Auch im bewaffneten Konflikt ist die Kriegsdienstverweigerung anzuerkennen
(02.03.2023) In meinem Vortrag möchte ich kurz die geltenden internationalen Standards und die Rechtsprechung in Bezug auf die Kriegsdienstverweigerung sowie die aktuellen Trends in Bezug auf die Achtung und Verletzung dieses Rechts skizzieren. Es gibt zwölf einvernehmliche Resolutionen, die von der Menschenrechtskommission der Vereinten Nationen und auch vom UN-Menschenrechtsrat in Genf angenommen wurden. In allen wird das Recht eines jeden anerkannt, aus Gewissensgründen den Militärdienst zu verweigern, als legitime Ausübung des Rechts auf Gedanken-, Gewissens- und Religionsfreiheit, wie es in Artikel 18 der Allgemeinen Menschenrechtserklärung und auch in Artikel 18 des Internationalen Paktes über bürgerliche und politische Rechte niedergelegt ist. Obwohl der Pakt nicht ausdrücklich auf ein Recht auf Verweigerung des Militärdienstes aus Gewissensgründen als separates Recht verweist, hat der Menschenrechtsausschuss empfohlen, dass ein solches Recht aus Artikel 18 abgeleitet werden könne, da die Verpflichtung zur Anwendung tödlicher Gewalt in ernsthaftem Konflikt mit der Gewissensfreiheit und auch dem Recht, seine Religion oder Weltanschauung zu bekunden, stehen könnte.
Und wenn wir uns die jüngsten Stellungnahmen des Menschenrechtsausschusses zu individuellen Eingaben ansehen, so hat er bekräftigt, dass das Recht auf Gedanken-, Gewissens- und Religionsfreiheit das Recht auf Kriegsdienstverweigerung umfasst. Und es gibt jeder Person das Recht, von der einem zwangsweise abzuleistenden Militärdienst befreit zu werden, wenn dieser nicht mit ihrer Religion oder ihren Überzeugungen vereinbar ist. Der Ausschuss betonte auch, dass dieses Recht nicht durch Zwang beeinträchtigt werden darf. Und er erinnerte daran, dass sein grundlegender Charakter darin zum Ausdruck kommt, dass Artikel 18 Absatz 1 des Paktes auch in Zeiten des öffentlichen Notstands nicht außer Kraft gesetzt werden kann. Und in diesem Zusammenhang, der für die heutige Diskussion sehr relevant ist, wurden die Rechte von Kriegsdienstverweigerern auch anerkannt, wenn ein Land für einen bewaffneten Konflikt mobilisiert. Und ich möchte auch betonen, dass die Beirut-Erklärung und das Toolkit #Faith4Rights betonen, dass Artikel 18 des Paktes keinerlei Einschränkungen der Religions-, Gedanken- und Gewissensfreiheit zulässt, die nach den internationalen Menschenrechtsgesetzen absolut geschützt sind, und dass sie alle ethischen Werte umfassen, die ein Mensch schätzt, ob sie religiöser Natur sind oder nicht. Dies ist also sehr wichtig im Hinblick auf das Recht und die Nichtdiskriminierung, wobei in diesem Zusammenhang auch der Aspekt der Jugend zu berücksichtigen ist.
Ich möchte einen Punkt aufgreifen, der von meinen Vorredner*innen bereits angesprochen wurde, nämlich den Anspruch auf den Flücht-
lingsstatus und das Asylverfahren. Auch hier haben wir eine Orientierung durch die Vereinten Nationen. Der Menschenrechtsrat hat mehrere Resolutionen verabschiedet, in denen er die Staaten ermutigt, vorbehaltlich der Umstände des Einzelfalls, die anderen Anforderungen der Flüchtlingsdefinition zu erfüllen, aber auch in Erwägung zu ziehen, Kriegsdienstver-
weigerern Asyl zu gewähren, die eine begründete Furcht vor Verfolgung in ihrem Herkunftsland haben, und zwar wegen ihrer Weigerung, den Militärdienst zu leisten. Und auch hier bieten die vor zehn Jahren verabschiedeten UNHCR-Richtlinien zum internationalen Schutz Nr. 10 nützliche Anhaltspunkte, auch für Anträge, wenn jemand bereits das Herkunftsland verlassen hat, dann aber begründete Furcht vor Verfolgung haben könnte. Entsprechendes steht auch im Bericht des Büros des Hochkommissars für Menschenrechte im Mai 2022.
Der Bericht hat nützliche Hinweise gegeben, genau genommen 18 Punkte, wie die nationalen Gesetze, Politiken und Praktiken zur Kriegsdienstverweigerung gestaltet werden sollten. Aus Zeitgründen möchte ich nur einen Punkt hervorheben: Diejenigen, die Kriegsdienstverweigerer unterstützen oder das Recht auf Kriegsdienstverweigerung fördern, sollten dies im Rahmen ihrer Meinungsfreiheit tun können. Und in diesem Zusammenhang möchte ich abschließend auf eine Pressemitteilung von drei UN-Sonderberichten vom 11. März 2022 hinweisen sowie auf die abschließenden Beobachtungen des Menschenrechtsausschusses zur Russischen Föderation vom November 2022, in denen tiefe Besorgnis über die im März 2022 vorgenommenen Änderungen bei der Strafverfolgung zum Ausdruck gebracht und die Aufhebung aller Gesetze gefordert wird, die die Meinungsfreiheit unangemessen einschränken. Vielen Dank.
Michael Wiener, Human Rights officer, Office of the United Nations High Commissioner for Human Rights. Beitrag auf dem Hearing des Subcommittee on Human Rights des Europäischen Parlaments "Conscientious Objection as a human right and in particular, Russian conscientious objectors". Abschrift und Bearbeitung: rf. 2. Februar 2023. Der Beitrag wurde veröffentlicht in: Connection e.V. (Hrsg.): Rundbrief »KDV im Krieg«, Ausgabe April 2023
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