Protestaktion in Sheikh Jarrah, Foto: Timo Vogt

Protestaktion in Sheikh Jarrah, Foto: Timo Vogt

Israel: "Vielleicht ist das die einzige Art, wie man die Besatzung beenden kann."

Interview mit dem Verweigerer Yitzchak Ben Mocha

Yitzchak Ben Mocha (25) studiert an der Universität Tel Aviv, Israel, Philosphie und Zoologie. Während seines dreijährigen Militärdienstes in der israelischen Armee (IDF) diente er von Ende 2002 bis Ende 2005 als Kampfsoldat bei den „Sayeret Zahnkhanim“, einer Eliteeinheit der Fallschirmspringer. In dieser Zeit war er an zahlreichen IDF-Aktionen in der gesamten Westbank beteiligt. Am 09. Januar 2009 sprach Endy Hagen mit ihm. (d. Red.) 

Was waren Deine Gründe, jetzt den Einsatz in Gaza zu verweigern?

Yitzchak Ben Mocha„Es war nicht das erste Mal, dass ich verweigert habe, und ich habe auch jetzt nicht speziell den Einsatz in Gaza verweigert. Ich bin mit achtzehn Jahre in eine spezielle Kampfeinheit der Armee eingetreten und habe wie alle anderen meinen dreijährigen Wehrdienst komplett absolviert. Aber es war schwer. Ich habe eine Menge Dinge gesehen … Es war für mich sehr schwer, meine dreijährige Dienstzeit zu Ende zu bringen, aber irgendwie habe ich es geschafft.

Schon im Laufe dieser drei Jahre habe ich beschlossen, nicht beim Reservedienst mitzumachen. Aber ich bin kein Pazifist. Ich glaube, manchmal ist es notwendig, Gewalt anzuwenden, um sich selbst zu verteidigen. Ich meine nicht, dass das der bessere oder der einzige Weg ist, aber manchmal ist es notwendig. 

Gab es einen bestimmtes Ereignis, dass Dich veranlasst hat zu verweigern?

Da sind eine Menge kleiner Dinge zusammengekommen. Z.B., was während der Besatzung mit den Soldaten passiert. Wie sie langsam vergessen, was gut und was schlecht ist, z.B. wenn sie Palästinenser schlagen. Ich kann das nicht verallgemeinern, natürlich hängt das auch vom einzelnen Soldaten ab. Es gab Soldaten, die sich moralisch, und Soldaten, die sich unmoralisch verhalten haben, denen es Spaß machte, bei der Suche nach Waffen gleich die ganze Wohnung zu zertrümmern. Ich habe gesehen, wie von der Armee systematisch Praktiken angewendet werden, die vom israelischen obersten Gerichtshof als illegal erklärt wurden; d.h. bestimmte Dinge wurden auf Befehl von niedrig- und hochrangigen Offizieren hin getan – obwohl diese wussten, dass ihre Befehle nach israelischem Recht illegal sind. Z.B. wenn sie jemanden festnehmen und aus seinem Haus holen wollen, rufen die Soldaten, ehe sie das Gebäude betreten, erst einen anderen Palästinenser, z.B. einen Nachbarn, damit er nach dem Betreffenden sucht. Dabei riskiert der Nachbar sein Leben. Es kann ja ein Terrorist in dem Haus sein oder irgendjemand, der anfängt zu schießen. Deshalb schicken die Soldaten erst mal einen Zivilisten vor. Manchmal machen sie das auch mit Kindern, Frauen und alten Leuten.

Was ich nie gesehen, aber nachträglich von Kameraden in meiner Einheit gehört habe, ist, dass die Soldaten eine Zeit lang, wenn sie durch eine schmale Gasse gehen mussten, Zivilisten gezwungen haben, als menschliches Schutzschild vorauszugehen. Das ist schon merkwürdig, dass ich in dieser Einheit war, solch einen Vorfall aber nie miterlebt habe. Es passiert genau neben Dir, aber Du kriegst es nicht mit.

Es gab viele solche Dinge. Aber das Wesentlichste ist wohl, dass ich schon immer, schon bevor ich zur Armee ging, dachte, dass die Besatzung falsch sei. Aber vorher dachte ich, dass unsere politische Führung eine diplomatische Lösung finden wird und bis wir Frieden haben, müssen wir eben in der Armee dienen. Das ist eben so in einer Demokratie und wir wollen ihre Regeln nicht brechen. Langsam begriff ich dann, dass das gar nicht der Realität entsprach. Die Leute innerhalb und außerhalb der Armee sind nicht wirklich bereit zu begreifen, dass die Besatzung falsch ist und beendet werden muss. Es scheint daher, als würde die Besatzung nie enden, wenn nicht jemand ganz klar „Nein“ sagt.

Wie hat die Armee auf Deine Verweigerung reagiert?

Bis vor einigen Jahren hat die Armee Verweigerer für lange Wochen in Arrest gesteckt. Sie haben sie z.B. erst einmal zu einem Monat verurteilt, dann kamen sie wieder raus, wurden wieder zur Reserve einberufen, haben wieder verweigert und kamen wieder in Arrest. Das konnte lange so gehen. Doch in den letzten Jahren scheint die Armee sich auf keinen Fall auf eine Auseinandersetzung mit den Verweigerern einlassen zu wollen. Sie scheint begriffen zu haben, dass sie sie, wenn sie sie einsperrt, stärker macht, ihnen Kraft gibt. Demonstrationen werden für sie durchgeführt, die Medien berichten – als ich zum ersten Mal verweigert habe, hatte ich mehrere Gespräche mit Offizieren.

Die machten mir alle möglichen Angebote: Du musst keinen Dienst in den Besetzten Gebieten tun, wir können Dich an der ägyptischen Grenze einsetzen, Du müsstest nicht kämpfen, Du könntest etwas Anderes tun – alles, um mich davon abzuhalten zu verweigern. Aber ich habe alles zurückgewiesen und ihnen gesagt, dass ich nur bereit sei, an Trainings teilzunehmen. Daraufhin warfen sie mich aus der Einheit und steckten mich in eine andere, weit weniger aktive Einheit, in der ich eigentlich keine Aufgabe habe. Letzten Samstag wurde ich angerufen, ich solle mich am nächsten Morgen einfinden. Als ich ankam, war meinem Namen auf der Liste gar keine Aufgabe zugeteilt – sie befahlen mir, mich hinzusetzen und zu warten. Zwei Tage habe ich gewartet, immer noch in Zivilkleidung. Dann sagten sie, ich solle ein Zelt für die Unterbringung der Soldaten aufschlagen. Das habe ich verweigert. Also haben sie mir an nächsten Morgen gesagt: „Okay, Du kannst nach Hause gehen. Wenn wir Dich brauchen, rufen wir Dich an.“ Sie haben noch nicht angerufen.

Es scheint, als täte die Armee jetzt alles, um uns Verweigerer nicht aus dem System raus zu werfen, sie verhängt keine Disziplinarmaßnahmen mehr gegen uns, sie konfrontiert uns nicht, einfach, weil sie nicht will, dass über uns berichtet wird. Sie wollen die Verweigererstatistik nicht in die Höhe treiben. Sie wollen ein Bild entwerfen, das zeigt, wie einig sich die Soldaten sind, wie alle mit dem Krieg einverstanden sind. Selbst die israelischen Medien beteiligen sich daran. Wir haben versucht, Artikel zu veröffentlichen, und sie haben uns auch versprochen, sie zu veröffentlichen. Aber dann schieben sie die Veröffentlichung immer weiter hinaus und nichts kommt. Artikel über Blut und Krieg werden immer gedruckt, aber nichts über Frieden und Verweigerung.

Wie sieht die israelische Öffentlichkeit den Krieg? Hat sich das mit Beginn der Bodenoffensive verändert?

Ich glaube nicht, dass viele Leute ihre Meinung geändert haben. Die Leute, die von Anfang an für den Krieg waren, sind auch weiter dafür. Und die, die dagegen waren, sind weiter dagegen. Die meisten Leute unterstützen den Krieg, sie glauben, solange die Hamas an der Macht ist, gibt es keinen Verhandlungspartner. Sie glauben, wir hätten alles versucht, um den Waffenstillstand aufrechtzuerhalten. Jetzt sei es die Schuld der Hamas und was auch immer die Armee tut, sei in Ordnung. Egal, ob sie Bomben abwirft oder Bodentruppen einsetzt. Aber das sind nicht alle. Es gibt auch ein breites Spektrum von Kriegsgegnern. Aus irgendeinem Grund ist es derzeit aber sehr ruhig, zu ruhig.

Hast Du Kontakt zu anderen Soldaten, die jetzt den Einsatz in Gaza verweigert haben?

Ja, es gibt noch andere, aber es sind weniger als während anderer Kriege. Vielleicht bekommen wir auch nur weniger von ihnen mit, weil sie nicht in Haft kommen. Die Armee schickt sie einfach weg oder gibt ihnen einen anderen Job. Den meisten Soldaten ist die israelische Gesellschaft sehr wichtig, die Armee und auch die Nation. Es kostet sie sehr viel, die Regeln zu brechen. Selbst wenn sie von Beginn an gegen die Besatzung sind, brauchen sie lange, um zu verweigern, weil sie das Gefühl haben, die Demokratie zu zerstören und die Gesellschaft zu zerbrechen. Du musst verstehen, dass die Armee in Israel sehr viel Macht hat und ein sehr hohes Ansehen genießt. Darum ist es für die Soldaten sehr schwer, zu der Entscheidung zu kommen zu verweigern und ihr zu schaden. Wenn die Armee ihnen also, so wie jetzt, anbietet, dass sie nicht in Gaza kämpfen müssen, sondern eine andere Aufgabe übernehmen und Teil des Systems bleiben können, dann lassen sich vermutlich einige darauf ein.

Zudem vermuten wir, dass die meisten Verweigerer die Idee, Teil des Systems, der Armee bleiben zu können, einfach aufgeben. Um nicht zur Armee gehen zu müssen, verlassen sie Israel, sie spiegeln gesundheitliche Problem vor, manche weigern sich schon als 18-jährige zur Armee zu gehen.

Wie reagiert Deine Familie auf Deine Verweigerung?

Das ist nicht so einfach. Die meisten meiner Geschwister waren Offiziere, alle von ihnen haben in Kampfeinheiten gedient. Das ist für sie ganz klar. Auch wenn sie sich Frieden wünschen, glauben sie nicht, dass er wahrscheinlich ist, zurzeit schon gar nicht. Sie halten es für sehr schlecht, die IDF zu beschädigen, wie ich es tue. Also auch wenn sie es hinnehmen, sind sie doch in keiner Weise damit einverstanden. Es ist sehr schwer, da dazwischen zu stehen.

Gibt es einen bestimmten Punkt, der Dir persönlich besonders wichtig ist?

Ich denke, das Wichtigste ist, … wir leben in einer Demokratie und wir alle tun Dinge, mit denen wir nicht ganz einverstanden sind. Wir tun sie, weil wir in einer Demokratie leben, wir wollen die demokratischen Regeln nicht brechen. Aber manchmal wird unsere ganz persönliche Grenze überschritten, und dann muss auch eine Demokratie uns das Recht einräumen, dass wir uns verweigern und trotzdem weiter Teil des demokratischen Systems sein können. Ich glaube, dass ist genau der Punkt, an dem viele Soldaten sind. Sie müssen Nein sagen zu dieser Art Dienst, zu der Fortsetzung der Besatzung, zu den Kämpfen. Vielleicht ist das die einzige Art, wie man die Besatzung beenden kann.

Interview mit Yitzchak Ben Mocha vom 9. Januar 2009, veröffentlicht am 12. Januar 2009. Das Interview führte Endy Hagen.

Stichworte:    ⇒ Israel   ⇒ Krieg   ⇒ Kriegsdienstverweigerer berichten   ⇒ Kriegsdienstverweigerung   ⇒ Soldaten   ⇒ Yitzchak Ben Mocha