Artem Klyga in Berlin, 9.12.2023. Foto: Connection e.V.

Artem Klyga in Berlin, 9.12.2023. Foto: Connection e.V.

Russland: “Wenn wir die retten, die sich weigern zu kämpfen, rückt das Ende des Krieges näher”

von Artem Klyga, Bewegung für Kriegsdienstverweigerung Russland

(09.12.2023) Hallo! Mein Name ist Artem Klyga. Ich bin Anwalt für Militärrecht und arbeite derzeit für die Bewegung der Kriegsdienstverweigerung Russland. Wir unterstützen militärdienstpflichtige und mobilisierte Personen in Russland dabei, frei zu bleiben und nicht in den Krieg geschickt zu werden. Seit 2022 sind unsere Aktivitäten besonders wichtig geworden.

Herzlichen Dank für Eure Teilnahme. Es ist schön, so viele Gleichgesinnte bei unserem heutigen Treffen zu sehen. Ich weiß es zu schätzen, dass ich heute an einem so historischen Ort sprechen darf.

Zunächst möchte ich eine Tatsache festhalten. Deutschland bietet Politiker*innen, politischen Aktivist*innen und gemeinnützigen Organisationen aus Russland eine enorme Unterstützung. Wenn es Deutschland nicht gäbe, würden wir uns heute wahrscheinlich nicht begegnen. Die meisten Kriegsdienstverweigerer mit politischem Hintergrund konnten in Deutschland Asyl oder ein humanitäres Visum erhalten, so dass sie ihre Aktivitäten in Sicherheit fortsetzen können. Dafür danke ich sehr.

Zweitens möchte ich den Bürgern Deutschlands und den deutschen Organisationen meinen Dank aussprechen, die Kriegsdienstverweiger*innen helfen. Ihre Unterstützung hilft uns, Informationen über die aktuelle Situation in Russland an europäische Parlamentarier*innen und Beamte weiterzugeben. Dies ist angesichts der in Russland laufenden Mobilisierung für den Krieg besonders wichtig. Mit Eurer Hilfe können wir in den Dialog mit den Entscheidungsträger*innen treten. Dafür danken wir sehr.

Drittens, wissen Sie, erscheint es mir sehr seltsam, weil ich Dinge aussprechen muss, die doch so klar auf der Hand liegen. Ich bin wütend, dass wir uns im Jahr 2023 immer noch gegen die Befürworter einer totalen Militarisierung wehren müssen, die aus irgendeinem Grund glauben, das Leben und die Freiheiten anderer Menschen diktieren zu können. Ich bin wütend darüber, dass es im Jahr 2023 in vielen europäischen Ländern immer noch eine Militärdienstpflicht gibt und bei einer Verweigerung verwaltungsrechtliche oder strafrechtliche Sanktionen drohen. Ich bin wütend, dass aufgrund des Krieges all das, was die Befürworter*innen der Militarisierung vorschlagen und womit sie bei ihren Wähler*innen Angst schüren, besonders laut ist. Ich bin wütend, dass die Befürworter*innen von Frieden und Pazifismus nur als Hintergrundgeräusch wahrgenommen werden.

Der Krieg wird fortgesetzt. In diesen Krieg sind zahlreiche europäische Länder verwickelt, deren Regierungen zunehmend zu Maßnahmen der Einschüchterung und Militarisierung greifen. Wir hören immer öfter, dass es notwendig sei, die Wehrpflicht zu haben, die Dienstzeit im Militär zu verlängern und dass Länder militärischen Blöcken und Koalitionen beitreten. Unter diesen Bedingungen wird es unglaublich schwierig, über Kriegsdienstverweigerung, über Frieden und Pazifismus zu sprechen.

Aber ich bitte Euch dringend darum, dem zu widerstehen. Ich fordere Euch auf: Lass uns unsere Stimme so laut wie möglich erheben, wenn versucht wird, un seine Militarisierung aufzuzwingen. Jeder moderne Staat kann eine Berufsarmee schaffen, deren Angehörige sich freiwillig dazu entschieden haben, einen Vertrag zu unterezeichnen. Wir sehen, dass in den meisten entwickelten Ländern, auch in Deutschland, die Militärdienstpflicht abgeschafft wurde. Junge Männer sind heute nicht mehr aufgrund der Entscheidung einiger Leute im Verteidigungsministerium dazu gezwungen, ihr Leben der Armee zu geben.

Leider haben nicht alle Länder die Probleme mit der Militärdienstpflicht gelöst. In Griechenland kann man mit einer Geldstrafe von bis zu 6.000 Euro belegt werden; in Finnland kann ein Kriegsdienstverweigerer bis zu sechs Monate unter Hausarrest gestellt werden; in der Türkei haben Militärdienstpflichtige keine Möglichkeit, den Militärdienst zu verweigern. In Russland wird die Situation von Jahr zu Jahr schlimmer. Die Möglichkeiten eines zivilen Ersatzdienstes sind stark eingeschränkt. Außerdem ändert sich die Gesetzgebung so schnell, dass Menschenrechtsaktivist*innen bereits im Jahr 2024 mit einer neuen Mobilisierung rechnen.

In solch einer Situation gibt es keine andere Lösung, als bei der Ausreise an einen sicheren Ort zu helfen. Deshalb arbeiten wir mit Organisationen in Deutschland und dem Auswärtigen Amt daran, einen Mechanismus für die Gewährung von Asyl für russische Kriegsdienstverweigerer zu schaffen. Wir müssen diejenigen unterstützen, die nicht am Krieg teilnehmen wollen. Für diese Menschen gibt es keine Wahl: Eine Rückkehr nach Russland bedeutet nur, dass sie mit einer Gefängnisstrafe von bis zu sieben Jahren rechnen müssen.

Ich bitte Sie, unsere Aktivitäten zu unterstützen, und insbesondere unsere Aktivitäten in Deutschland zu unterstützen. Wenn wir die Soldat*innen retten, die sich weigern zu kämpfen, rückt das Ende des Krieges näher. Das Ende des Krieges wird es uns ermöglichen, die Militarisierung zu stoppen. Und die Beendigung der Militarisierung ist ein wichtiger Schritt zur Abschaffung der Militärdienstpflicht in den europäischen Ländern und zur Stärkung der Stimme der Pazifist*innen und Kriegsdienstverweiger*innen. Auf diese Weise können wir unsere Ziele erreichen.

Herzlichen Dank

Redebeitrag von Artem Klyga, Bewegung der Kriegsdienstverweigerung Russland, am 9. Dezember 2023 in Berlin. Eine Aktion im Rahmen der Aktionswoche für Schutz und Asyl für Kriegsdienstverweiger*innen und Deserteur*innen aus Russland, Belarus und der Ukraine.

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