Übergabe der Unterschriften. Rudi Friedrich links

Übergabe der Unterschriften. Rudi Friedrich links

Heute übergeben wir fast 50.000 Unterschriften an die Europäische Kommission

Redebeitrag von Rudi Friedrich, Connection e.V., zum Internationalen Tag der Kriegsdienstverweigerung 2023

(15.05.2023) Liebe Freundinnen und Freunde,

lasst uns hier und heute ein deutliches Zeichen setzen, um den Krieg zu stoppen, um den Frieden vorzubereiten.

Seit über einem Jahr wird nun in der Ukraine Krieg geführt. Zehntausende Menschen sind im Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine bereits ermordet worden. Überall in der Ukraine bringen russische Raketen Tod und Zerstörung.

Beide Kriegsparteien setzen auf einen sogenannten Sieg. Das ist Massenmord mit ungewissem Ausgang, denn Kriege verlaufen selten wie geplant. Man spricht von Abnutzungskrieg. Abgenutzt werden dabei Menschen, Tag für Tag. Jeder Kriegstag erhöht die Gefahr der Ausweitung und Eskalation des Kriegs. Statt Kriegsrhetorik brauchen wir Diplomatie. Staaten und internationale Organisationen müssen verhandeln, um den Krieg schnellstmöglich zu beenden!

Unabhängig davon muss die Kriegsmaschinerie behindert und gestoppt werden: durch Verweigerung und durch Widerstand von unten.

Zehntausende in Russland, Belarus und der Ukraine nehmen das ganz wörtlich. Sie wollen sich nicht am Krieg beteiligen, wo auch immer. Sie desertieren, verweigern den Dienst, verweigern die Befehle oder entziehen sich der Rekrutierung. Mit ihrer Verweigerung sagen sie auch: Stoppt den Krieg sofort!

Ich bin Rudi Friedrich von Connection e.V. Seit Beginn des Krieges fragten Hunderte bei uns um Unterstützung an, aus Russland, aus Belarus, aus der Ukraine. Sie wollen wissen, wie sie angesichts der Rekrutierungen in ihren Ländern das Land verlassen können. Andere schafften es, in angrenzende Länder zu fliehen und suchen nach Möglichkeiten, ein Visum für Westeuropa zu erhalten. Einige wenige riefen auch aus Deutschland oder angrenzenden Ländern an. Sie hatten es geschafft, ein Visum zu bekommen oder auf anderen Wegen Deutschland zu erreichen. Sie fragen uns: Können wir hier bleiben? Bekommen wir den notwendigen Schutz?

Ein Blick auf die Ukraine: Die Ukraine hat das Recht auf Kriegsdienstverweigerung ausgesetzt. Mehrere Kriegsdienstverweigerer wurden zu mehrjährigen Haftstrafen verurteilt. Unserer Schätzung nach sind mehr als 170.000 in die Europäische Union gekommen. Hier erhalten sie zumindest befristet einen humanitären Aufenthalt. Das schützt sie vorläufig vor Abschiebung und Verfolgung. Aber langfristig werden sie vor der Frage stehen, wie sie sich einer Verfolgung wegen ihrer Verweigerung entziehen können.

Wir sagen: Das Menschenrecht auf Kriegsdienstverweigerung ist ein unveräußerliches Recht. Es muss gerade auch in Kriegszeiten gelten, für jeden und jede, für Männer wie für Frauen, für Rekruten wie für Soldaten und Reservisten. Es ist zwingend notwendig, dass die Europäische Union dies auch gegenüber der Ukraine vertritt. Und solange ukrainische Verweigerer zu Haftstrafen verurteilt oder an die Front gebracht werden, müssen sie Schutz erhalten.

Ein Blick auf Russland und Belarus: Wir gehen davon aus, dass mehr als 150.000 Russland und 22.000 Belarus verlassen haben, um nicht am Krieg teilnehmen zu müssen, um nicht rekrutiert zu werden. Und nur wenige Tausend schafften es in die Europäische Union. Für die Verweigerer ist es in der Tat schwieriger geworden, Westeuropa zu erreichen und Asyl zu erhalten. Für uns ist klar: Kriegsdienstverweigerer und Deserteure brauchen unsere Unterstützung!

In unserer eigenen Geschichte, hier in Deutschland, wurden Menschen, die sich dem verbrecherischen Krieg des Faschismus‘ verweigerten, die sich dem Befehl zum Töten widersetzten, als „Kameradenschweine“ und „Vaterlandsverräter“ gebrandmarkt. Im II. Weltkrieg sind in Deutschland etwa 30.000 Soldaten desertiert, 20.000 davon wurden hingerichtet. Die Überlebenden mussten über Jahrzehnte darum kämpfen, dass diese Urteile aufgehoben wurden, dass ihre Tat gewürdigt wurde.

Und heute? Angesichts eines völkerrechtswidrigen Krieges Russlands gegen die Ukraine müssten die Deserteure und Verweigerer aus Russland doch willkommen sein. Deutsche Politiker und Politikerinnen haben dies auch mehrfach betont. Aber die ersten Entscheidungen in Asylverfahren zeigen, dass die Asylanträge der Verweigerer abgelehnt werden. Dort heißt es: Es sei nicht „beachtlich wahrscheinlich“, dass sie für den Krieg rekrutiert werden. Erneut wird ihre Tat in Zweifel gezogen. Das ist ein Skandal. Ihre Desertion, ihre Verweigerung muss als Asylgrund anerkannt werden!

Um all diese Menschen zu unterstützen, haben wir von Connection e.V. schon frühzeitig ein Netzwerk auf europäischer Ebene aufgebaut. Und gemeinsam mit mehr als 100 Gruppen aus Europa starteten wir die #ObjectWarCampaign. Heute übergeben wir fast 50.000 Unterschriften an die Europäische Kommission, um zu sagen: Kriegsdienstverweigerer und Deserteure aus Russland, Belarus und der Ukraine brauchen Schutz und Asyl!

Rudi Friedrich, Connection e.V.: Redebeitrag am 15. Mai 2023 in Berlin