Netiwit Chotiphatphaisal, Thailand: "Jeder ist ein Mensch. Ich werde niemanden töten"
Portrait des thailändischen Kriegsdienstverweigerers
(05.04.2024) Netiwit Chotiphatphaisal ist Aktivist, Autor, Mönch und Thailands erster Kriegsdienstverweigerer für „Demokratie, Menschenrechte und die Milk Tea Alliance“. Er lehnt den verpflichtenden Militärdienst ab und fordert Reformen des thailändischen Militärs, welches er als „Ursache für den Niedergang der thailändischen Demokratie“ betrachtet. Thailand sei zwar derzeit nicht in Kriege verwickelt, doch Gewalt durchdringe den Alltag. Das Land sei in der Vergangenheit Zeuge von 13 Staatsstreichen gewesen, in denen das Militär stets den Diskurs beherrschte. Noch immer sei das System des Militärzwangsdiensts von Gewalt bestimmt: „Dieses System beraubt den Einzelnen seiner Möglichkeiten, der Gesellschaft und der Menschheit zu dienen, und formt ihn entsprechend einer Kultur der Gewalt“, erklärte er auf der Internationalen Konferenz für Kriegsdienstverweigerung in Seoul/Südkorea im November 2023.
Erklärung der Kriegsdienstverweigerung (2014 – 2024)
Im Jahr 2014, nach dem thailändischen Staatsstreich, veröffentlichte Netiwit Chotiphatphaisal auf der Website der War Resisters’ International seine Position als Kriegsdienstverweigerer: Der verpflichtende Militärdienst sei ein Symbol für Gewalt, unvernünftig und antidemokratisch. Diejenigen, die den Frieden unterstützten, den Krieg hassten und das Potenzial hätten, der Gesellschaft und der Menschheit durch gewaltfreie Aktionen zu helfen, sollten den Militärdienst verweigern dürfen, denn Gewaltlosigkeit könne eine bessere Gesellschaft schaffen als Kriege.
Durch die Aufnahme seines Politikwissenschaftsstudium konnte Netiwit Chotiphatphaisal die Einberufung zum Militärdienst verzögern. Er kritisierte weiterhin die Zwangsrekrutierung des thailändischen Militärsystems öffentlich. Im Jahr 2022 begann er als Mönch zu leben und studierte und praktizierte den Buddhismus. Bei Abgabe der Mönchsrobe ein Jahr später – mit der er wieder militärdienstpflichtig wurde – betonte er seine unbeirrbare Haltung als Kriegsdienstverweigerer und seiner Überzeugung, einen Weg des Friedens, der Gewaltlosigkeit und der Abschaffung der Militärdienstpflicht für die thailändische Gesellschaft zu erkämpfen: „Unsere Welt braucht Kriegsdienstverweigerer heute mehr denn je; wir verkörpern den Geist der Gewaltlosigkeit und der Entmilitarisierung und bieten neue Wege des Zusammenlebens in einer stärker vernetzten Welt“.
Heute, am 5. April 2024, endete für Netiwit Chotiphatphaisal die gesetzliche Frist zur Zurückstellung. Er betonte auch heute seine Überzeugung als Kriegsdienstverweigerer und hofft, dass seine öffentliche Kriegsdienstverweigerung den Dialog und das Nachdenken über die Frage der Militärdienstpflicht in Thailand fördern wird:
„Hiermit betone ich zehn Jahre nach meiner ersten Erklärung zur Kriegsdienstverweigerung, die ich 2014 nach dem Putsch in Thailand öffentlich gemacht habe, dass ich einer Einberufung zum Militär nicht nachkommen werde. Meine Entscheidung basiert auf der Überzeugung, dass der Zwang zum Militärdienst gegen meine persönlichen moralischen Überzeugungen verstößt und gegen die Grundsätze der Menschenrechte. Dieser Zwang ist veraltet und ineffektiv und trägt dazu bei, die Demokratie in Thailand zu untergraben.“ (…mehr)
Netiwit Chotiphatphaisal ist der erste thailändische Kriegsdienstverweigerer, weshalb nicht vorauszusehen ist, wie das Militär reagiert. Ihm drohen bis zu drei Jahren Haft für seine pazifistisch und politisch motivierte Verweigerung.
Politisches Engagement
Seit über einem Jahrzehnt ist Netiwit Chotiphatphaisal als Student, Aktivist, Bibliothekar, Redakteur, Verleger und Autor politisch aktiv und als transnationaler Aktivist für die Demokratiebewegung in Thailand und Hongkong bekannt.
Zu seinen zahlreichen Aktivitäten zählen u.a. die Gründung des Verlags Samnak Nisit Sam Yan Publishing House (Sam Yan Press), der Organisation Milk Tea Alliance und des gemeinnützigen Projekts Humanity Beyond Borders, das sich für in Thailand lebende politische Geflüchtete einsetzt sowie mit Monitoringberichten und Kampagnen die thailändische Bevölkerung auf Menschenrechtsverletzungen in anderen Ländern aufmerksam macht.
Er nahm er als Beobachter an mehreren Anti-Junta-Protesten teil und wurde 2018 in den Vorstand von Amnesty International Thailand gewählt. Zugleich ist Netiwit Chotiphatphaisal Mitbegründer von TERA (Thailand Educational Revolution Alliance) und Education for Liberation of Siam zur Reform und Demokratisierung des thailändischen Bildungssystems, zu dem er bereits mehrere Bücher publiziert hat.
Er wurde zum Präsidenten des Studentenrats der Chulalongkorn-Universität gewählt. Auf politische Repressionen hin, zeigten sich acht Nobelpreisträger*innen und bekannte Akademiker*innen wie Noam Chomsky und Steven Pinker solidarisch mit seinem studentischen Engagement. Netiwit Chotiphatphaisal wurde für den Preis der Nationalen Menschenrechtskommission (NHRC) nominiert (den er ablehnte), nahm als Redner am Oslo Freedom Forum 2018 teil und wurde von der Straits Times (Singapore Press) für seine soziale Arbeit, insbesondere in den Bereichen Demokratie, Bildung und Militärdienstpflicht als einer der bedeutendsten 50 Asiat*innen im öffentlichen und sozialen Sektor ausgezeichnet.
Weitere Quellen
Website: https://netiwit.com/ (in Englisch)
Erklärung der Kriegsdienstverweigerung (2014): https://wri-irg.org/en/Netiwit-declaration (in Englisch)
Rede beim Osloer Friedensforum 2018 „The Student vs. the Military“: https://youtu.be/-5xeVZYI9hs (in Englisch)
Rede auf der Internationalen Konferenz zur Kriegsdienstverweigerung in Seoul 2023: https://de.connection-ev.org/article-4036 (in Deutsch & Englisch)
Wikipedia: https://en.wikipedia.org/wiki/Netiwit_Chotiphatphaisal
Marah Frech: „Everyone is a human being; I do not kill anyone”. Portrait des thailändischen Kriegsdienstverweigerers Netiwit Chotiphatphaisal. 5. April 2024
Stichworte: ⇒ Kriegsdienstverweigerung ⇒ Thailand