"Mein Freund wurde einberufen und ist im Krieg gefallen"

Interview mit Nikita R. aus Russland

Nikita R. aus Russland wollte im Ausland arbeiten und ging dafür nach Polen. Sein Visum erhielt er kurz vor Kriegsbeginn. Nach Ablauf des Visums kam er nach Berlin und beantragte Asyl.

Zum Interview mit seiner Rechtsanwältin Christiane Meusel

Wie hast Du den Kriegsbeginn erlebt?

Einen Monat vor Kriegsbeginn lebte ich in Sotschi. Ich bekam ein Angebot für eine Arbeitsstelle in Polen. Das fand ich gut. Ich wollte was Neues erleben, Erfahrungen im Ausland machen. Mit der Einladung konnte ich ein Visum beantragen. Das habe ich vier Tage vor Kriegsbeginn bekommen. So konnte ich nach Polen reisen, so lange das noch ging.

Ich hätte mir nie vorstellen können, dass es einen Krieg gibt. Ja, es gab schon Spannungen, aber ich kann überhaupt nicht begreifen, was da in Russland und der Ukraine passiert. Ich habe immer gedacht, dass es Brüdervölker sind. Ich selbst habe auch Verwandte in der Ukraine. Und so war mir klar, dass ich nicht am Krieg teilnehmen wollte und will.

Warst Du beim Militär?

Ja, ich studierte, habe aber im 3. Semester eine Auszeit genommen. Daraufhin wurde ich zum Militärdienst einberufen. Ich habe ein Jahr Dienst geleistet und wurde für die Flugabwehr ausgebildet.

Wann hast Du die Einberufung erhalten?

Ich war zu der Zeit in Polen. Der Einberufungsbefehl wurde meinen Großeltern zugestellt. Da heißt es: „Aufgrund des russischen Gesetzes über Wehrpflicht und Wehrdienst werden Sie zum Militärdienst einberufen und sind verpflichtet am 17.8.2022 gegen 10 Uhr zum  Militärkommissariat zu kommen.“ Ich wollte das zuerst nicht glauben. Ich dachte, vielleicht ist das eine Verwechslung. Und dann habe ich Angst gekriegt, vor der Zukunft, vor einer möglichen Abschiebung. Ich verstand, dass ich auf keinen Fall zurück gehen kann.

Was wäre beim Militär passiert?

Wenn ich zum Militärkommissariat gegangen wäre, hätten sie mich gemustert, aber das ist nur eine Formsache. Dann hätte ich den Marschbefehl für eine Ausbildungseinheit erhalten. Es heißt, das dauere drei Monate, aber es ist kürzer. Und dann wäre ich an die Front gekommen.

Die deutschen Behörden wollen dich nach Polen abschieben, weil das Land für den Asylantrag zuständig sei. Was befürchtest Du?

Ich hatte einen Freund, Viktor, mit dem ich zusammen gedient habe. Er war auch in Polen und hat dort Asyl beantragt. Sein Asylantrag wurde abgelehnt. Er musste nach Russland zurückkehren, wurde einberufen und ist dann im Krieg gefallen. Es tut mir sehr weh, dass ich meinen guten Freund verloren habe.

Was wünschst Du Dir?

Ich bin bedrückt von der ganzen Situation, weil die Zukunft so unklar ist. Ich habe den Wunsch, dass der Krieg schnell beendet ist. Ich hoffe, dass die deutschen Behörden auf meiner Seite stehen. Ich würde gerne arbeiten und hätte gern die Sicherheit, dass ich hier bleiben kann.

Das Interview führten Rudi Friedrich und Marah Frech von Connection e.V. Erschienen in der Beilage zur Wochenzeitung Freitag am 27. April 2023

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