News der Bewegung für Kriegsdienstverweigerung Russland, August 2023

Strafrechtliche Verfolgung bei Umgehung der Militärdienstpflicht während der Mobilmachung

Der Abgeordnete des russischen Parlaments und Vorsitzende des Verteidigungsausschusses, Andrej Kartapolow, kündigte eine strafrechtliche Verfolgung bei Umgehung der Militärdienstpflicht während der Mobilmachung oder in Kriegszeiten an. Nach dem Gesetz können derzeit nur Militärdienstpflichtige die sich dem Militärdienst entziehen, strafrechtlich verurteilt werden. Das Nichterscheinen beim Militär während der laufenden Mobilmachung ist dagegen nicht strafbar. Aus diesem Grund empfehlen Menschenrechtsaktivist*innen den Bürger*innen, einfach nicht zum Militärbüro zu gehen – diese Methode ist nach wie vor wirksam, wenn sich Militärdienstpflichtige der Mobilisierung für den Krieg entziehen wollen.

Es ist bemerkenswert, dass der Gesetzentwurf zur strafrechtlichen Verfolgung nicht ins Parlament eingebracht wurde. Es wird behauptet, dass der Gesetzesentwurf in der Kommission für gesetzgeberische Aktivitäten der russischen Regierung entwickelt wurde. Ob wir diesen Gesetzentwurf in Zukunft sehen werden, kann nur vermutet werden. Wenn er eingeführt würde, bedeutete dies die Wiederaufnahme der Einberufungsaktivitäten, um Bürger*innen in den Krieg in der Ukraine zu schicken.

MCO für den Friedensnobelpreis nominiert

Das Internationale Friedensbüro (IPB) hat drei Organisationen, die Deserteur*innen und Kriegsdienstverweiger*innen helfen, für den Friedensnobelpreis nominiert. Dabei handelt es sich um die belarussische Organisation Nash Dom („Unser Haus“), die russische Bewegung für Kriegsdienstverweigerung und die ukrainische Pazifistische Bewegung. In dem Bericht heißt es, die drei Organisationen hätten bei ihren Bemühungen um Frieden, Kriegsdienstverweigerung und Menschenrechte beispielloses Geschick und Engagement bewiesen, insbesondere seit dem Beginn des russischen Krieges gegen die Ukraine am 24. Februar 2022, und dies trotz der beträchtlichen Stigmatisierung, mit die Organisationen seither konfrontiert seien. Gemäß der Satzung der Nobel-Stiftung haben auch Personen, denen der Friedensnobelpreis verliehen wurde, das Recht, Kandidat*innen für den Friedensnobelpreis vorzuschlagen. Das Internationale Friedensbüro erhielt seine Auszeichnung 1910 für die Organisation von Abrüstungskonferenzen.

Razzien gegen Migrant*innen mit dem Ziel, sie in den Krieg zu schicken, sind in Russland häufiger geworden

Rechtlich gesehen geht die Mobilisierung in Russland weiter, aber seit dem Jahr 2023 wenden die russischen Behörden eine andere Taktik an: Sie setzen auf die freiwillige Unterzeichnung eines Vertrags mit dem Verteidigungsministerium. Dem können Versprechungen von hohen Gehältern und anderen Entschädigungen vorausgehen (das durchschnittliche Gehalt von Vertragssoldat*innen im Krieg beträgt 2.000 Euro pro Monat), oder einfach Drohungen mit nicht-existierenden strafrechtlichen Bestimmungen.

Die Rechtsvorschriften für Ausländer*innen, die nach Russland kommen, wurden ebenfalls geändert. Ausländer*inndn, die sich für mindestens ein Jahr zum Militärdienst verpflichten, haben das Recht, die russische Staatsbürgerschaft auf vereinfachte Weise zu erwerben. Gleiches Recht gilt für Familienangehörige. Militärbüros rekrutieren mit Hilfe von Polizeibeamt*innen Ausländer*innen für den Militärdienst. Migrant*innen werden überfallen oder zusammengetrieben und oft unter Anwendung von Gewalt zum Militärbüro gebracht. Sie werden fast gezwungen, einen Vertrag zu unterschreiben. Es wurde mitgeteilt, dass interne Institutionen des russischen Staates Dokumente zur Erlangung der russischen Staatsbürgerschaft nicht akzeptieren, wenn keine Bescheinigung des Militärbüros vorliegt. Aus dieser müsse hervorgehen, dass die Person einen Vertrag mit dem Verteidigungsministerium unterzeichnet hat. Betroffene werden häufig hinsichtlich der Konsequenzen der Unterzeichnung eines solches Vertrags getäuscht. Gemäß dem aktuellen Erlass des Präsidenten der Russischen Föderation kann ein Vertrag nur mit Erreichen eines Alters von 65 bis 70 Jahren, bei einem äußerst schweren Gesundheitszustand oder bei Inkrafttreten einer gerichtlichen Verurteilung zu einer Freiheitsstrafe gekündigt werden.

MCO fordert die Abschaffung der Militärdienstpflicht in der russischen Armee

Wir appellieren weiterhin an die russischen Behörden und fordern sie auf, den Militärdienst in der russischen Armee abzuschaffen. Im August haben wir dafür eine Petition auf change.org gestartet, die bereits 30.000 Mal unterzeichnet wurde. Ja, wir verstehen, dass der Erfolg solcher Petitionen unter Kriegsbedingungen minimal ist. Als Menschenrechtsverteidiger*innen müssen wir uns dennoch unerreichbare Ziele setzen. Außerdem müssen wir betonen, dass die moderne Einberufung zur Armee nicht normal ist und nichts anderes darstellt, als einen einjährigen „Übergang“ unter der totalen Kontrolle des Staates. Nach Kriegsbeginn haben sich die Gefahren für Militärdienstpflichtige in der Armee verzehnfacht. Es gibt Anzeichen dafür, dass sich auch Militärdienstpflichtige am Krieg in der Ukraine beteiligen. Deshalb müssen wir öffentlich sagen, dass eine Armee aus Zwangsverpflichteten archaisch ist und ein Fehler, der abgeschafft werden muss.

Militärämter haben keine Zeit für die Einrichtung eines elektronischen Registers

Die Militärämter sind mit den Befugnissen, die sie im Zeitraum April bis August 2023 erhalten haben, überfordert. Ihnen fehlt insbesondere die Zeit, ein elektronisches Militärregister einzuführen, das die Suche nach Militärdienstpflichtigen und die Einführung von Beschränkungen, einschließlich eines Ausreiseverbots, vereinfachen würde.

Der Plan des sieht eigentlich vor, das elektronische Register am 1. Januar 2024 teilweise in Betrieb zu nehmen. Der Leiter des Ministeriums für digitale Entwicklung, Maksut Shadayev, erklärte jedoch, dass dies bereits ab dem 1. Oktober 2023 funktionieren würde. Jetzt wissen wir, dass diese Aussage falsch war.

Das russische Parlament hatte im Juli gesonderte Änderungen verabschiedet, die es den Militärbehörden auch ohne ein funktionierendes elektronisches Register ermöglichen, Militärdienstpflichtige mit wirtschaftlichen Beschränkungen zu belegen oder ihnen die Ausreise zu verbieten. Eine Bestätigung einer Vorladung über die Notwendigkeit des Erscheinens beim Militäramt reicht aus, um Militärdienstpflichtige mit den entsprechenden Beschränkungen zu belegen.

Artyom Klyga: News der Bewegung für Kriegsdienstverweigerung Russland, Juli 2023. Versendet per E-Mail am 15. Oktober 2023. Aus dem Englischen übersetzt von Marah Frech.

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