Dr. Guido Grünewald. Foto: Münster Tube

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Nein zum Krieg! Frieden schaffen ohne Waffen

Redebeitrag auf der Kundgebung in Münster zum Internationalen Tag der Kriegsdienstverweigerung

von Guido Grünewald, Vorstandsmitglied von EBCO

(17.05.2024) Hallo und guten Nachmittag,

ich freue mich, dass ich heute hier sprechen darf. Vor 2 Tagen, am Internationalen Tag der Kriegsdienstverweigerung, hat das Europäische Büro für Kriegsdienstverweigerung, abgekürzt EBCO, den aktuellen Jahresbericht über die Lage der Kriegsdienstverweigerung in Europa veröffentlicht. EBCO, gegründet 1986 mit Sitz in Brüssel, ist ein Netzwerk von Kriegsdienstverweigerungs-Organisationen. Das Büro ist Mitinitiator der #ObjectWar Campaign, in deren Rahmen diese Kundgebung stattfindet, und arbeitet mit Connection e.V., der War Resisters‘ International und dem Internationalen Versöhnungsbund eng bei der Förderung und Verteidigung des Rechts auf Kriegsdienstverweigerung sowie der Unterstützung einzelner Verweigerer zusammen. Das betrifft auch die neue globale Aktion #RefuseWar, über die andere heute informieren.

Die EBCO-Jahresberichte beschränken sich bewusst auf die Entwicklungen in den Mitgliedstaaten des Europarats inclusive Belarus und Kosovo (ehemalige Beitrittskandidaten) und Russland (2022 ausgetreten).  Die Bilanz ist besorgniserregend: Der Druck auf Kriegsdienstverweigerer und das Recht auf Verweigerung nimmt zu. Das trifft natürlich in erster Linie auf Russland, die Ukraine und auch Belarus zu. Belarus ist zwar bisher keine direkte Kriegspartei, allerdings befürchten dort viele, dass der Diktator Lukaschenko das Land doch noch an der Seite Russlands in den Angriffskrieg gegen die Ukraine führt. Alle drei Staaten sind hochmilitarisierte Kriegsgesellschaften mit hoher Korruption und einer staatlich orchestrierten Feindbildpropaganda, die abweichende Ansichten und erst recht Kriegsgegnerschaft als Ausdruck von Feindunterstützung klassifiziert. Die Zugriffsmöglichkeiten auf Wehrpflichtige wurden im vergangenen Jahr erweitert, u.a. durch Verlängerung des Wehrpflichtalters, Senkung der Gesundheitsanforderungen und die geplante elektronische Zustellung des Einberufungsbescheids. Wiederholt mussten wir Berichte über gewaltsame Rekrutierungen und die Strafverfolgung von Verweigernden zur Kenntnis nehmen. In Belarus wird die Zahl der Männer, die sich dem Wehrdienst entzogen haben, auf 5.000 geschätzt. Viele von ihnen sind ins benachbarte Litauen geflohen. Dort werden Deserteure allerdings vom litauischen Verteidigungsministerium als Gefahr für die nationale Sicherheit eingestuft.  300 Verweigerern wurde bisher auf dieser Grundlage Asyl verwehrt; ihnen droht die Zurückschiebung nach Belarus, wo sie hohe Strafen bis schlimmstenfalls die Todesstrafe erwarten. Aktuell gibt es Bestrebungen, diese Praxis gesetzlich zu verankern; das würde die Gefahr für belarussische Kriegsdienstgegner stark erhöhen. Olga Karatch, EBCO-Vorstandsmitglied und Leiterin der zivilgesellschaftlichen Organisation Nash Dom (Unser Haus), setzt sich im litauischen Exil unermüdlich für geflüchtete belarussische Kriegsdienstgegner ein. Auch ihr und ihrem Ehegatten wird sicheres Asyl verwehrt, obwohl ihr in Belarus in bislang 16 Gerichtsurteilen „Extremismus“ vorgeworfen wird und ihr dort hohe Strafen drohen. Gestern erhielt ich die schlimme Information, dass Olgas Ehemann Oleg Borschtschewski sein über Nacht benötigtes Lungenbeatmungsgerät zurückgeben muss, da er als nicht-anerkannter Geflüchteter vom Nationalen Gesundheitsdienst keine Leistungen erhält.

In diesem Fall können wir, so meine ich, unmittelbar helfen. Olga und Oleg können das Beatmungsgerät für 2.200 Euro kaufen. Ich selbst habe heute einen größeren Betrag überwiesen und bitte Euch ebenfalls um einen Spendenbeitrag. Wir werden den gesammelten Betrag dann auf einem sicheren Weg direkt an Olga Karatch transferieren. Nach Beendigung meiner Ansprache werde ich mit der Mütze  herumgehen, wenn >Ihr etwas beitragen möchten, herzlich gerne.

Die Zahl der russischen Männer, die sich dem Kriegsdienst entzogen haben, liegt Schätzungen zufolge bei 250.000. Auf dem Papier gibt es in Russland nach wie vor ein Recht auf Verweigerung des Wehrdienstes, in der Praxis wird mit seltenen Ausnahmen der Zugang zum Alternativdienst regelmäßig verwehrt. Die Bewegung der Kriegsdienstverweigerer in Russland und Saŝa Belik, einer ihrer Protagonisten und Mitglied im EBCO-Vorstand, die seit Beginn des Angriffskriegs hauptsächlich  im Exil tätig sind, wurden im Juni 2023 als „ausländische Agenten“ eingestuft.  Das hat u.a. ihre Möglichkeiten zur Sammlung von Spenden stark eingeschränkt. Russische Kriegsdienstgegner:innen sind vor allem in benachbarte ehemalige Sowjetrepubliken geflohen; dort erhalten sie allerdings nur ein begrenztes Aufenthaltsrecht und sind vor Abschiebungen nicht sicher. In die EU schaffen sie es nur in seltenen Fällen, zusätzlich stellen die Gerichte dort hohe individuelle Beweisanforderungen. Darüber und zu unseren Forderungen im Rahmen der #ObjectWarCampaign werden andere heute sprechen. Ukrainische Wehrpflichtige, die in die EU gelangt sind, genießen hier auf Grundlage der sogenannten „Massenzustrom-Richtlinie“ bis März 2025 Schutz. Danach dürfte ihre Situation schwierig werden, denn die ukrainische Regierung erhöht den Druck auf Wehrpflichtige im Ausland und verlängert Pässe – wie übrigens auch Belarus – nicht mehr bei Konsulaten, sondern nur noch im Land selbst. Wer wehrpflichtig ist und zur Passverlängerung nach Belarus oder in die Ukraine einreisen würde, könnte das Land allerdings nicht mehr verlassen und würde wahrscheinlich sofort zum Kriegsdienst gezwungen. Das ohnehin stark einschränkte verfassungsmäßige Recht auf Kriegsdienstverweigerung hat die ukrainische Regierung unter Kriegsrecht gleich ganz abgeschafft. Mindestens 24 Verweigerer wurden seit Kriegsbeginn angeklagt und teils zu mehrjährigen Haftstrafen verurteilt. Yurii Scheliaschenko, sehr aktiver Generalsekretär der Ukrainischen Pazifistischen Bewegung und EBCO-Vorstandsmitglied, wird seit Sommer 2023 schikaniert. Sein Computer, Smartphone und Unterlagen wurden beschlagnahmt, er steht seitdem unter nächtlichem Hausarrest. Die Behörden werfen dem Radikalpazifisten Yurii entgegen allen Fakten eine „Rechtfertigung der russischen Aggression“ vor, für den 11. Juni ist ein Strafprozess anberaumt. Ganz offenkundig soll hier ein aktiver und kompetenter Kriegsgegner mundtot gemacht und kaltgestellt werden, notfalls durch Strafverurteilung per Rechtsbeugung.  Auf Betreiben des Ukrainischen Sicherheitsdienstes hat das Justizministerium außerdem kürzlich bei Gericht das Verbot der Ukrainischen Pazifistischen Bewegung beantragt.

Doch nicht nur in den Kriegsländern stehen Dienstverweigerer unter Druck. Auch wenn ich mich hier auf Europa beschränke, möchte ich beispielhaft für andere Weltgegenden die Kriegsdienstverweiger:innen in Israel erwähnen, die heftig angegriffen werden und sich bravourös dem Krieg und der Besatzung entziehen. Ernsthafte Probleme in Staaten des Europarats gibt es u.a. in folgenden Ländern: Aserbaidschan (kein Alternativdienst verfügbar), Litauen (nur waffenloser Wehrdienst ist möglich), Armenien (Zivildienst wohl nur für Zeugen Jehovas zugänglich) und Griechenland, wo nicht-religiösen Verweigerern immer noch weitgehend die Anerkennung verwehrt wird. Besonders schlimm ist die Situation in der Türkei, wo es kein Recht auf Kriegsdienstverweigerung gibt und wo Verweigerer ihrer grundlegenden Bürgerrechte beraubt werden; das führt in der Konsequenz zu einer Art zivilem Tod. Und natürlich setzen die zunehmenden Vorbereitungen auf eine weiteren Krieg in Europa die Kriegsdienstverweigerung in vielen Staaten unter Druck. In Ländern wie Lettland, Schweden, Estland und Dänemark kam bzw. kommt es zur Wiedereinführung der Wehpflicht, ihrer Ausdehnung auf Frauen oder zur Verlängerung des Wehrdienstes, in anderen Staaten – auch bei uns – wird eine erneute Wehrpflicht ernsthaft diskutiert. Neben der allgemeinen gewaltigen Steigerung der Rüstungsausgaben zeigt sich in vielen Staaten ein deutlich zunehmender Einfluss des Militärs auf das Erziehungssystem, beispielhaft genannt seien hier neben den drei Kriegsstaaten Frankreich, Kroatien und Schweden. Außerdem gib es Bestrebungen – beispielsweise in Finnland, Lettland und der Schweiz -, den Alternativdienst unter dem Stichwort Gesamtverteidigung eng mit der Zivilverteidigung zu verzahnen.

Die Außerkraftsetzung des Rechts auf Kriegsdienstverweigerung in der Ukraine, also in einer Kriegssituation, in der das Gewissen ja gerade geschützt sein soll, stellt sicher einen vorläufigen Tiefpunkt dar. Glücklicherweise hat sich die internationale Rechtsprechung in den letzten Jahrzehnten deutlich zugunsten der Kriegsdienstverweigerung entwickelt, auch aufgrund der intensiven Lobbyarbeit internationaler Kriegsdienstverweigerungs-Organisationen.  Die internationale Rechtsprechung postuliert eindeutig, dass es sich beim Recht auf Kriegsdienstverweigerung um ein unabdingbares Menschenrecht handelt, das auch in Zeiten eines öffentlichen Notstands nicht außer Kraft gesetzt werden darf. Ein aktuelles Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte zugunsten des nordzyprischen Verweigerers und EBCO-Vorstandsmitglieds Murat Kanatli hat diesen Tenor jüngst bekräftigt. Positiv stimmt auch, dass in der Jugenderklärung zu 75 Jahren Menschenrechte, die auf Initiative des UN-Hochkommissars für Menschenrechte anlässlich des 75. Jahrestags der Allgemeinen Menschenrechtserklärung im Dezember 2023 veröffentlich wurde, ein diskriminierungsfreies Recht auf Kriegsdienstverweigerung für alle Menschen gefordert wird. Und wenn in Finnland im vergangenen Jahr 1650 Reservisten die Anerkennung als Kriegsdienstverweigerer  beantragten – 2022 waren es sogar 3.800 – oder bei uns im Jahr 2023 mehr als 500 Menschen in Anbetracht der Wehrpflichtdiskussion sozusagen auf Vorrat einen Verweigerungsantrag stellten, sind das weitere positive Zeichen. Dennoch, insgesamt stehen die Zeichen auf Gegenwind; ohne kämpferischen Einsatz werden wir das Recht auf Kriegsdienstverweigerung nicht verteidigen können.

An dieser Stelle möchte ich die zentralen Forderungen der #ObjectWarCampaign vortragen:

Allen, die sich dem Krieg verweigern, muss Schutz gewährt werden – sowohl aus der Ukraine als auch aus Russland und Belarus.

  • Wir fordern von den Regierungen Russlands, Belarus‘ und der Ukraine: Stellen Sie die Verfolgung von Kriegsdienstverweigerer*innen und Deserteur*innen umgehend ein!
  • Wir fordern von der EU und der Bundesregierung: Öffnen Sie die Grenzen! Geben Sie Kriegsgegner*innen die Möglichkeit der Einreise in die Europäische Union! Schützen Sie Kriegsdienstverweigerer*innen und Deserteur*innen aus Russland, Belarus und der Ukraine und geben Sie ihnen Asyl!
Vielen Dank!

Guido Grünewald (EBCO): Nein zum Krieg! Frieden schaffen ohne Waffen. Redebeitrag auf der Kundgebung in Münster zum Internationalen Tag der Kriegsdienstverweigerung, 17. Mai 2024.

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