Protest vor der russischen Botschaft in Tel Aviv am 15. Mai 2023

Protest vor der russischen Botschaft in Tel Aviv am 15. Mai 2023

Israel: Feministisches Beratungsnetzwerk New Profile

(06.09.2023) Mein Name ist Or und ich bin seit 4 Jahren Koordinatorin des Beratungsnetzwerks von New Profile. New Profile ist eine feministische antimilitaristische Bewegung, die seit 1998 in Israel aktiv ist. Ich schreibe dies als Teil der #ObjectWarCampaign, denn hier in Israel ist die Situation dieser Geflüchteten noch schlimmer als in europäischen Ländern: In Israel werden sie nicht nur nicht als Kriegsflüchtlinge anerkannt, sondern zwangsweise zum israelischen Militär eingezogen, um an der andauernden Besetzung Palästinas und den aggressiven "Militäroperationen" in Gaza teilzunehmen.

Für diejenigen, die uns noch nicht kennen – New Profile ist eine feministische, antimilitaristische Organisation, die vor über 25 Jahren als Basisbewegung gegründet wurde. Unsere Bewegung setzt sich aus Menschen aller Altersgruppen zusammen und arbeitet in einer nicht-hierarchischen Struktur. In der Praxis bedeutet dies, dass alle wichtigen Entscheidungen, die die Organisation und unsere Arbeit betreffen, kollektiv und in vollem Konsens getroffen werden, dass niemand der Chef von andere ist und dass der Standpunkt eines jeden gleich wichtig ist. Im Laufe der Jahre haben wir verschiedene Systeme geschaffen, um sicherzustellen, dass unsere Arbeit ständig voranschreitet und wir ein freundliches, politisches und solidarisches Arbeitsumfeld haben. Indem wir die Struktur unserer Bewegung nicht hierarchisch gestalten, stellen wir sicher, dass unsere Politik sowohl innerhalb als auch außerhalb der Organisation praktiziert wird und stellen die verschiedenen Machtstrukturen ständig in Frage.

Im Laufe der Jahre haben wir uns weiterhin bemüht, junge Menschen zu ermutigen, sich an unserem Kampf zu beteiligen. Gleichzeitig konnten wir die Beteiligung langjähriger Aktivist*innen aufrechterhalten, die seit vielen Jahren an der Bewegung beteiligt sind und über viel wertvolles Wissen und Erfahrung verfügen. Bei den jungen Menschen, die jedes Jahr zu uns kommen, handelt es sich meist um Personen, die wir im Laufe der Jahre in unserem Beratungsnetzwerk unterstützt haben. Viele von ihnen finden in New Profile eine politische und aktivistische Heimat. Die Tatsache, dass sowohl langjährige und erfahrene Aktivist*innen als auch neue Leute zusammen denken und arbeiten, bietet uns viele Möglichkeiten. Wir bemühen uns ständig, uns auf verschiedenen Social-Media-Plattformen zu engagieren, um die jüngeren Generationen zu erreichen. Wir veröffentlichen Informationen über die fortschreitende Militarisierung des zivilen Lebens in Israel, wir teilen unsere Analysen und Ansichten über die Besetzung palästinensischer Gebiete und Leben, die Zunahme von Waffen im öffentlichen Raum, die Zunahme von militärischer und polizeilicher Gewalt, feministische Themen, Waffenverkäufe an Länder, die die Menschenrechte verletzen, und Kritik am israelischen Militär und den negativen Auswirkungen, die es nicht nur auf Palästinenser, sondern auch auf Israelis und insbesondere auf junge Menschen hat, die zwangsrekrutiert werden, sowie an der Propaganda der Armee auf Social-Media-Plattformen wie TikTok, Instagram und dergleichen.

Eines unserer wichtigsten Projekte ist das Beratungsnetz. Dieses Netzwerk wird von Koordinatoren und Freiwilligen von New Profile betrieben und bietet jedes Jahr mehr als 1.000 Menschen Hilfe an. Wir helfen Menschen, die sich entscheiden, sich dem Militärdienst zu entziehen oder ihn zu unterbrechen. Dieser ist in Israel für jede*n über 18 Jahren obligatorisch, unabhängig vom Geschlecht. Wir helfen jeder Person, die uns um Hilfe bittet, unabhängig von Geschlecht, Religion, politischer Einstellung oder sozioökonomischen Status. Wir glauben, dass jeder Akt der Verweigerung, an einem unterdrückerischen System teilzunehmen, ein politischer und wichtiger Akt ist. Da das Gesetz für Menschen ab 18 Jahren gilt und der Rekrutierungsprozess im Alter von 15 Jahren beginnt, unterstützen wir Menschen im Alter von 15 bis 42 Jahren (da für einige militärische Berufe auch der Reservedienst vorgeschrieben ist), auch wenn die meisten noch jung sind (um die 18 Jahre) und es sehr schwer haben, mit einem so unflexiblen, starren und bürokratischen System umzugehen.

Ich kenne New Profile nun schon seit vielen Jahren. Ich hatte das Glück, von der Bewegung unterstützt zu werden, als ich selbst den Dienst verweigerte und lange Zeit ohne die Unterstützung meiner Familie und Freund*innen inhaftiert war. Die Tätigkeit als Koordinatorin des Beratungsnetzwerks ist wirklich eine der sinnvollsten Aufgaben, die ich je hatte. Auch unsere Klient*innen sind uns und unserer Arbeit sehr dankbar. Das hilft uns weiterzumachen. Die Gewissheit, dass diese Menschen nicht im Namen einer faschistischen Besatzung töten oder getötet werden, gibt mir Hoffnung, besonders in diesen schwierigen Zeiten im Land. Seit Antritt der derzeitigen Regierung engagieren sich mehr Jugendliche in der Politik und mehr Menschen entscheiden sich dafür, unter dieser Regierung nicht in die Armee einzutreten.

Das was seit Mai 2022 passiert, beschäftigt mich und meine Arbeit sehr. Geflüchtete aus der Ukraine und Russland, die wegen des Krieges aus ihren Ländern geflohen und hierhergekommen sind um Schutz zu finden, wurden und werden in die israelische Armee eingezogen. Nach dem israelischen Rekrutierungsgesetz müssen sie dafür nicht einmal Staatsbürger*innen sein, sondern lediglich Einwohner*innen. Das sind Menschen, die um ihr Leben gerannt sind, Menschen, die wegen ihrer politischen Ansichten in ihrem Land verfolgt wurden, Menschen, die ihre Familien und Freunde verlassen haben, um nicht kämpfen zu müssen, und die nach ihrer Ankunft in Israel für ein anderes Land kämpfen müssen.

Wir alle wissen um den langen und blutigen Krieg in der Ukraine. Wahrscheinlich haben die meisten von uns schon Geflüchtete kennengelernt, deren Häuser und Schulen zerstört wurden, Menschen, die ihre Familien und Freunde verloren haben. Diese Situation setzt sie unter großen Stress. Diese Menschen hätten sich nie vorstellen können, dass sie zum Militärdienst verpflichtet werden würden – und zwar zu einem Militär, das sich in einem ständigen Kriegszustand befindet und für die Aufrechterhaltung einer Besatzung verantwortlich ist. Sie sind mit dem Militärsystem nicht vertraut und wissen nicht, was sie tun müssen, um vom Dienst befreit zu werden. Die meisten von ihnen sprechen weder Hebräisch noch Englisch. Die Frauen sind schockiert, dass die israelische Armee Frauen einberuft, eine Praxis, die auf der ganzen Welt äußerst selten ist. Wenn man bedenkt, wie schwer es für Israelis ist, sich aus dem Dienst zu befreien, kann man sich vorstellen, wie viel schwieriger es für jemanden ist, der nicht hier aufgewachsen ist, die Sprache nicht spricht, keine medizinischen Papiere hat, weil er aus seinem Land fliehen musste, und der das hiesige Militärsystem und die Möglichkeiten der Befreiung gar nicht kennt. Noch schwieriger ist es für Geflüchtete, die aufgrund des Krieges in ihrem Heimatland unter Posttraumatischer Belastungsstörung (PTBS) leiden.

Deshalb glauben wir, dass die #ObjectWarCampaign und die Aufforderung an die Europäischen Union, Kriegsdienstverweigerer*innen und Deserteur*innen aus Russland, Belarus und der Ukraine, die in den aktuellen Krieg in der Region verwickelt sind, Schutz und Asyl zu gewähren, äußerst wichtig sind.

Wir möchten Sie auch um Ihre Hilfe bitten, um sicherzustellen, dass wir weiterhin russischen und ukrainischen Geflüchteten helfen können, ihr Recht auf Asyl zu erfüllen und der Einberufung in die israelische Armee zu entgehen. Als radikale Bewegung, die in einem faschistischen Land tätig ist, ist es für uns oft schwierig, Mittel zu beschaffen, um unsere Arbeit fortzusetzen. Daher sind wir für jede Spende äußerst dankbar!

Spenden werden gerne per Paypal angenommen: https://paypal.me/NewProfile98

New Profile: Feminist Counseling Network New Profile. 6. September 2023. Übersetzung ins Deutsche von Connection e.V. Der Beitrag wurde veröffentlicht in: Connection e.V. (Hrsg.): Rundbrief »KDV im Krieg«, Ausgabe September 2023.

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