Eritrea: Militärdienst und Kriegsdienstverweigerung

von Helen Kidan

(23.06.2024) Eritrea erlebte von 1961 bis 1991 den längsten Krieg Afrikas und kämpfte dreißig Jahre lang um seine Unabhängigkeit. Am 24. Mai 1993, nach einem zwei Jahre dauernden Referendum, erlangte Eritrea schließlich seine Unabhängigkeit von Äthiopien. Dies war ein historisches Ereignis, das Eritreer*innen in aller Welt in große Freude versetzte. Kurze Zeit später, 1994, wurde der eritreische Nationaldienst eingeführt.

Der Grenzkonflikt mit Äthiopien, der zwischen 1998 und 2000 zunehmend offen ausbrach, führte zu einem zwanzigjährigen Stillstand ohne Krieg und Frieden. Er hatte erhebliche Auswirkungen auf die eritreische Bevölkerung, insbesondere auf junge Menschen, die zur Militärdienstpflicht eingezogen wurden. Das Konzept der Kriegsdienstverweigerung findet im eritreischen Kontext keine Anwendung – eine Verweigerung wird als Desertion betrachtet und vom Staat entsprechend bestraft. Die eritreische Regierung betrachtete Äthiopien als existenzielle Bedrohung für die eritreische Souveränität und erweiterte daher den zunächst auf 18 Monate festgelegten Nationaldienst auf unbestimmte Zeit. Jede*r wurde in die Armee eingezogen und diejenigen, die sich aus religiösen Gründen weigerten – wie beispielsweise Zeug*innen Jehovas, wurden nicht als Staatsbürger*innen anerkannt.

Die unbefristete Militärdienstpflicht wurde zum bestimmenden Element der eritreischen Gesellschaft. Im Bericht der Untersuchungskommission des UN-Menschenrechtsrats zu Eritrea aus dem Jahr 2016 wurde dieser mit Sklaverei verglichen, da Militärdienstpflichtige u.a. zur Zwangsarbeit herangezogen wurden. Die unbefristete Militärdienstpflicht war der Hauptgrund dafür, dass junge Eritreer*innen das Land in Scharen verließen und Eritrea infolgedessen zu einem der Länder mit den meisten Flüchtlingen pro Einwohner*innen weltweit wurde. Während die Eltern im Nationaldienst waren, wurden ihre Kinder von den Großeltern erzogen. Frauen, die kleine Kinder hatten, dienten nicht, aber ihre Männer waren jahrelang weg. Dies trägt zum Zusammenbruch der Familien bei, da die Menschen aus Eritrea fliehen. Eine weitere Folge davon ist, dass Eltern ihre Töchter jung verheiraten, damit sie mit Erreichen der Volljährigkeit nicht zur Militärdienstpflicht eingezogen werden. Dies bedeutet, dass Mädchen aus Ausbildungen herausgerissen werden oder in jungem Alter eigene Kinder bekommen und sich weder wirtschaftlich unabhängig machen noch aktiv am sozioökonomischen Leben des Landes teilzunehmen können.

Der 2018 geschlossene Frieden zwischen Eritrea und Äthiopien war sehr vielversprechend und eritreische Eltern warteten sehnsüchtig auf die Rückkehr ihrer Kinder von der Frontlinie. Einige der eritreischen Militärdienstpflichtigen wurden über 20 Jahre lang in den Grenzgebieten verpflichtet. Eritreer*innen hofften, dass der neu gefundene Frieden mit Äthiopien zu Veränderungen im Land führen würde – ein Optimismus, der durch den Ausbruch des Konflikts in Tigray im November 2020 jäh zunichte gemacht wurde. Eritrea war an dem Konflikt beteiligt und unterstützte die äthiopische Regierung. Um nicht an die Front dieses Bürgerkrieges geschickt zu werden, flohen erneut viele eritreische Jugendliche aus dem Land.

Die Repression in Eritrea verschärfte sich wieder. Wenn Militärdienstpflichtige flohen, sperrte die Regierung ihre Familien zur Strafe aus ihren Häusern aus, darunter auch ältere Menschen, schwangere Mütter und Menschen mit kleinen Kindern. In anderen Fällen wurden ganze Familien verhaftet. Die neue Brutalität schockierte das eritreische Volk. Zwar waren Razzien nicht ungewöhnlich und gehörten mittlerweile zum Alltag der Eritreer*innen, doch mit dem Bürgerkrieg erreichten sie eine neue Stufe der Unterdrückung.

Die eritreische Regierung erklärte, dass sie sich von nun an auf die Entwicklung des Landes konzentrieren wollte. Doch was sie damit meint, ist unklar. Ebenso die Frage, ob der Nationaldienst zukünftig auf 18 Monate begrenzt wird – so wie es die eritreische Gesetzgebung vorsieht. Eines ist jedoch klar: Der Status quo darf nicht bleiben, wie er ist.


Stellungnahme zur Menschenrechtslage in Eritrea

Anlässlich der 56. Sitzung des UN-Menschenrechtsrates in Genf, hat Connection e.V. in Zusammenarbeit mit War Resisters International eine Erklärung zur aktuellen Menschenrechtslage in Eritrea abgegeben. Die Erklärung wurde von Zaira Zafarana während des Interaktiven Dialogs mit dem Sonderberichterstatter über die Lage der Menschenrechte in Eritrea, Herrn Sonderberichterstatter Mohamed Abdelsalam Babiker, abgegeben: „Wir bekräftigen unsere Besorgnis zur Lage der eritreischen Flüchtlinge, die oft vor dem System eines de facto unbefristeten Nationaldienstes fliehen, was in vielen Fällen Zwangsarbeit darstellt. Im Jahr 2023 haben wir über 13.000 neue eritreische Asylanträge in den Ländern Europas zu verzeichnen“, so Zafarana und weiter: „Gemeinsam fordern Connection e.V. und die WRI die Regierung Eritreas auf, den Schutz der Menschenrechte zu gewährleisten, darunter das Menschenrecht auf Gedanken-, Gewissens- und Religionsfreiheit, zu dem auch das Menschenrecht auf Kriegsdienstverweigerung gehört“.

Vollständige Stellungnahme von Zaira Zafarana: www.connection-ev.org/article-4177

Der Bericht des Sonderberichterstatters findet sich hier (in Englisch): https://documents.un.org/doc/undoc/gen/g24/073/00/pdf/g2407300.pdf?token=ILQouCH80yIlIR4o06&fe=true

Helen Kidan: Kurzportrait: Militärdienst und Kriegsdienstverweigerung in Eritrea, 23. Juni 2024. Der Beitrag wurde veröffentlicht in: Connection e.V. (Hrsg.): Rundbrief »KDV im Krieg«, Ausgabe September 2024

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