RAin Christiane Meusel. Foto: Max Sher

RAin Christiane Meusel. Foto: Max Sher

"Mein Mandant ist nur durch das Kirchenasyl geschützt"

Russischer Kriegsdienstverweigerer im Asylverfahren

Rechtsanwältin Christiane Meusel ist in Berlin tätig und vertritt den russischen Kriegsdienstverweigerer Nikita R. in seinem Asylverfahren

Wie sind Sie mit Nikita R. in Kontakt gekommen?

Aufgrund meiner eigenen Biografie hatte ich viele Kontakte zu Russisch sprechenden Menschen. Ich hatte schon in der Schule Russisch gelernt und war recht vertraut mit ihrer Kultur. Als der Krieg gegen die Ukraine begann und sich so viele Menschen um ukrainische Flüchtlinge kümmerten, habe ich meine Visitenkarten bei russischen Geschäftsleuten verteilt. Ich bot ihnen an, sie zu vertreten, falls sie als Zivilpersonen angegriffen werden würden oder es Schmierereien an ihren Geschäften gäbe.

Ein halbes Jahr später rief mich der Stiefvater von Nikita an. Er sagte, „Sie haben doch mal eine Visitenkarte bei uns hinterlassen. Jetzt haben wir ein Problem, aber ein völlig anderes. Der Sohn meiner Frau hat einen Einberufungsbefehl erhalten. Was kann er tun? Soll er wieder zurückgehen?“

„Auf keinen Fall“, antwortete ich sehr aus dem Bauch heraus. „Kommen Sie bitte zu mir. Lassen Sie uns gemeinsam überlegen.“

Zu dem Zeitpunkt wusste ich noch nicht wirklich, was am Besten getan werden könnte. Ich habe sofort an Asyl gedacht. Aber ich bin als Rechtsanwältin nicht auf Asylrecht spezialisiert. Ich rief daher einige Kollegen an, aber die wollten den Fall nicht übernehmen, weil Fälle im Dublin-III-Verfahren aussichtslos seien. Und so war mir klar, dass ich diesen Fall übernehmen werde.

Wie ist seine rechtliche Situation einzuschätzen?

Nikita hat dann einen Asylantrag gestellt und wir gingen gemeinsam zu der ersten Anhörung im Bundesamt für Migration und Flüchtlinge. Da er zuvor in Polen gearbeitet hatte und von Polen aus zu seinen Eltern nach Berlin gereist war, teilte uns das Bundesamt mit, dass bereits ein Übernahmeersuchen an Polen gestellt wurde. Dies sei auch bewilligt worden.

Um das zu verstehen, ist es wichtig, das Asylverfahren zu verstehen. In einem ersten Schritt wird bei den Asylantragstellern nämlich geprüft, wie sie nach Deutschland eingereist sind. Und wenn sie über ein anderes Land eingereist sind oder ein anderes westeuropäisches Land ein Visum erteilt hatte, ist dieses Land für das Asylverfahren zuständig. Das ist Teil der Dublin-III-Verordnung. Das Bundesamt ist daher sofort davon ausgegangen, dass Polen für den Asylantrag von Nikita zuständig ist, ohne die Gefährdung zu prüfen.

Wenig später erhielt ich den Bescheid des Bundesamtes, in dem genau dies festgestellt wird: „Der Zugang zu einem funktionierenden Asylverfahren und adäquater Versorgung ist in Polen für reguläre Antragsteller wie auch für Dublin-Rückkehrer gewährleistet. Der Antragsteller konnte in seinem Vortrag nicht substantiiert darlegen, inwiefern ihm in Polen eine individuelle Gefahr droht. Bezüglich der genannten Verwandten des Antragstellers greift in diesem Fall der Familienschutz nicht.“

Ich habe daraufhin einen Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz eingereicht. Es gab den Hinweis von der Helsinki-Stiftung Polen, dass es in so einem Fall wie bei Nikita in Polen erforderlich sein kann, „nachzuweisen, dass die Einheit zu der er einberufen wurde, Kriegsverbrechen begeht.“ Wie hätte er das nachweisen sollen? Und die Helsinki-Stiftung wies auch darauf hin, dass nur wenige in Polen als Flüchtlinge anerkannt werden. Das deckte sich ja mit der Aussage von Nikita, dass sein Freund im Asylverfahren abgelehnt wurde und nach Russland zurückkehren musste. Es gab auch noch verschiedene Berichte über systemische Mängel im Asylverfahren in Polen.

Und wie ging es dann weiter?

Als nächstes entschied das Verwaltungsgericht Berlin über meinen Antrag. Und dieser Bescheid kam ausgerechnet am Gründonnerstag, also dem letzten Arbeitstag vor Ostern. Mein Antrag wurde abgelehnt. Damit konnte Nikita sofort nach Polen abgeschoben werden. Eine brenzlige Situation. Denn das kann bedeuten, dass eine Kettenabschiebung nach Russland möglich ist.

Ich hatte daher schon frühzeitig nach alternativen Möglichkeiten gesucht. Und in der Tat konnte ich eine Kirchengemeinde finden, die ihn sofort nach dem Beschluss des Verwaltungsgerichtes Berlin aufgenommen hat. Nur durch das Kirchenasyl ist Nikita vor einer Abschiebung geschützt. Im Zweifel muss dies so lange bestehen, wie ein Abschiebung nach Polen möglich ist. Erst in einem halben Jahr wäre die Gefahr vorüber.

Was ist Ihre Motivation?

In meiner Zeit in der Friedensbewegung der DDR habe ich gelernt: Stell Dir vor, es ist Krieg und keiner geht hin. Und ausgehend von dieser Idee finde ich es politisch völlig indiskutabel, wenn von zwei Kriegsparteien die ukrainischen Flüchtlinge von Dublin III als einzige befreit sind. Von der Regelung ausgenommen werden aber nicht die, die mit dafür sorgen, dass dieser Krieg aufhört: die Soldaten, die nicht mitmachen. Die beiden Gruppen müssen gleichgestellt werden. Ich versuche Putin das Personal zu entziehen. Das ist mein Beitrag für den Weltfrieden.

Das Interview führten Rudi Friedrich und Marah Frech von Connection e.V. Veröffentlicht in der Beilage der Wochenzeitung „der Freitag“ und der graswurzelrevolution, 27. April 2023

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