzweiflung."

Trotz eines Abkommens über die Einstellung der Feindseligkeiten, das im November zwischen der äthiopischen Bundesregierung und den tigrayischen Behörden unterzeichnet wurde, erhielt Human Rights Watch bis Anfang 2023 weiterhin Berichte über Razzien und Repressalien.

Viele mutmaßliche Militärdienstentzieher, die in der Nähe von Asmara aufgegriffen wurden, wurden zunächst in das berüchtigte, vom Militär geführte Adi Abeito-Gefängnis nordöstlich der Hauptstadt gebracht. Die von Human Rights Watch analysierten Satellitenbilder zeigen große Menschenansammlungen im Gefängnishof und in der Umgebung des Gefängnisses von Oktober 2022 bis Ende Januar 2023. Angehörige berichteten, dass viele Männer in diesem Zeitraum aus dem Gefängnis zum Hauptquartier der ihnen zugewiesenen Militäreinheit gebracht wurden.

Human Rights Watch konnte nicht herausfinden, wohin die Reservisten gebracht wurden, erhielt aber Berichte, dass Dutzende von in Asmara einberufenen Reservisten in die Stadt Tsorona, nahe der Grenze zu Äthiopien, gebracht wurden.

"Jeder hat schon immer mit dem schrecklichen Gefühl gelebt, einberufen zu werden, aber dies ist eine ganz andere Dimension", sagte ein Einwohner von Asmara.

Einige Formen der Einberufung zum Militärdienst sind nach den internationalen Menschenrechtsvorschriften zulässig. Eritrea wendet jedoch gewaltsame Methoden an, darunter die Androhung von Strafen und Bestrafungen für diejenigen, die den Einberufungen nicht folgen, sowie kollektive Bestrafungen von Angehörigen. Die Behörden respektieren auch nicht das Recht auf Kriegsdienstverweigerung und bieten keine Möglichkeit, die willkürliche Durchsetzung und den unbefristeten Charakter der Wehrpflicht anzufechten. Diese Faktoren stellen einen Missbrauch dar, so Human Rights Watch. Internationale Menschenrechtsgesetze verbieten es, jemanden für Handlungen strafrechtlich verantwortlich zu machen, für die er nicht verantwortlich ist.

Internationale und regionale Politiker*innen sollten konkrete Maßnahmen gegen die Führung Eritreas wegen der anhaltenden Unterdrückung ergreifen. Sie sollten dafür sorgen, dass der Menschenrechtsrat der Vereinten Nationen, die Afrikanische Kommission für Menschenrechte und Rechte der Völker sowie UN-Experten das Land ständig überwachen.

Sie sollten gezielte Sanktionen gegen Einzelpersonen und Organisationen, die für schwerwiegende Übergriffe innerhalb Eritreas verantwortlich sind, beschließen und beibehalten. Dies sollte Teil umfassenderer gezielter Sanktionen gegen eritreische und andere Streitkräfte sein, die für schwere Übergriffe in Nordäthiopien verantwortlich sind, und an klare Menschenrechtskriterien geknüpft sein, so Human Rights Watch. Eritreas regionale Partner, einschließlich der Staaten am Horn von Afrika und der Golfstaaten, sollten Druck auf Eritrea ausüben, um sinnvolle Änderungen am missbräuchlichen System des Nationaldienstes zu gewährleisten, das Eritreer*innen weiterhin ins Exil treibt.

"Eritreer*innen aus allen Gesellschaftsschichten sind die Leidtragenden der repressiven Maßnahmen der Regierung", sagte Bader. "Eritreas regionale Partner und internationale Akteure sollten Maßnahmen ergreifen, um die grassierende Repression zu beenden."

Ausführliche Berichte und weitere Informationen im Folgenden.


 

Unbefristet abzuleistende Wehrpflicht und die Rolle Eritreas im Krieg im Tigray

Grundausbildung und Nationaldienst sind für alle Eritreer*innen, Männer und Frauen, im Alter von 18 bis 40 Jahren obligatorisch und werden oft unbefristet geleistet, obwohl das eritreische Gesetz den Militärdienst auf eine Dauer von 18 Monaten begrenzt. Als der Grenzkrieg mit Äthiopien 1998-2001 ausbrach, wurden ehemalige Kämpfer*innen und Reservist*innen, die demobilisiert worden waren, zwangsverpflichtet, und alle Rekrut*innen des Nationaldienstes wurden auf der Grundlage von Notstandsdekreten einbehalten. Seitdem wurde die Wehrpflicht für viele auf unbestimmte Zeit verlängert, so dass viele Eritreer*innen, einige unter 18, andere über 40, jahrelang, manche sogar jahrzehntelang, zur Ableistung des Militärdienstes gezwungen wurden.

Die unbefristet abzuleistende Wehrpflicht beginnt für viele Eritreer*innen bereits im letzten Jahr ihrer Schulzeit. Aus früheren Berichten von Human Rights Watch geht hervor, dass die eritreische Regierung jedes Jahr Tausende von jungen Menschen zwangsweise zum Militärdienst einzieht, noch bevor sie ihre Schulausbildung abgeschlossen haben. Einige der Schüler*innen sind noch Kinder, was einen Verstoß gegen internationale Standards darstellt. Von hier aus werden die Menschen entweder direkt zum Militärdienst oder später zum Nationaldienst geschickt.

Die UN-Untersuchungskommission für Menschenrechte in Eritrea stellte fest, dass "Sklaverei-ähnliche" Praktiken im Rahmen des Nationaldienstsystems an der Tagesordnung sind. Human Rights Watch hat dokumentiert, dass Eritreer*innen während ihrer langen Wehrpflicht, insbesondere beim Militär, systematischen Misshandlungen ausgesetzt sind, darunter Folter, harte Arbeitsbedingungen und eine Bezahlung, die nicht ausreicht, um eine Familie zu ernähren, was illegale Zwangsarbeit darstellt.

Menschenrechtsorganisationen haben wiederholt dokumentiert, dass Eritreer*innen, die versuchen, sich der Wehrpflicht zu entziehen, unter anderem indem sie die Schule abbrechen, von einer Militärstation oder aus dem Land fliehen, Bestrafungen und insbesondere willkürliche Inhaftierungen riskieren. In einem Bericht von 2009 dokumentierte Human Rights Watch, dass Familien von Militärdienstentziehern kollektiv bestraft werden, indem sie in der Regel ins Gefängnis kommen oder Geldstrafen zahlen müssen.

Kriegsdienstverweigerung ist verboten, und nur in seltenen Fällen werden Menschen mit einer Behinderung ausgemustert oder aus gesundheitlichen Gründen vorübergehend zurückgestellt, was jedoch nicht systematisch angewendet wird.

Seit dem Ausbruch des Krieges in Äthiopiens nördlicher Region Tigray im November 2020 hat die eritreische Regierung Wellen von Razzien durchgeführt, die sich parallel zu den Ereignissen in Tigray intensivierten.

Eritreische Streitkräfte hielten sich während der fünfmonatigen humanitären Waffenruhe der äthiopischen Bundesregierung in Teilen von Tigray auf, darunter auch in West-Tigray, bis die Kämpfe im August 2022 wieder ausbrachen. Medienberichten zufolge beschuldigten die tigrayischen Behörden Eritrea Ende September einer massiven Offensive.

In Tigray haben die eritreischen Streitkräfte in großem Umfang Massaker, Plünderungen und schlimmste Formen sexueller Gewalt begangen und zivile Infrastrukturen angegriffen. Sie töteten und vergewaltigten auch eritreische Flüchtlinge und zerstörten zwei eritreische Flüchtlingslager in Tigray.

Im Anschluss an ein am 2. November 2022 in Südafrika unterzeichnetes Abkommen über die Einstellung der Feindseligkeiten zwischen der äthiopischen Bundesregierung und den Behörden von Tigray unterzeichneten die Parteien am 12. November in Nairobi, Kenia, eine weitere Erklärung, in der festgelegt wurde, dass die Übergabe der schweren Waffen der tigrayischen Streitkräfte in Verbindung mit dem Abzug der ausländischen und nicht-äthiopischen Streitkräfte aus der Region erfolgen würde. Mitte Januar 2023 berichteten die Medien über den Rückzug der eritreischen Streitkräfte aus wichtigen Städten in Zentral-Tigray, insbesondere aus der Stadt Shire. Es gibt jedoch weiterhin Berichte über die Präsenz eritreischer Streitkräfte in Tigray und über anhaltende Misshandlungen durch eritreische Streitkräfte.

Die Europäische Union verhängte im März 2021 Sanktionen gegen die nationale Sicherheitsbehörde Eritreas, die von Generalmajor Abraha Kassa geleitet wird, wegen schwerer Menschenrechtsverletzungen in Eritrea, darunter Tötungen, willkürliche Verhaftungen, Verschwindenlassen und Folter. Im September 2022 verlängerte US-Präsident Joe Biden die Sanktionen gegen eritreische Regierungsvertreter*innen wegen schwerer Menschenrechtsverletzungen in Tigray um ein Jahr.

Kollektive Bestrafung von Familienangehörigen von Militärdienstentzieher*innen und Deserteur*innen

Die Regierung hat Menschen aller Altersgruppen eingeschüchtert und schikaniert, damit sie Angehörige ausliefern, nach denen gesucht wird.

Angehörige berichteten, dass die Regierung die Häuser von Eltern mutmaßlicher Militärdienstentzieher beschlagnahmt und sie aus ihren Wohnungen vertrieben hat. Dadurch sind ältere Menschen und Frauen mit Kindern ohne Dach über dem Kopf.

"Mein Onkel wurde aus seinem Haus vertrieben", sagte eine Frau, deren etwa 80-jähriger Onkel im September von den Behörden aus seinem Haus vertrieben wurde. Sie hatten nach seiner Tochter gesucht. "Er lebt jetzt auf der Straße. Er ist obdachlos."

Eine 71-jährige Frau mit chronischen Gesundheitsproblemen wurde im Oktober aus ihrem Haus [in Asmara] vertrieben, als man einen ihrer Söhne nicht ausfindig machen konnte. Sie war gezwungen, in einem unverschlossenen Gebäude im Freien Schutz zu suchen.

Die Behörden haben die Häuser verschlossen und Zettel an die Tür gehängt.

Mehrere Personen berichteten, dass die örtlichen Behörden gelegentlich andere Personen bedrohten, wenn sie Personen beherbergten, die zuvor aus ihren Häusern vertrieben wurden. "Es gibt eine Anweisung, dass niemand denjenigen Obdach gewähren darf, deren Wohnung verschlossen wurde", sagte ein Mann, dessen Mutter aus ihrer Wohnung vertrieben wurde. "Diese Anordnung wurde von den örtlichen Behörden herausgegeben.“

Anfang Dezember wurde eine 37-jährige Frau von örtlichen Beamten und Militärangehörigen aus ihrem Haus vertrieben. Es wurde nach ihrer Tochter gefahndet, die sich geweigert hatte, dem Einberufungsbefehl Folge zu leisten. Ein Verwandter sagte: „Als sie zu uns nach Hause kamen, bedrohten sie sie und meine Familie. Sie war nicht einmal in der Lage, eine Nacht zu bleiben. Das waren die örtlichen Beamten. Sie beobachten uns. Man kann zu niemandem nach Hause gehen, das ist wie ein Verbrechen. Sie lebt auf der Straße. Unsere Verwandten schicken ihr Essen dorthin, aber jetzt haben die Behörden ihr gesagt, dass sie nicht auf der Straße bleiben kann. Sie haben ihr gedroht, sie ins Gefängnis zu schicken, wenn sie ihre Tochter nicht hinschickt.“

Die Behörden haben auch willkürlich Angehörige von Militärdienstentziehern in formellen und informellen Einrichtungen inhaftiert, darunter auch ältere Menschen und Menschen mit gesundheitlichen Problemen.

Anfang September wurde ein 78-jähriger Mann drei Tage lang in einer Dorfschule festgehalten, weil die Behörden auf der Suche nach einem seiner Söhne waren. "Meine Eltern und mein Neffe wurden vor die Wahl gestellt, entweder das Haus abzuschließen oder meinen Vater zu verhaften", sagte ein anderer Sohn. "Es gab keine Warnung." Keinem der Verwandten wurde während der Haft Zugang zu ihm gewährt.

Es gibt keine Einschränkung, wie viele Mitglieder einer Familie eingezogen werden können. Ein 80-jähriger Mann mit Diabetes wurde Anfang Dezember inhaftiert, weil er den jüngsten seiner sechs Söhne nicht mitgebracht hatte. Seine fünf älteren Söhne waren bereits eingezogen worden.

Andere Formen der Bestrafung

Die Behörden haben auch die Lebensgrundlagen und das Einkommen der Menschen ins Visier genommen. Human Rights Watch hat Berichte erhalten, wonach die Regierungstruppen in ländlichen Gemeinden Vieh beschlagnahmt und die Menschen an der Ernte gehindert haben, um sie dazu zu bringen, sich zu stellen. Das geschah insbesondere in den ersten Wochen der Kampagne in Süd-Eritrea. Medienberichten zufolge haben lokale Verwaltungen auch Rationsgutscheine von Familien einbehalten, deren Mitglieder den Einberufungen nicht gefolgt sind. Zwei Personen berichteten, dass die Geschäfte ihrer Verwandten geschlossen wurden, um sie dafür zu bestrafen, dass sie ihre Angehörigen nicht ausgeliefert haben, die gesucht wurden.

Auswirkungen auf die Familien

Die Menschen beschrieben Human Rights Watch die erheblichen Auswirkungen der kollektiven Bestrafung. "Es herrscht große Angst in der Gemeinschaft, viele Menschen aus allen Gesellschaftsschichten sind untergetaucht", sagte ein Einwohner von Asmara.

"Wir wissen nicht, ob sie [die Behörden] dies nur tun, um die Menschen zu terrorisieren", sagte eine Frau, deren Angehörige von der Einberufungskampagne betroffen sind. "Sie hatten sie [Kinder und ältere Menschen] in Ruhe gelassen, aber jetzt versuchen sie alles, um Druck auf sie auszuüben.

Eine Frau, deren Angehörige aus ihrem Haus in Asmara vertrieben wurden, sagte: „Die Menschen haben Angst, man kann seinen Verwandten nicht helfen. Deshalb geben die Menschen auf, sie geben ihre Kinder, sie geben ihre Ehemänner auf, weil man sich nicht weiter wehren kann.“

Mehrere andere Personen sagten, dass sie und ihre Angehörigen immer noch bereit sind, den Preis für den Schutz ihrer Angehörigen zu zahlen. Ein älterer Mann, der drei Tage lang festgehalten wurde, nachdem er sich geweigert hatte, seinen Sohn auszuliefern, erkrankte nach dieser Festnahme mehrere Wochen lang, aber die Familie bleibt entschlossen: "Mein Bruder ist immer noch untergetaucht, aber wir alle unterstützen seine Entscheidung", sagte der Bruder, der im Exil lebt.

Verschärfte Zwangsrekrutierung seit Mitte 2022

Die Zwangsrekrutierung durch die Regierung hat sich im Sommer intensiviert. Human Rights Watch liegen Berichte vor, wonach die Zwangsrekrutierung im Juli 2022 in ländlichen Gebieten, vor allem in der südlichen Region um die Stadt Seghenyti, begann, bevor sie Mitte September bis Anfang 2023 in größeren Städten wie Asmara intensiviert wurde.

Mitte September 2022 begann die Regierung außerdem mit der erneuten Einberufung von Reservisten, die älter als 50 Jahre sind. Die Sicherheitskräfte richteten Kontrollpunkte ein, um zu überprüfen, ob Personen von der Wehrpflicht befreit waren, und führten gemeinsam mit der lokalen Verwaltung Hausdurchsuchungen in den Stadtvierteln durch.

Die lokalen Behörden verfolgen die Personen über ein Familiencouponsystem, das festlegt, wie viele Personen zu einem Haushalt gehören, und bei dem alle Familienmitglieder anwesend sein oder ihre Abwesenheit begründen müssen, um den Coupon einer Familie zu erneuern. Dieses System hat eine zentrale Rolle bei der Identifizierung mutmaßlicher Militärdienstentzieher bei Hausdurchsuchungen gespielt. "Dies geschieht buchstäblich in jedem Viertel in Asmara", sagte ein Bewohner. "Jeder Haushalt, der ein Mitglied hat, das eingezogen werden könnte, wurde besucht.“

Auch aus religiösen Einrichtungen wurden Menschen herausgeholt. Zuverlässige Quellen berichteten, dass die Sicherheitskräfte am 4. September junge Menschen festnahmen, die an einer Messe in einer römisch-katholischen Kirche in Akrur im Süden des Landes teilnahmen. Human Rights Watch analysierte Bilder, die seit Anfang September im Internet veröffentlicht wurden und offenbar Uniformierte zeigen, die junge Männer und Frauen vor der römisch-katholischen Kirche Medhane-Alem in der Nähe von Akrur, südöstlich von Asmara, zusammengetrieben haben. Bei der Analyse konnten die auf den Bildern gezeigten Orte verifiziert werden.

Im Oktober wurden drei römisch-katholische Priester bei verschiedenen Vorfällen festgenommen, darunter der Bischof von Segheneity, Fikremariam Hagos Tsalim, der zum Frieden in Tigray aufgerufen hatte. Die drei wurden bis zu ihrer Freilassung im Dezember rechtswidrig festgehalten.

Medienberichten zufolge verlangten die Behörden von denjenigen, die zuvor vom Militärdienst befreit waren, neue medizinische Untersuchungen. Human Rights Watch erhielt jedoch Berichte über Menschen mit chronischen Gesundheitsproblemen und Behinderungen, einschließlich Verletzungen, die sie während des Grenzkriegs 1998-2000 erlitten hatten, die bei der jüngsten Aktion zusammengetrieben und zum Militärdienst geschickt wurden.

Die Einberufungskampagne wird bis Anfang 2023 fortgesetzt, fast drei Monate nach der Unterzeichnung der Einstellung der Feindseligkeiten in Tigray.

Inhaftierungsorte

Nach Angaben von Angehörigen und Beobachter*innen wurden viele der in Asmara aufgegriffenen Personen, die als wehrpflichtig galten, zunächst in das berüchtigte Adi Abeito-Gefängnis am nordöstlichen Stadtrand der Hauptstadt gebracht und dann in verschiedene Militärhauptquartiere und andere Lager weitergeschickt. Menschenrechtsgruppen und Medien haben bereits früher unmenschliche und entwürdigende Bedingungen und Behandlungen in Adi Abeito dokumentiert. Im Jahr 2021 veröffentlichte der in den USA ansässige Public Broadcasting Service (PBS) einen Dokumentarfilm mit durchgesickertem Filmmaterial, das vermutlich aus der Einrichtung stammte und zeigte, wie Gefangene in einer Lagerhalle übereinander liegen und sich nicht ausstrecken können. Der Bericht zeigte, dass dort regelmäßig gefoltert wurde.

Human Rights Watch untersuchte Dutzende von Satellitenbildern, die zwischen September 2022 und Januar 2023 über die drei verschiedenen Gefängniskomplexe aufgenommen wurden, die in der PBS-Dokumentation genannt werden. Human Rights Watch bestätigte unabhängig die Standorte der in den Videos gezeigten Lager.

Human Rights Watch stellte fest, dass die Zahl der Menschen in einem der Innenhöfe des Adi Abeito-Gefängnisses ab Ende Oktober 2022 erheblich anstieg. Dieser Anstieg war am 23. Januar 2023 immer noch sichtbar. Der Innenhof scheint deutlich überfüllt zu sein. Im selben Zeitraum sind auf den Satellitenbildern auch Menschen zu sehen, die sich in organisierten Gruppen auf dem Gefängnisgelände versammeln.

Auf den Satellitenbildern von Anfang Januar ist eine Zunahme der Menschen im angrenzenden Hof zu erkennen, der von PBS als das Gelände des Frauengefängnisses identifiziert wurde.

In einem anderen Innenhof des Gefängnisses, der in der PBS-Dokumentation als der Bereich identifiziert wurde, in dem Gefangene misshandelt und gefoltert werden, beobachtete Human Rights Watch auf Satellitenbildern seit Mitte November 2022, dass einige Bereiche des Innenhofs mit Planen abgedeckt sind. Human Rights Watch war nicht in der Lage festzustellen, ob sich die Zahl der Menschen in diesem Bereich erhöht hat.

Obwohl es schwierig ist, zu bestätigen, wohin die zusammengetriebenen und einberufenen Personen gebracht wurden, berichteten mehrere Personen, dass Reservisten aus Asmara in Richtung der Grenze zu Äthiopien in die Nähe von Tsorona gebracht wurden, während einige der Personen im wehrpflichtigen Alter zunächst zu ihren Einheiten gebracht wurden.

Ein Mann sagte, einer seiner beiden Brüder habe sich der Einberufung entzogen und sich gestellt: „Der Einberufungsbescheid kam vor genau einem Monat. Mein ältester Bruder hat sich vor 16 Tagen [Mitte Oktober] bei der örtlichen Verwaltung seines Ortes gemeldet. Er blieb 10 Tage lang im Gefängnis von Adi Abeito. Danach wurde er zum Stützpunkt seiner Militäreinheit gebracht.“

Zwei Befragte sagten, dass die Reservisten, die bei den ersten Razzien an die Grenze geschickt wurden, aufgefordert wurden, ihre eigene Verpflegung mitzubringen und bei ihrer Ankunft nur sehr wenig vorfanden.

Die BBC berichtete, dass einige Reservisten an die Front geschickt wurden. Videos, die in regionalen Medien in Tigray auftauchten, zeigten angeblich inhaftierte Kriegsgefangene in Tigray, die als eritreische Soldaten beschrieben wurden und von denen viele ältere Männer waren.

Human Rights Watch: Eritrea: Crackdown on Draft Evaders’ Families, Collective Punishment Over Forced Conscription Campaign, 9. Februar 2023. https://www.hrw.org/news/2023/02/09/eritrea-crackdown-draft-evaders-families. Der Beitrag wurde veröffentlicht in: Connection e.V. (Hrsg.): Rundbrief »KDV im Krieg«, Ausgabe April 2023

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