Unterstützung geflüchteter russischer Kriegsdienstverweiger*innen in Südkorea

von Yongsuk Lee

(19.11.2023) Unsere Organisation World Without War hat vor kurzem begonnen, russische Kriegsdienstverweiger*innen zu unterstützen, insbesondere in Zusammenarbeit mit Advocates for Public Interest Law (APIL).

Wie allgemein bekannt, begann Russland am 24. Februar 2022 mit dem Einmarsch in die Ukraine, den Präsident Putin als eine Operation von Spezialkräften bezeichnet. Dies markierte den Beginn eines Angriffkrieges, gefolgt von einem Mobilisierungsbefehl für Reservist*innen in Russland am 21. September 2022. Zweifellos verließen schon vor dem Mobilmachungsbefehl viele Menschen das Land, um dem Krieg zu entkommen oder nicht am Krieg teilzunehmen. Nach dem 21. September stieg die Zahl noch einmal erheblich an.

Einige Geflüchtete kamen in Südkorea an. Die erste Bestätigung, die wir aus den Medien erhielten, war, dass 27 Personen zwischen dem 1. und 10. Oktober 2022 die Ostküste Südkoreas erreichten und einen Schutzstatus beantragen wollten. Sie kamen wahrscheinlich mit einem Schiff aus Wladiwostok, einer Hafenstadt an der russischen Pazifikküste.

Dieses Thema fand in der südkoreanischen Gesellschaft keine große Beachtung, außer bei bestimmten Gruppen wie Flüchtlingsanwält*innen und -verteidiger*innen und Organisationen wie World Without War, die sich um Kriegsdienstverweiger*innen sorgten.

Nur sechs dieser Personen wurde die Einreise gestattet, während die anderen mit einem Einreiseverbot belegt wurden. Später stellte sich heraus, dass die Wasserwacht in ihren Berichten den Verdacht geäußert hatte, dass die russischen Geflüchteten nach Südkorea gekommen waren, um der Einberufung in Russland zu entgehen.

Bekannter geworden sind die russischen Kriegsdienstverweiger*innen, die über den Flughafen Incheon nach Südkorea kamen und Asyl beantragten. Obwohl in ersten Meldungen von drei Personen die Rede war, kennen wir die genaue Zahl nicht. Es gibt Schätzungen, dass anfangs zwischen 300 und 500 Geflüchtete über den Flughafen gekommen sind. Die südkoreanische Regierung nahm eine restriktive Haltung ein und verweigerte diesen Personen die Möglichkeit, sich einem Asylverfahren zu unterziehen. Dies veranlasste viele von ihnen, direkt in andere Länder zu gehen. Nur fünf blieben, um die Entscheidung der Regierung rechtlich anzufechten.

Am 11. oder 12. Oktober 2022 lehnte die Regierung ihre Anträge ab und verweigerte ihnen einen Flüchtlingsstatus. Als die APIL-Anwälte dies erfuhren, leiteten sie ein Verwaltungsverfahren ein. Sie versuchten, vor dem Verwaltungsgericht zu beweisen, dass die koreanische Regierung nicht einmal die Chance gegeben habe, den Flüchtlingsstatus überprüfen zu lassen. Am 14. Februar 2023 entschied das Verwaltungsgericht zu ihren Gunsten. Es sei falsch, dass die südkoreanische Regierung den russischen Geflüchteten die Möglichkeit der Überprüfung ihrer Anträge verweigert habe.

Die Geflüchteten reisten Anfang Oktober 2022 ein, was bedeutet, dass sie fast viereinhalb Monate in der Einwanderungsstation am Flughafen verbrachten, bis sie das Verwaltungsverfahren gewannen. Die Nachricht wurde in den südkoreanischen Medien ausführlich behandelt. Dabei wurden zahlreiche Menschenrechtsverletzungen hervorgehoben, wie z.B. die Tatsache, dass sie sich nicht richtig waschen konnten, keinen Platz zum Schlafen hatten und keine richtige Verpflegung erhielten.

Die koreanische Regierung und das Justizministerium beantworteten die Entscheidung im Verwaltungsverfahren mit einer beschämenden Taktik. Statt die Entscheidung zu akzeptieren, legten sie Berufung ein und behaupteten, sie hätten sich korrekt verhalten. Aber am Ende verlor die südkoreanische Regierung auch die Berufung, und die am Flughafen festgehaltenen russischen Kriegsdienstverweiger*innen konnten nach Südkorea einreisen. Aber noch immer wurden sie vom Justizministerium sehr schlecht behandelt. Sie wurden gezwungen, sich während des Verfahrens ausschließlich in dem vom Justizministerium verwalteten Immigration & Foreigner Support Center aufzuhalten. Sie durften im Gegensatz zu anderen Geflüchteten das Gebäude nicht verlassen, es handelte sich also lediglich um einen Wechsel des Haftortes. Daraufhin zogen die russischen Geflüchteten erneut vor Gericht, um geltend zu machen, dass sie nicht im Immigration & Foreigner Support Center festgehalten werden dürfen. Schließlich durften sie das Zentrum verlassen und durchlaufen nun Asylverfahren.

Wir fanden heraus, dass die südkoreanische Regierung diese russischen Geflüchteten abwies, weil „die bloße Verweigerung des Militärdienstes nicht für den Flüchtlingsstatus qualifiziert“ sei. Man vermutete auch wirtschaftliche Motive hinter diesen Asylanträgen. Wir erfuhren dies, weil das Justizministerium, als es nach der Entscheidung des Verwaltungsverfahrensgerichts Berufung einlegte, eine Textnachricht an Journalist*innen schickte, in der die Gründe für die Berufung genannt wurden. Als Organisation kamen wir zu dem Schluss, dass das Justizministerium sie nicht nur im Wartesaal des Flughafens zurückließ, sondern ihnen aktiv das Leben erschwerte, um sie abzuschrecken. Es war ein Signal, ein Zeichen an die aus Russland Fliehenden, das besagte: „Wenn ihr nach Südkorea kommt, nehmen wir euch nicht auf, also kommt gar nicht erst.“ Wir glauben, dass dies beabsichtigt war. Tatsächlich ist nicht nur die Anerkennung von russischen Schutzsuchenden, sondern die Anerkennung von Schutzsuchenden im Allgemeinen in Südkorea gering. Die Anerkennungsquote liegt unter 3%, vorher war sie noch geringer.

Ich möchte Ihnen auch einen kurzen Überblick darüber geben, wie die Zivilgesellschaft reagiert hat. Der größte Teil unserer Unterstützung für russische Geflüchtete bestand in Rechtshilfe, vor allem durch APIL. Zunächst nutzten wir die institutionellen Verfahren des koreanischen Rechtssystems. Wir reichten eine Beschwerde bei der Nationalen Menschenrechtskommission Südkoreas ein, in der wir darlegten, dass die koreanische Regierung russische Kriegsdienstverweiger*innen in der Einwanderungsstation am Flughafen festhielt und dass es dabei zu Menschenrechtsverletzungen kam.

Und dann haben wir die Fälle vor das Verwaltungsgericht gebracht, weil sie den Geflüchteten nicht einmal die Chance gegeben haben, ihr Asylbegehren vorzutragen. Dabei haben wir Mechanismen der internationalen Menschenrechtsgesetze genutzt. Wir haben über das Sonderverfahren beim Menschenrechtsrat der Vereinten Nationen Beschwerde eingereicht, und zwar in zweierlei Hinsicht: „Die Nichtüberprüfung der Schutzwürdigkeit von Geflüchteten stellt eine Menschenrechtsverletzung dar“ und „Es gibt rechtliche und politische Probleme für die südkoreanische Regierung, wenn sie Kriegsdienstverweiger*innen nicht als Flüchtlinge anerkennt“, denn wir waren der Meinung, dass dahinter politische Entscheidungen standen.

Was die Nutzung internationaler Menschenrechtsmechanismen angeht, so haben wir uns auf das UNHCR-Flüchtlingshandbuch, auf Präzedenzfälle in den Gerichten von Ländern mit Flüchtlingskonvention wie den Vereinigten Staaten und Europa und auf den UN-Bericht von 1985 über Kriegsdienstverweigerung bezogen, um die Fälle bei diesen internationalen Menschenrechtsgremien vorzubringen.

Wir haben auch politische Unterstützung geleistet. Der MBC Newsdesk berichtete mit großem Interesse über die russische Flüchtlingsgeschichte, was einen großen Einfluss auf die koreanische Gesellschaft hatte, und die APIL-Anwält*innen spielten eine bedeutende Rolle dabei, dass diese Sendung ausgestrahlt wurde. Wir hielten auch Pressekonferenzen ab, wann immer es Ereignisse wie die Einreichung einer Beschwerde bei der Nationalen Menschenrechtskommission gab, um die koreanische Öffentlichkeit über die Situation der russischen Kriegsdienstverweiger*innen zu informieren.

Wir haben auch Aktivitäten wie das Schreiben von Briefen an inhaftierte Kriegsdienstverweiger*innen in Russland am Tag der Gefangenen für den Frieden und das Sammeln und Versenden von Postkarten an russische Kriegsdienstverweiger*innen, die in Südkorea als Flüchtlinge anerkannt wurden, durchgeführt. Wir haben auch Geld für sie gesammelt, damit sie eine Unterkunft bekommen, während sie sich im Asylverfahren befinden, und damit sie Dinge des täglichen Bedarfs kaufen können.

Wir können nicht wirklich sagen, dass World Without War bereits eine Kampagne gestartet hat, um diesen Geflüchteten zu helfen. Wir sehen uns mit der Situation konfrontiert, dass viele russische Geflüchtete nach Südkorea kommen und wir gerade erst begonnen haben darüber nachzudenken, wie und was wir tun können.

Wie können wir sicherstellen, dass die Geflüchteten das Verfahren erfolgreich durchlaufen, und wie können wir dazu beitragen? Neben den russischen Geflüchteten gibt es Geflüchtete, die vor Krieg in anderen Teilen der fliehen und nach Südkorea gekommen sind. Es gab zum Beispiel einen Geflüchteten aus dem Jemen, der nach seiner Gefangennahme durch die Huthi-Rebellengruppe als Minderjähriger zum Soldaten wurde. Er floh vor ein paar Jahren nach Südkorea. Wir hatten ihn online zu einem Vortrag für den Tag der Kriegsdienstverweigerung eingeladen. Leider hat er keinen Flüchtlingsschutz erhalten. Außerdem erfuhren wir, dass auch Geflüchtete aus Äthiopien, Ägypten und anderen Ländern nach Korea gekommen sind. Wir hatten leider noch keine Gelegenheit, sie persönlich zu treffen. Wie können wir diese Menschen in der Friedensbewegung organisieren und wie können wir sie unterstützen? Das sind die Fragen, über die World Without War von nun an nachdenken wird.

Ich glaube, dass diese Konferenz in dieser Hinsicht sehr hilfreich sein wird. Es war sehr inspirierend und ermutigend, die Geschichten der #ObjectWarCampaign zu hören sowie die Erfahrungen von Friedensaktivist*innen aus verschiedenen Ländern.

Yongsuk Lee arbeitet bei World Without War, Südkorea

World Without War, peace(at)withoutwar.org, www.withoutwar.org

Yongsuk Lee: Unterstützung geflüchteter russischer Kriegsdienstverweiger*innen in Südkorea. Redebeitrag auf der Internationalen Konferenz „Kriegsdienstverweigerung in Asien - Analysen und Perspektiven“, 19. November 2023 in Seoul, Südkorea. Der Beitrag wurde veröffentlicht in der Broschüre „Internationale Konferenz Kriegsdienstverweigerung in Asien“, Herausgegeben von Connection e.V. in Kooperation mit World Without War und War Resisters International, März 2024

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