15. Mai in Frankfurt/M. Foto: Willfried, Quer TV

15. Mai in Frankfurt/M. Foto: Willfried, Quer TV

Wir fordern Schutz und Asyl für alle Deserteurinnen und Deserteure

Rede von Jewgenij Arefiev, Kriegsdienstentzieher aus Russland

(15.05.2024) Guten Tag! Ich freue mich sehr, dass wir heute hier in Frankfurt gemeinsam für das internationale Menschenrecht auf Kriegsdienstverweigerung demonstrieren, international!

Bald feiern wir 75 Jahre Grundgesetz. Es ist geprägt von den Lehren aus Krieg und Faschismus. Der Geist von „Kriegsertüchtigung“ sollte besiegt und die Menschen zur Demokratie und zum Frieden befähigt werden, nicht zum Marschieren und Schießen, die Kriegsgewinnler sollten entmachtet werden, nicht die Kriegsgegner:innen schikaniert. (Applaus)

Im Grundgesetz steht: „Handlungen, die geeignet sind und in der Absicht vorgenommen werden, das friedliche Zusammenleben der Völker zu stören, insbesondere die Führung eines Angriffskrieges vorzubereiten, sind verfassungswidrig. Sie sind unter Strafe zu stellen. Und außerdem: (…) Eigentum verpflichtet. Sein Gebrauch soll zugleich dem Wohle der Allgemeinheit dienen. (…) Eine Enteignung ist nur zum Wohle der Allgemeinheit zulässig. (...)

Für den Frieden brauchen wir nicht neue Waffen, sondern die Verbrüderung und Verschwesterung von allen Menschen, die soziale Gerechtigkeit und Frieden wollen! Ich habe das selbst erlebt. Ich bin 1994 vor 30 Jahren mit 22 aus der russischen Partnerstadt von Münster – Rjasan – zum Studium nach Münster gekommen. Das war dank der Friedenspolitik von Michail Gorbatschow möglich. Er hat die Truppen aus Afghanistan 1989 nach dem 9-jährigen Krieg abgezogen und den Krieg damit beendet. Und für die Zeit des Studiums wurde ich vom Militärdienst befreit, bis zum Alter von 27 Jahren. Ich habe mich nicht beeilt, das Studium davor abzuschließen, habe mich in der Hochschulpolitik engagiert, u.a. für die Zivilklausel – Studium, Lehre und Forschung sollen friedlichen Zwecken dienen. (Applaus)

In der Sowjetunion wurde ich bereits als Schüler auf den Militärdienst und auf den Krieg in der Kaserne und in der Schule vorbereitet, habe gelernt zu schießen. Ich habe mich über das Ende von heißen und kalten Kriegen deswegen sehr gefreut. Wir haben die Völkerverständigung gelebt, in Rjasan und in Münster. 1993 habe ich die wissenschaftliche Zusammenarbeit zwischen den Universitäten Rjasan und Münster initiiert und 1994 angefangen, am Institut für Politikwissenschaft der Uni Münster in dem Projekt zu arbeiten. Jetzt liegt die städtepartnerschaftliche und wissenschaftliche Zusammenarbeit mit Russland auf Eis, auch zwischen Münster und Rjasan. Wie soll dieser Abbruch von zivilgesellschaftlichem Austausch uns dem Frieden näherbringen? (Applaus)

Die Politik muss endlich der Friedenslogik und nicht der Kriegslogik folgen!

Ich engagiere mich in der Friedensbewegung in Münster seit dem völkerrechts- und grundgesetzwidrigen Krieg der Bundesrepublik Deutschland gegen die Bundesrepublik Jugoslawien 1999 (Applaus), im März waren das 25 Jahre (Applaus), dem bereits vergessenen Krieg nach dem Ende des 2. Weltkriegs in Europa, mit uranabgereicherter Munition, die nachhaltig tötet. Jetzt wird in der Ukraine die uranabgereicherte Munition aus den USA eingesetzt.

Ich war Zeuge, wie eine aus Serbien nach Münster geflüchtete Frau auf die Frage der Ausländerbehörde, warum sie nach Deutschland gekommen sei, geantwortet hat: „Ich bin vor deutschen Bomben geflohen.“ Daraufhin wurde die Befragung abgebrochen. Die Wahrheit hört man nicht gerne. Wir müssen die Kriegsursachen bekämpfen und nicht die Geflüchteten! (Applaus)

Jeder Krieg ist ein Verbrechen an der Menschheit! Im Krieg gibt es keine Gewinner:innen, außer dem militärisch-industriellen Komplex. (Applaus)

Menschenrechte für Alle! – Das internationale Menschenrecht auf Kriegsdienstverweigerung muss vor allem im Krieg eingehalten werden! (Applaus)

Die ukrainischen Studierenden an den Hochschulen in Deutschland sollen aus der Ukraine ungehindert ausreisen dürfen! (Applaus)

Wir fordern Schutz und Asyl für alle Deserteurinnen und Deserteure, Kriegsdienstgegnerinnen und Kriegsdienstgegner, Kriegsdienstentzieherinnen und Kriegsdienstentzieher, Kriegsgegnerinnen und Kriegsgegner! Der Krieg muss als Krieg bezeichnet werden dürfen! (Applaus) Und: Hoch die internationale Solidarität! (Applaus)

Die Waffenlobbyistin Strack-Zimmermann, Vorsitzende des Verteidigungsausschusses im Bundestag, FDP, hat im Interview dem YouTube-Kanal “Jung & Naiv” gesagt, sie würde ihren eigenen Sohn nicht in den Krieg schicken. Die Ukraine soll aber bis zum letzten Mann kämpfen? Für Deutschland? Mit deutschen Waffen? Vom deutschen Boden soll nie wieder Krieg ausgehen! Aber wo bleibt die notleidende Wirtschaft und die Ressourcen am Hindukusch, Struck, Strack-Zimmermann?

Ein ukrainischer Freund hat mir erzählt, er habe Putin verstanden und sei 3 Tage vor dem 24. Februar 2022 mit seiner Ehefrau und 2 kleinen Kindern nach Deutschland geflüchtet. Danach war sein Haus zerstört. Jetzt sagt er, er habe „Pistolerius“ verstanden, den deutschen Verteidigungsminister, demnächst Kriegsminister? Oder ist Deutschland nicht längst Kriegspartei? Nach dem Gutachten des Wissenschaftlichen Dienstes des Bundestages vom 16. März 2022 heißt es, wenn Deutschland die ukrainischen Soldaten auf dem deutschen Boden an schweren Waffen ausbildet, spätestens dann ist Deutschland Kriegspartei. (Applaus) Letztes Jahr hat Deutschland damit angefangen. Nachdem Pistorius gesagt hat, Deutschland müsse kriegstüchtig werden, hat der ukrainische Freund von mir ihn verstanden und sucht jetzt für sich und seine Familie ein anderes, ein sichereres Land.

Kurz nach dem 24. Februar 2022 hat die ARD-Tagesschau einen Ukrainer interviewt, der in seiner Muttersprache gesagt hat, die ich verstehe: „Die da oben sollen sich einigen! Unsere Kinder sterben!“. Das wurde in dieser Tagesschau nicht ins Deutsche übersetzt. Dabei ist die Botschaft so wichtig: 

Frieden schaffen ohne Waffen rettet Leben! (Applaus)

Es sterben aber jetzt jeden Tag Tausende Menschen im Krieg, weltweit! Und dieser Stellvertreterkrieg in der Ukraine wird zynisch „Abnutzungskrieg“ genannt. Es wird ein Sieg der Ukraine gegen Russland gefordert, Sieg für Deutschland, Sieg für die Freiheit. Wie stellt man sich diese Freiheit überhaupt vor und wessen Freiheit soll das sein? Was nützt diese Freiheit den Toten und den Überlebenden? Heißt es nicht aus der deutschen Geschichte lernen: “Lieber rot als tot!”? (Applaus)

Kann eine Atommacht besiegt werden? Bringen noch mehr Atomwaffen eine Abschreckung oder Schrecken ohne Ende? Die Atomwaffen müssen vernichtet werden, bevor die Menschheit vernichtet wird! (Applaus) Hiroshima und Nagasaki mahnen. (Applaus) Unser schöner Planet Erde wird durch Kriege zerstört. Warum sollen wir wegen der Grenzen, für die nationalistischen Wirtschaftsinteressen der Oligarchen sterben? Wie schön wäre die Erde ohne Grenzen, so wie der erste Mensch im All – auf Russisch und auf Griechisch „Kosmos“ genannt – Juri Gagarin sie gesehen hat! Blau, grün, einfach schön.

Dieser Krieg muss so schnell wie möglich enden. Deswegen ist es notwendig, die Politik von immer tödlicheren Waffenlieferungen zu beenden. Die diplomatische Initiative muss her. (Applaus)

Bedürfnisse von Menschen, die Rettung des Klimas, humanitäre Hilfe tun not und nicht die Geopolitik. „Stell dir vor, es ist Krieg, und keiner geht hin“, hat Bertolt Brecht gesagt. (Applaus) Deswegen bin ich gerne Pazifist und kein „gefallener Engel“, wie Kanzler Scholz behauptet hat. (Applaus)

Hiermit schließen wir unseren Friedensvertrag! (Reichen der Hand an Andrii Konovalov, ukrainischer Kriegsdienstentzieher, Händedruck) Frieden heißt „mir“ auf Russisch und Ukrainisch, was auch Welt bedeutet. Frieden der Welt! (Händedruck mit Andrii Konovalov, Applaus)

Kriegsverrat ist Friedenstat! (Applaus)

(Gemeinsames Zerbrechen der Gewehre) (Applaus)

Rede von Jewgenij Arefiev, Kriegsdienstentzieher aus Russland, Sprecher der DFG-VK Münster, am Mi. 15.05.2024 in Frankfurt am Main