Russland: Zwei Lager, zwei Verweigerer und drei Geschichten

Aus der Arbeit der Bewegung für Kriegsdienstverweigerung (MCO) 2022

(11.11.2023) Zu Beginn des Jahres 2022 veröffentlichten wir eine Erklärung als Reaktion auf den Ausbruch des Krieges in der Ukraine. Auch ist es uns gelungen eine Anzahl erfolgreicher öffentlicher Kampagnen zu starten. Die erste, im Juli 2022, als es Informationen gab über die Errichtung eines Lagers für Kriegsdienstverweigerer im Dorf Bryanka, in der ukrainischen Region Lugansk.

Die Soldaten Anträge, dass sie sich weigern, an der „Spezialoperation“ teilzunehmen. Aber anstatt sie zurück in ihre Kasernen zu schicken, wurden sie gezwungen ihre Anträge zurückzunehmen und weiter am Angriff teilzunehmen. Als bekannt wurde, dass man sie unter unmenschlichen Bedingungen festhält, haben wir eine öffentliche Kampagne für die Schließung des Lagers durchgeführt. Wir riefen auf unserem Telegram-Kanal dazu auf, Beschwerden einzureichen und sie an das Büro der Militärstaatsanwaltschaft zu senden. Nach zwei Wochen aktiver öffentlicher Kampagne wurde das Lager geschlossen. Wir betrachten das als einen unserer bemerkenswerten Erfolge.

Ein ähnliches Lager wurde im November 2022 bekannt, im Dorf Zaitsevo, in der Region Donezk der Ukraine. Diesmal waren es ungefähr 300 neu Rekrutierte. Sie wurden von ihren Kommandeuren mit Gewalt behandelt, es gab keine Kommunikation mit ihnen. Wir starteten wieder eine öffentliche Kampagne, baten Unterstützer*innen, Beschwerden an das Büro der Militärstaatsanwaltschaft zu senden und stellten dafür Musterbriefe zur Verfügung. Zwei Wochen später, wie im Fall Bryanka, wurde das Lager geschlossen. Wir betrachten auch dies als Indikator für unsere erfolgreiche Arbeit.

Zwei Verweigerer

Zwei weitere erfolgreiche öffentliche Kampagnen betrafen zwei mobilisierte Verweigerer. Der erste ist Kirill Berezin. Er erklärte öffentlich, dass er nicht bereit ist, am Krieg teilzunehmen und beantragte die Ableistung eines Alternativen Dienstes. Kirill ist Waise und seine Großmutter ist von ihm abhängig. Am 24. September 2022 wurde er zum Militärdienst einberufen. Das Militärkommissariat weigerte sich, seinen Antrag zu berücksichtigen. Trotz Verspottung und Drohungen gelang es ihm am 5. Oktober, als er bereits in der Militäreinheit war, den Antrag auf Alternativdienst abzugeben. Ein naher Freund von Kirill zeichnete eine Botschaft von ihm auf, für Kirill Unterstützungsschreiben an das Büro der Militärstaatsanwaltschaft zu senden. Das war nicht erfolgreich. Das Gericht erkannte seine Kriegsdienstverweigerung nicht an, aber Dank der Beschwerden und der öffentlichen Resonanz wurde er nicht an die Front geschickt und leistet jetzt Dienst in der Russischen Föderation.

Ein weiterer Kriegsdienstverweigerer, Mikhail Ashichev, war der erste, dem es in Russland gelang, seinen Besuch im Einberufungszentrum auf Video aufzunehmen. Dort lehnte man seinen Antrag auf Ableistung eines Alternativen Diensts ab, dafür gebe es „keine Rechtsgrundlage“ – und überwies den Fall zur Weiterverfolgung an die Polizei. Mikhail legte Widerspruch gegen die Entscheidung der Einberufungsstelle ein und begründete ihn. Er fragte nach einer Begründung und warum sein Fall bei der Polizei landete, und ob das nicht rechtswidrig sei. Nach mehreren erfolglosen Versuchen ihn einzuberufen und ihn für die Ukraine zu mobilisieren, akzeptierte die Einberufungsstelle seine Haltung und ließ ihn gehen. Wir machten diese Geschichte öffentlich und forderten unsere AbonnentInnen auf, das von Mikhail aufgezeichnete Video zu teilen und weiterzuverbreiten.

Schließlich drei Geschichten

Wir möchten drei wichtige Geschichten teilen, nicht nur über die Kriegsdienstverweigerung von Männern, sondern auch über den Mut und die Entschlossenheit von Frauen, die bereit sind, für ihre Partner zu kämpfen, sich gegen alle Widrigkeiten für ihre Rechte einzusetzen und sie lebend nach Hause zu bringen.

Ekaterinas Ehemann, Vladimir Shevtsov, wurde am 26. September mobilisiert, zu einer Sammelstelle geschickt, und dann ohne ärztliche Untersuchung nach Sevastopol gebracht. Die Frau kontaktierte MCO und suchte Rat. Durch gemeinsame Anstrengung gelang es, Vladimir dazu zu bringen, einen Antrag an die Kommission für Alternativdienst zu stellen. Der Druck seiner Vorgesetzten war immens und seine Kameraden beschuldigten ihn, ein „Verräter“ zu sein. Aber Vladimir widerstand dem und zog seinen Antrag nicht zurück. Schließlich konnte er am 7. Januar 2023 in seine Heimatstadt zurückkehren und ist nun Fahrer in einer Militäreinheit.

Aiguls Ehemann, Ruslan Shayakhmetov, erhielt am 27. September seine Einberufung an der Arbeitsstelle. Am nächsten Tag gingen sie gemeinsam zum militärischen Registrierungs- und Einberufungsbüro. Aigul berichtete, dass ihr Ehemann unverzüglich in die Kaserne geschickt wurde, ohne ärztliche Untersuchung, obwohl er an einer chronischen Krankheit leidet, die zu einer Ausnahme vom Militärdienst führen müsste. Sie wandte sich an Organisationen zur Verteidigung der Menschenrechte: MCO, „Ruf des Gewissens“ und „HRC Memorial“. Es wurden auch sofort Rechtsanwälte in den Fall eingeschaltet und mit Vollmachten versehen, die dann Anträge auf Alternativdienst stellten. Aigul schrieb Erklärungen an verschiedene Behörden und richtete ein Gesuch an das Gericht. Ruslan wurde in die Kampfzone geschickt, dort weigerte er sich, Waffen anzunehmen. Dank Aiguls Anstrengungen konnte ihr Ehemann nach Hause zurückkehren und wartet nun auf eine ärztliche Untersuchung.

Zu Beginn der Mobilisierung, im September 2022, versuchte Nastya ihren Freund Misha davon zu überzeugen, nicht zur militärischen Registrierungsstelle zu gehen, um sich für die Mobilisierung einzuschreiben. Sie stellte eigenständig Unterlagen für einen Antrag auf Alternativdienst für ihn zusammen und sandte sie ab. Aber unter Druck seiner Verwandten entschied sich Mikhail zur Einberufungsstelle zu gehen - und wurde von dort zur Militäreinheit geschickt. Nastya wandte sich völlig verzweifelt an MCO, dachte, dass das nicht wahr sein könne. Aber: Wer fragt, dem wird geholfen.

MCO begann sofort Geld zu sammeln, damit Nastya zur Militäreinheit fahren konnte. Ein paar Tage später war das Geld zusammen. Wir bereiteten mit ihr zusammen die notwendigen Unterlagen vor. Nun musste nur noch Mikhail davon überzeugt werden, für seine Rechte einzustehen und sie durchzukämpfen. Zu diesem Zeitpunkt sah er keine Hoffnung, er war nahe einer Depression. Nastya gelang es mit Mikhail umsorgend und einfühlsam zu sprechen, erklärte ihm den Ablauf des Verfahrens und gab ihm die vorbereiteten Unterlagen. Dann kehrte Mikhail zu seiner Einheit zurück und stellte am darauffolgenden Tag den Antrag. Gleichzeitig schickte Nastya die Unterlagen per Einschreiben an den Kommandeur der Einheit. Dieser lud Mikhail zu einem Gespräch, was damit endete, dass er ihn aus der Einberufungsliste strich. Am Abend war er wieder zuhause.

Für diese Geschichte, mit einem Happy End, brauchte es Nastyas Überzeugung und ihren Wunsch, Misha zu retten. Damit das gelingen konnte, brauchte Nastya konstant psychische und rechtliche Unterstützung von MCO.

Wir sind immer glücklich, wenn Geschichten gut enden und sind bereit zu helfen und alles in unserer Macht Stehende zu tun. Wir wollen, dass es so viele Kriegsdienstverweigerer wie nur möglich gibt. Die Leute müssen lernen ihre Rechte als zivile Bürger auszuüben und verstehen, dass sie sich verteidigen können. Es ist sehr schwer jemanden aus dem Krieg herauszuholen; es ist einfacher es zu verhindern, dass es dazu kommt.

Movement for Conscientious Objectors (MCO), Russia, Annual Report 2022, 11.11.23. Auszug übersetzt aus dem Englischen: fn

Stichworte:    ⇒ Kriegsdienstverweigerung   ⇒ Russland