Krieg in Europa: Was geschieht mit Kriegsdienstverweiger*innen?

Pressemitteilung: Veröffentlichung des EBCO-Jahresberichts "Kriegsdienstverweigerung in Europa 2023/24"

von European Bureau for Conscientious Objection (EBCO)

(14.05.2024) Das Europäische Büro für Kriegsdienstverweigerung (EBCO) kündigt die bevorstehende Veröffentlichung seines Jahresberichts "Kriegsdienstverweigerung in Europa 2023/24" am 15. Mai, dem Internationalen Tag der Kriegsdienstverweigerung, an. Der Bericht wird am 15. Mai 2024 auf der Website von EBCO (https://www.ebco-beoc.org/) online verfügbar sein.

Der Bericht wurde zudem am 10. Mai in einer Pressekonferenz im Friedenshaus in Brüssel vorgestellt. Im Podium saßen:

- Derek Brett, verantwortlicher Herausgeber des Europäischen Büros für Kriegsdienstverweigerung

(EBCO)

- Saša Belik, Leiter der Bewegung für Kriegsdienstverweigerung Russland

- Yurii Sheliazhenko, Exekutivsekretär der Ukrainischen Pazifistischen Bewegung [online]

- Olga Karatch, Leiterin der belarusischen Organisation Nash Dom („Unser Haus“)

Moderator: Sam Biesemans, stellvertretender EBCO-Vorsitzender.

Alle Präsentationen sowie die Videoaufzeichnung der Pressekonferenz (von Mirko Popovitch) und Fotos (von Jan Van Criekinge und Sam Biesemans) sind jetzt auf der Website von EBCO (https://www.ebco-beoc.org/node/623) verfügbar.

Im zweiten Jahr wird dieser Bericht zwangsläufig vom Krieg in der Ukraine dominiert; einen Großteil des Platzes nehmen Berichte über die Entwicklungen in der Ukraine, Russland und Belarus sowie die Situation von Flüchtenden aus diesen Ländern ein. EBCO arbeitet weiter bei der #ObjectWarCampaign mit, die gemeinsam von Connection e.V., War Resisters’ International (WRI), dem Internationaler Versöhnungsbund (IFOR) und dem Europäischen Büros für Kriegsdienstverweigerung (EBCO) ins Leben gerufen wurde.

Dieser Jahresbericht erfasst die Entwicklungen von 2023 bis Anfang April 2024. Es mag überraschen, dass wir nicht über den Konflikt in Gaza seit Oktober 2023 und die Kriegsverbrechen berichten, die die Aufmerksamkeit der Weltöffentlichkeit beherrschen. EBCO ist natürlich solidarisch mit den israelischen Kriegsdienstverweiger*innen und allen Opfern dieses bewaffneten Konflikts, und EBCO-Mitglieder haben eine Reihe von Aktivitäten zur Unterstützung der israelischen Kriegsdienstverweiger*innen und gewaltloser Aktivist*innen auf beiden Seiten für einen gerechten Frieden organisiert bzw. daran teilgenommen. Israel/Palästina fällt jedoch nicht in die Region des Europarates und hat daher in diesem Bericht keinen Platz.

Ebenso gibt es eine Reihe von Konflikten in anderen Ländern – Sudan, Äthiopien, Demokratische Republik Kongo, Myanmar –, die ebenso viele oder sogar noch mehr Todesopfer fordern, aber viel weniger Beachtung finden, aber auch diese liegen außerhalb unseres Mandats.

In Europa ziehen die Wolken des Krieges herauf. Nicht nur in den kriegführenden Ländern und in Belarus, das sich anschickt, Russland direkt zu unterstützen, wird über Kriegsvorbereitung gesprochen, über die Erhöhung der Militärausgaben, Rekrutierung (z.B. Dänemark), die Wiedereinführung der Militärdienstpflicht (z.B. Lettland) oder ihre Ausweitung auf Frauen. Das Recht auf Verweigerung des Militärdienstes gerät selbst in Gefahr.

Letztes Jahr berichteten wir über den Fall Tetlianikov gegen Litauen, in dem der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte feststellte, dass der seit der Wiedereinführung der Militärdienstpflicht im Jahr 2014 angebotene Zivildienst faktisch ein unbewaffneter Militärdienst ist. Auch in anderen Ländern, vor allem in Lettland und Schweden, und nach erneuten Vorschlägen in der Schweiz ist die Rede davon, den Zivildienst für Kriegsdienstverweiger*innen enger mit dem Zivilschutz zu verbinden und damit in das System der nationalen Kriegsvorbereitung zu integrieren. Militärische Ausbildungsprogramme werden innerhalb des Sekundarschulsystems eingeführt und ausgebaut, meist ohne die Möglichkeit der Verweigerung. Es handelt sich um freiwillige – oder im Falle Frankreichs (Service National Universel) um potentiell verpflichtende – Programme für Jugendliche, die auf die militärische Rekrutierung vorbereiten und diese fördern.

In Friedenszeiten bezieht Kriegsdienstverweigerung ihre Berechtigung aus dem Fakt, dass die Existenzberechtigung der Streitkräfte darin besteht, sich auf den Krieg vorzubereiten. Es ist daher paradox, dass das Recht auf Kriegsdienstverweigerung genau dann bedroht ist, wenn sich ein Krieg abzeichnet. Mit Blick auf die tatsächlichen und potenziellen Risiken in dieser Hinsicht haben wir im diesjährigen Bericht einen wichtigen neuen Abschnitt über „Kriegsdienstverweigerung in Zeiten des Krieges oder eines anderen nationalen Notstands“ eingefügt.

In einem weitaus größeren Ausmaß als je zuvor müssen wir über die Schikanierung von EBCO-Mitgliedern und Mitwirkenden an diesem Bericht wegen ihrer Arbeit im Zusammenhang mit EBCO berichten. In der Ukraine wurde Yurii Sheliazhenko, Generalsekretär der Ukrainischen Pazifistischen Bewegung und EBCO-Vorstandsmitglied, unter ständigen Hausarrest gestellt. Sein Computer und Smartphone wurden beschlagnahmt, während der Staatssicherheitsdienst gegen ihn ermittelt, offenbar unter dem lächerlichen Vorwurf der „Rechtfertigung der russischen Aggression“; das ukrainische Justizministerium hat ein Verbot der Ukrainischen Pazifistischen Bewegung eingeleitet. In Russland wurde die Bewegung für Kriegsdienstverweigerung Russland und ihr Leiter, EBCO-Vorstandsmitglied Saša Belik, zu „ausländischen Agenten“ erklärt, was ihre Möglichkeiten, Gelder zu beschaffen und zur Unterstützung von Kriegsdienstverweiger*innen tätig zu werden, stark einschränkt. Und Olga Karatch, Leiterin der belarussischen Organisation Nash Dom („Unser Haus“) und EBCO-Vorstandsmitglied, der im Falle ihrer Rückkehr nach Belarus eine lange Haftstrafe droht, weil sie sich offen gegen das Regime engagiert hat, sieht ihre Zuflucht in Litauen bedroht, weil die Behörden sich weigern, ihr Asyl zu gewähren, offenbar weil sie sich unermüdlich für Belarus*innen einsetzt, die vor einer möglichen Mobilisierung zum Militär fliehen.

Inmitten dieser neuen und zunehmenden Bedrohungen dürfen wir auch nicht die anhaltende Verweigerung des Rechts auf Kriegsdienstverweigerung in Aserbaidschan und der Türkei vergessen, wo diejenigen, die den Militärdienst verweigert haben, weiterhin in einem unbegrenzten Zustand des zivilen Todes leben.

Lassen Sie uns jedoch mit einer positiven Anmerkung schließen, indem wir über ein weiteres Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte in einem Kriegsdienstverweigerungsfall gegen die Türkei berichten. Dieses bezieht sich auf die selbsternannte „Türkische Republik Nordzypern“, die das Recht auf Kriegsdienstverweigerung in einem Fall verweigert, der Murat Kanatli, EBCO-Vorstandsmitglied und Ko-Koordinator der Initiative für Kriegsdienstverweigerung in Zypern, betrifft. Es handelt sich um einen Fall, der in der internationalen Rechtsprechung neue Wege beschreitet und eindeutig bestätigt, dass das Recht auf Kriegsdienstverweigerung sowohl für die Mobilisierung von Reservist*innen als auch für die erstmalige Einberufung gilt.

Für weitere Informationen und Interviews wenden Sie sich bitte an:

Derek Brett, EBCO-Chefredakteur (Griechisch, Englisch), derekubrett@gmail.com, mobil +41 77 444 4420

Sam Biesemans, EBCO-Vizepräsident (Französisch, Niederländisch, Italienisch und Englisch), ebco.brussels@skynet.be, mobil +32 477 268893

Das Europäische Büro für Kriegsdienstverweigerung (EBCO) wurde 1979 in Brüssel als Dachorganisation der nationalen Vereinigungen von Kriegsdienstverweiger*innen in den europäischen Ländern gegründet, um das Recht auf Kriegsdienstverweigerung bei der Vorbereitung auf und der Teilnahme an Kriegen und jeder anderen Art von militärischen Aktivitäten als grundlegendes Menschenrecht zu fördern. EBCO genießt seit 1998 den Status eines Mitglieds des Europarates und ist seit 2005 Mitglied der Konferenz der internationalen Nichtregierungsorganisationen. EBCO ist seit 2021 berechtigt, Kollektivbeschwerden im Zusammenhang mit der Europäischen Sozialcharta des Europarats einzureichen. EBCO stellt europäischen und internationalen Institutionen Expertise und Rechtsgutachten zur Verfügung. EBCO veröffentlicht seinen Jahresbericht „Kriegsdienstverweigerung in Europa“, der auch der Beitrag von EBCO zum Jahresbericht des Ausschusses für bürgerliche Freiheiten, Justiz und Inneres des Europäischen Parlaments über die Anwendung seiner Entschließungen zur Kriegsdienstverweigerung und zum Zivildienst durch die Mitgliedstaaten ist, wie in der „Bandrés Molet & Bindi Resolution“ von 1994 festgelegt. EBCO ist seit 1995 Vollmitglied des Europäischen Jugendforums.

Europäisches Büro für Kriegsdienstverweigerung (EBCO): Krieg in Europa: Was geschieht mit Kriegsdienstverweiger*innen? Pressemitteilung: Veröffentlichung des EBCO-Jahresberichts "Kriegsdienstverweigerung in Europa 2023/24", Internationaler Tag der Kriegsdienstverweigerung. Brüssel, 14. Mai 2024. https://ebco-beoc.org/node/623

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