Einführung der allgemeinen Militärdienstpflicht: Nur noch wenig Spielraum für die Jugend Myanmars
(20.03.2024) Das Armed Conflict Location and Event Data Project stuft die bewaffneten Konflikte in Myanmar als einen der gewalttätigsten Kriege der Welt ein. Diese sind in Myanmar zwar nicht neu, aber nach der vollständigen Machtübernahme durch das Militär im Februar 2021 hat die Gewalt zugenommen und sich auf alle Gebiete des Landes ausgeweitet. Seit 2021 sind schätzungsweise 39.000 Kämpfer*innen in dem Krieg getötet worden, der von Hunderten kleiner Milizen, größeren bewaffneten ethnischen Organisationen und einem Militärregime, das das Land regiert, geführt wird. Weitere 8.000 Zivilist*innen, die nicht an den Kämpfen beteiligt waren, sind ebenfalls getötet worden.
Im Februar 2024 kündigte das in Myanmar herrschende Militärregime an, ein „Volkswehrgesetz“ auf den Weg zu bringen. Das Gesetz sieht die Einberufung von männlichen Staatsbürgern im Alter von 18 bis 35 Jahren und weiblichen Staatsbürgerinnen im Alter von 18 bis 27 Jahren vor. Diese Ankündigung hat unter den 14 Millionen jungen Menschen des Landes und ihren Familien Angst und Abscheu ausgelöst. Nur drei Tage später richtete das Militärregime die „Zentrale Stelle für die Einberufung von Volksdienenden“ ein, welche die Einberufung von mindestens 60.000 jungen Menschen pro Jahr überwachen soll (siehe ISP-Bericht für eine weitere Analyse des neuen Einberufungsgesetzes). Der Einberufungsprozess wird Berichten zufolge nach dem burmesischen Neujahrsfest Mitte April beginnen. Es gibt Berichte die darauf hinweisen, dass die Razzien unter jungen Männern bereits begonnen haben.
Ein Sprecher des Militärregimes hat in den vom Militär kontrollierten Medien erklärt, dass das nationale Militärdienstpflichtgesetz jedem*r Bürger*in „das Recht“ einräume, eine militärische Ausbildung zur Verteidigung des Landes zu erhalten. Die lauteste Stimme im Widerstand gegen das Militärdienstpflichtgesetz sind antimilitärische bewaffnete Gruppen. Diese fordern die Bevölkerung auf, zu ihnen zu fliehen und sich gegen das Militärregime zu bewaffnen. Eine von der Opposition geführte Exilregierung – die sogenannte Regierung der Nationalen Einheit – die dem Militärregime die politische Legitimität streitig macht, hat eine problematische Erklärung abgegeben, in der sie ein „hartes und wirksames Vorgehen“ gegen diejenigen ankündigt, die die Einführung der Militärdienstpflicht unterstützen oder fördern. Diese Drohung könnte zu mehr Gewalt führen, so ein Aktivist gegen die Militärdienstpflicht, da sie als „Rechtfertigung für die bewaffneten Gruppen, den zivilen Teil der Regimestruktur zu töten oder zu terrorisieren“ verstanden werden könnte.
Dies lässt der Jugend Myanmars wenig Spielraum für eine Wahl außerhalb des Waffengebrauchs und es bedroht eine horizontale Ausbreitung der bewaffneten Gewalt in der gesamten Gesellschaft Myanmars. Jede Seite fordert potenzielle Rekrut*innen auf, „für unsere Seite zu töten, um das Land zu retten“. Die große Mehrheit der Menschen in Myanmar zieht es vor, sich den Militärbehörden politisch zu widersetzen, wie am 1. Februar 2024 – dem dritten Jahrestag des Militärputsches – deutlich wurde. An diesem Tag gab es einen landesweiten Schweige- und Generalstreik, bei dem die Straßen des Landes leer blieben. Es muss Raum für junge Menschen geben, die ein Recht auf Verweigerung des Tötens in diesem Krieg fordern, der jede Stunde mehr als eine Person tötet.
Radio Free Asia befragte junge Menschen in Mandalay und Rangun, die kein Interesse daran haben, sich an militärischen Aktionen zu beteiligen, sich aber gefangen fühlen und Angst haben. „Es ist schwierig für junge Menschen, die sich nicht am bewaffneten Kampf beteiligen wollen, ihre Stimme zu erheben. Beide Seiten werden sie verurteilen. Die Militärs drohen ihnen mit mangelndem Patriotismus, und jeder Verstoß gegen das Militärdienstpflichtgesetz ist strafbar. Antimilitärische Gruppen werden sie beschuldigen, die ’Revolution’ nicht zu unterstützen“, sagte ein burmesischer gewaltfreier Aktivist, der anonym bleiben möchte.
Angesichts dieser mangelnden Wahlmöglichkeiten stimmen Hunderte von Menschen mit den Füßen ab, wie die langen Schlangen vor den Passämtern und der thailändischen Botschaft zeigen, um ein Visum zu erhalten. Anfang dieser Woche traf einer der Autoren dieses Artikels einen burmesischen Kollegen in Bangkok, der sagte, er habe gerade seinen Sohn im Collegealter nach Thailand gebracht und fügte hinzu: „Sie haben von dem Militärdienstpflichtgesetz gehört...“. Mehr brauchte er nicht zu sagen. Doch für die Mehrheit der Menschen ist das Verlassen Myanmars keine Option.
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