Buchbesprechung: Entscheidung des Gewissens
(10.08.2024) Recht haben, und Recht bekommen, ist bekanntlich nicht so einfach. Besonders weit klaffen Anspruch und Wirklichkeit beim Recht auf Kriegsdienstverweigerung auseinander. Diese Erfahrung musste auch Adalbert Metzinger aus dem badischen Ottersweier bei Bühl machen. Er hatte 1970 seinen Antrag erst nach der Musterung gestellt. Das reichte im Prinzip, um ihn sowohl im Prüfungsausschuss als auch in der Prüfungskammer, den zwei entscheidenden Instanzen, abzulehnen, bevor er dann endlich vom Verwaltungsgericht anerkannt wurde.
Im Buch „Entscheidung des Gewissens“ zeigt Metzinger das damalige Verfahren und recherchierte immer wieder dazu gehörige Fakten. So fand er u.a. heraus, dass einer der Vorsitzenden der Sohn eines NS-Freikorps-Funktionärs war, ein Beisitzer ein ehemaliger Wehrmachtssoldat, dann CDU-Gemeinderatsmitglied und ein anderer, ein cholerischer und gewalttätiger Lehrer.
„Gewissen“ ist eine religiöse Kategorie, die viele, die damit nichts anfangen können, abschreckt. Das soll wohl auch so sein. Metzinger begründet seine Kriegsdienstverweigerung weitgehend religiös, und hat damit erstmals dieses Problem nicht, wenngleich seine Ablehnungen auch gerade damit begründet werden („er vermochte … nicht … zu überzeugen“). Entsprechend sieht er das Problem nicht im System, das während der Jahre weit über eine Million Ablehnungen hervorbrachte, sondern bei sich. Er „grübelte, … welche Fehler ich wohl gemacht habe.“ Er ist wohl der Ansicht, dass eine Gewissensentscheidung tatsächlich überprüfbar ist. Darum hat er als Verbesserungsvorschlag für das „Tribunal“, die Hinzuziehung eines Psychologen. Es mag tatsächlich sein, dass man damit der Wahrheit näher kommt. Aber damit verkennt er, dass es bei der Gewissensüberprüfung wohl mehr darum geht 1. abzuschrecken, 2. das Menschenrecht auf Kriegsdienstverweigerung zum Ausnahmerecht für Minderheiten zu machen und 3. es der militärischen Bedarfsplanung unterzuordnen.
Das ist aber nur ein verhältnismäßig kleiner Einwand gegen die bislang wohl einzigartige akribische Mühe, die Metzinger sich gemacht hat, das Verfahren in all seinen Details mit entsprechenden Hintergründen zu beschreiben.
Ihm erging es wie so vielen: Er war der erste Verweigerer in der Region, hatte praktisch keine Unterstützung. Er wurde über die Ablehnungen krank, bekam Atteste, brachte es auf insgesamt fünf Musterungen, wurde zwischenzeitlich sogar zweimal zur Bundeswehr einberufen – und wehrte sich im Endeffekt recht erfolgreich mit allen rechtlich zur Verfügung stehenden Mitteln. So zog sich das Verfahren und die Akte wuchs, zuletzt waren es 206 Seiten. Das war dann wohl auch der Grund, warum er nach über fünf Jahren Verfahrensdauer, zum Ersatzdienst erst gar nicht einberufen wurde, obwohl er ihn gerne gemacht hätte.
Damit endet das Buch aber nicht. Metzinger politisiert sich über das Verfahren, gründet einen KDV-Arbeitskreis, wird Mitglied der DFG-VK, engagiert sich in der Beratung und schildert Aktivitäten, die im Prinzip bis heute andauern. So weist er schon in der Einleitung auf die schwierige Lage der russischen und ukrainischen Verweigerer hin, denen in Deutschland Asyl verweigert wird. Das zeigt, dass man das Menschenrecht auch heute noch hintergeht.
Besonders gefreut hat mich beim Lesen, dass einige Fälle von abgelehnten Kriegsdienstverweigerern vorgestellt werden, die bei der Bundeswehr im Arrest oder im Gefängnis landeten. Und er führt auch die psychischen Nöte der Abgelehnten an, die einige sogar bis zur Selbsttötung trieben (Hermann Brinkmann).
Das Buch zeigt, wie wichtig es für den Einzelnen ist, dass es das Menschenrecht auf Kriegsdienstverweigerung gibt, aber es auch die Schwierigkeiten für jeden, zu seinem Recht zu kommen. Ich habe es mit Gewinn gelesen.
Adalbert Metzinger: Entscheidung des Gewissens – Der beschwerliche Weg zur Kriegsdienstverweigerung. BoD – Books on Demand, Norderstedt, 2024, 158 S., ISBN: 978-3-7578-2777-9, 8,99 €
Franz Nadler: Entscheidung des Gewissens. Buchbesprechung. 10. August 2024. Der Beitrag wurde veröffentlicht in: Connection e.V. (Hrsg.): Rundbrief »KDV im Krieg«, Ausgabe September 2024
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